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Mit dem Friseurbesuch verschmutzte Gewässer retten

Text von Jasmin Oberdorfer
18.11.2024
Nachhaltigkeit

Haare und Kork können beim Schutz von Meeren, Flüssen und Seen eine entscheidende Rolle spielen: Beide Materialien saugen Öl auf und stellen damit eine natürliche Alternative zu synthetischen Reinigungsmitteln dar. Te:nor stellt diese und weitere vielversprechende Ansätze vor.

Im Juli 2020 lief der japanische Tanker „MV Wakshio“ vor der Küste von Mauritius auf ein Korallenriff auf, zerbrach und setzte 800 Tonnen Schweröl frei. Um die Umweltkatastrophe einzudämmen, gingen die Bewohner des Inselstaates zum Friseur und ließen sich die Haare schneiden. Sie wussten: Haare binden Öl an ihrer Oberfläche, Wasser hingegen stoßen sie ab. Freiwillige Helferinnen und Helfer befüllten Nylonplanen mit den abgeschnittenen Haaren und ließen die Haarschläuche in der Nähe des verunglückten Schiffs zu Wasser – so konnten sie das ausgetretene Öl aufnehmen und die Katastrophe abmildern.

Eine gute Idee, findet Chemieingenieur Kurt Eggeling vom Landesarbeitskreis Wasser Nordrhein-Westfalen des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND): „Die Haarschläuche können eine umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Ölsperren sein, die meist aus synthetischen Materialien wie Polypropylen bestehen. Bei so großen Ölmengen sind allerdings weitere Maßnahmen erforderlich.“ Bei schweren Unfällen auf hoher See kommen etwa oft Chemikalien zum Einsatz, die zwar Öl zersetzen, aber zugleich selbst eine erhebliche Gefahr für die Umwelt darstellen.

Vom Abfallprodukt zur Ressource 

Auch Friseurmeister Emidio Gaudioso aus Bückeburg hält Schläuche aus Haaren für eine gute Wahl. Gaudioso ist Mitgründer des Unternehmens Hair Help the Oceans, der die Methode im deutschsprachigen Raum etablieren möchte. Seit Januar 2022 konnten er und sein Geschäftspartner Thomas Keitel rund 1.200 Friseursalons in Deutschland, Österreich, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz für die Idee gewinnen. Die Salons sammeln die Haare in Papiertüten oder Kartons und übergeben sie einmal monatlich an einen Paketdienstleister, der sie nach Bückeburg bringt. Allein in Gaudiosos Salon fallen monatlich etwa fünf Kilogramm abgeschnittener Haarsträhnen an. „Ein Kilogramm Haare kann bis zu acht Kilogramm Öl aus dem Wasser filtern“, erklärt er.

Dass auch coloriertes Haar darunter ist, stellt kein Problem dar – solange der Anteil an frisch Gefärbtem gering bleibt, stellte ein Forscherteam des Fachbereichs Wasser, Umwelt, Bau und Sicherheit der Hochschule Magdeburg-Stendal fest. Es untersuchte im Auftrag von Hair Help the Oceans, wie sich colorierte Haare im Wasser verhalten. Das Ergebnis: Während frisch gefärbte Strähnen „ausbluten“ und potenziell umweltschädliche Stoffe freisetzen können, sind bei Haaren, die nach dem Färben bereits mehrfach gewaschen wurden, solche Rückstände kaum noch festzustellen, so die Forschenden.

In Bückeburg wird nicht nur gesammelt, dort erfolgt auch die Verarbeitung der Haare zu Schläuchen: Mitarbeitende des Unternehmens befreien die gesammelte Ware per Hand von Fremdkörpern und sieben feine Bestandteile aus. Dann presst eine halbautomatische Maschine die Haare in meterlange Textilschläuche aus Baumwolle. „Ich habe das Gerät gemeinsam mit einem Maschinenbauer entwickelt“, berichtet Gaudioso. „Es ist einzigartig und funktioniert so ähnlich wie eine Wurstmaschine.“

Weiterentwicklung mit Kork

Um den Haarwürsten im Wasser ausreichend Auftrieb zu verleihen, setzt die Organisation seit Kurzem mit Kork auf eine weitere nachwachsende Ressource. Zu diesem Zweck sammelt Hair Help the Oceans in den teilnehmenden Salons Weinkorken. Gastronomiebetriebe, Weinhändler und der Naturschutzbund Rinteln helfen ebenfalls dabei. Die Mitarbeitenden zerkleinern die Korken und mischen sie unter die für die Schläuche vorbereiteten Haare. 

Auch andernorts experimentiert man mit Kork: Chinesische und israelische Forschende haben in einem Versuch mithilfe eines Lasers die photothermischen Eigenschaften des Naturstoffs verändert. Sie frästen tiefe Rillen in das Material, damit sich die der Sonne ausgesetzte Oberfläche vergrößert. Der so behandelte Kork erwärmt sich je nach Sonneneinstrahlung innerhalb weniger Sekunden auf über 50 Grad. Im verunreinigten Wasser gibt er diese Wärme an das Öl ab, wodurch es weniger zähflüssig ist und sich leichter vom Kork aufsaugen lässt. „Ölbindemittel auf Basis von Kork sind schon jetzt vielfach in Verwendung“, berichtet BUND-Chemieingenieur Eggeling. „Die Laserbehandlung könnte ihre Effizienz noch steigern.“ 

Breites Einsatzgebiet für Haarschläuche

Gaudioso hat sein Produkt nicht nur für den Katastrophenfall entwickelt, auch Badeseen und Strände nimmt er ins Visier: „Schwimmzonen sind in der Regel durch Bojen und Leinen markiert – alles ist aus Plastik. Auch diese Begrenzungen könnten aus unseren Haarschläuchen bestehen. Sie verhindern zudem, dass sich die Sonnencreme, die ins Wasser gelangt, weiter ausbreitet.“ Bevor die Haar- und Korkschläuche zum Einsatz kommen dürfen, müssen sie aber noch von einer unabhängigen Stelle zertifiziert werden. Erst dann dürfen Feuerwehr und Technisches Hilfswerk die Schläuche offiziell nutzen. Aktuell ist das Materialprüfungsamt in Dortmund damit betraut. Gaudioso hofft, dass das Prüfverfahren bis Ende 2024 abgeschlossen ist. 

In der Zwischenzeit bleibt das Unternehmen nicht untätig: Im September 2024 hat Gaudioso zusammen mit der Geesthachter Feuerwehr auf der Elbe die Schläuche in der Praxis erfolgreich getestet. Darüber hinaus arbeitet Hair Help the Oceans an einem weiteren Produkt: Mit Matten aus verfilzten Haaren sollen Unternehmen, die Flusswasser für ihre Produktionsprozesse entnehmen, das Wasser filtern, bevor sie es nach der Nutzung wieder zurückleiten. Die feinen Haarreste, die beim Aussieben aufgefangen werden, möchte die Organisation als Bindemittel nutzen, um Benzin- und Ölpfützen auf der Straße zu beseitigen. 

Te:nor stellt fünf weitere Projekte und Methoden zur Reinigung von Gewässern vor:

Projekt 1: Der Müllhai
Für den Einsatz auf Seen, Flüssen und in Häfen ist Wasteshark konzipiert: Die schwimmende Reinigungsmaschine, die optisch eher einem Katamaran als einem Hai ähnelt, sammelt über eine große Öffnung auf der Vorderseite in ihrem Rumpf kