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Städter unter Hitzestress

Text von Dominic Fernandez
05.09.2023
Nachhaltigkeit

Deutsche Sommer werden immer heißer. Vor allem Stadtbewohner müssen schwitzen. Biometeorologe Andreas Matzarakis weiß, woran das liegt und was Abhilfe schaffen könnte.  

Der Sommer 2023 in Deutschland gehört aktuell zu den fünf heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Besonders stark betroffen von der Hitze sind Städte. Inwiefern unterscheidet sich Stadtklima von dem des Umlands?

Andreas Matzarakis: In Städten gibt es wesentlich mehr Oberflächen als im ländlichen Raum. Bei den verwendeten Materialen handelt es sich vor allem um Beton, Glas und Metall. Es absorbiert die einfallenden Sonnenstrahlen und gibt sie in Form von Wärme wieder in die Umgebungsluft ab. Am Tag heizen sich die Oberflächen auf und können nachts nicht richtig abkühlen. Dichte Bebauung und Straßenschluchten behindern außerdem den Luftaustausch mit dem kühleren Umland. Es bilden sich sogenannte urbane Wärmeinseln.

Wie wirkt sich das auf die dort lebenden Menschen aus?

Bei diesen um mehrere Tage andauernden Episoden mit ungewöhnlich hohen Lufttemperaturen und fehlender nächtlicher Abkühlung sprechen wir oft von Hitzesituationen. Diese wirken sich nicht nur auf unser Wohlbefinden aus und erzeugen Hitzestress. Der Mensch kann seinen Körper durch Schwitzen nicht ausreichend kühlen, was bei starker Hitze lebensbedrohlich sein kann. Besonders gefährdet sind ältere Menschen, Kranke und Kinder – und diese gilt es zu schützen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat Ende Juli 2023 einen Hitzeschutzplan für den Sommer vorgelegt. Welche Maßnahmen sind darin vorgesehen?

Dabei handelt es sich vor allem um Akutmaßnahmen, die sich schnell umsetzen lassen. Ein Schwerpunkt liegt in der Kommunikation: Der Deutsche Wetterdienst warnt täglich von Mai bis Ende August für den aktuellen Tag und den Folgetag, wenn die gefühlte Temperatur und die Innenraumtemperaturen Warnschwellen überschreiten. Diese Hitzewarnstufen könnten zum Beispiel über Apps, Newsletter oder SMS-Warnungen in der Bevölkerung verbreitet werden. Ziel des Hitzeschutzplans ist es zudem, Menschen für die Gefahren von Hitze zu sensibilisieren und Verhaltensänderungen anzuregen.

Wir brauchen mehr Oberflächen aus Materialien, die Wärme zwar speichern, aber auch Verdunstung zulassen, um abzukühlen. Das können zum Beispiel begrünte Fassaden oder Dächer sein.
Prof. Dr. Andreas Matzarakis, Leiter Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung Deutscher Wetterdienst

Der Mensch muss sein Verhalten also an die Stadthitze anpassen.

Ja, genau, wir müssen uns anpassen! Um heiße Bedingungen besser zu überstehen, hilft es zum Beispiel ausreichend zu trinken, Anstrengungen zu vermeiden, Innenbereiche kühl zu halten und sich länger im Schatten aufzuhalten.

Kann auch die städtische Infrastruktur so verändert werden, dass sie uns hilft, die Hitzetage gut zu überstehen?

Bereits mit dem Anpflanzen neuer Bäume lässt sich einiges bewirken. Bäume sind nicht nur natürliche Schattenspender, sondern speichern außerdem CO2 und verbessern die Luftqualität. Dabei kommt es darauf an, trockenheitsresistente Bäume an den richtigen Orten zu platzieren. Für Erfrischung können auch Wasserspender sorgen und Wasserzerstäuber, die Sprühnebel erzeugen. Das erhöht allerdings gleichzeitig die Luftfeuchtigkeit, was viele als unangenehm empfinden und sogar zum Hitzestress beitragen kann. Hitzeaktionspläne sehen auch den kostenlosen und unkomplizierten Zugang zu klimatisierten Räumen in öffentlichen Gebäuden vor, die eine rasche Abkühlung ermöglichen.

Wie stark lässt sich die urbane Temperatur durch städtebauliche Maßnahmen senken?

Da es sich beim fortschreitenden Klimawandel um ein globales Phänomen handelt, lässt sich die Lufttemperatur einer Stadt nur begrenzt beeinflussen. Städtebauliche Anpassungsstrategien beziehen sich vor allem auf das Mikroklima, also die klimatischen Bedingungen lokaler Areale, und auf die gefühlte Temperatur an diesen Orten. Diese ist einerseits vom subjektiven Wärmeempfinden des Menschen abhängig, zum anderen von objektiven Wetterbedingungen wie Wind, Sonne und Luftfeuchtigkeit. Um hier geeignete Lösungen zu entwickeln, kann die Forschung von Biometeorologen wichtige Daten liefern.

Was erforschen Sie genau?

Wir untersuchen unter anderem, wie Umgestaltung das Mikroklima beeinflusst. Der Umbau des Platzes an der Alten Synagoge in Freiburg im Breisgau hat damals zum Beispiel großes Aufsehen erregt. Im Jahr 2006 wurde eine vollständige Versiegelung des Platzes beschlossen und eine Veränderung der Oberflächenbedeckung sowie der Beschattungsverhältnisse. Anhand von Messungen haben wir festgestellt, dass der neue Platz aus Naturstein sehr viel stärker und schneller aufheizt als die vorherige Rasenfläche und somit den sommerlichen Hitzestress erheblich verstärkt. Es geht auch darum, diese Auswirkungen mit Daten und Informationen quantifizierbar zu machen. Was die Zusammenarbeit von Stadtplanern und Biometeorologen betrifft, gibt es jedoch durchaus noch Optimierungsbedarf.

Wie müsste sich Stadtarchitektur verändern, um den Herausforderungen der globalen Erwärmung langfristig zu begegnen?

Wir brauchen mehr Oberflächen aus Materialien, die Wärme zwar speichern, aber auch Verdunstung zulassen, um abzukühlen. Das können zum Beispiel begrünte Fassaden oder Dächer sein. Bei der Entwicklung neuer Viertel gilt es, den Luftaustausch zu optimieren. Das gelingt zum Beispiel, indem Stadtplaner, Stadtdesigner und auch Architekten auf die Ausrichtung sowie Breite der Straßen achten. Wichtig ist es auch, dafür zu sorgen, dass Windschneisen nicht zugebaut werden. So kann die kühlende Luft aus dem Umland ungehindert strömen. Natürlich ist eine solche städtebauliche Anpassung langwierig und kostspielig. Den akuten Auswirkungen des Klimawandels begegnen wir am besten durch Verhaltensanpassung. Denn: Unser Verhalten zu ändern, kostet nichts.

Im Ausland experimentieren Städte mit kreativen Ansätzen, um der urbanen Hitze beizukommen. Los Angeles etwa streicht ganze Straßenblöcke weiß, um Sonnenstrahlen zu reflektieren. Werden unsere Straßen vielleicht auch bald im hellen Glanz erstrahlen? 

Diese Maßnahme ist ein zweischneidiges Schwert, denn es gibt einen Nebeneffekt: Einerseits reduziert die Reflektion die Oberflächentemperatur. Andererseits empfinden viele Menschen stark reflektierende Bodenoberflächen als unangenehm, weil es sie blendet, und es wird für sie sogar subjektiv heißer. Solche Ansätze lassen sich außerdem nicht so einfach von einer auf die andere Stadt übertragen. Was zum Beispiel in Los Angeles funktioniert, könnte aufgrund der unterschiedlichen geografischen und strukturellen Gegebenheiten woanders nicht den gewünschten Effekt erzielen. 

 

Zur Person
Prof. Dr. Andreas Matzarakis ist Bio- und Umweltmeteorologe und leitet das Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes in Freiburg. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Human-Biometeorologie, Stadtklimatologie, Tourismusklimatologie und Klimafolgenforschung.

61.000 Hitzetote
wurden im Sommer 2022 in Europa gezählt.
Quelle: Nature Medicine

10° Celsius
kann nachts der Temperaturunterschied zwischen großen Städten und seinem Umland betragen.
Quelle: ARD alpha

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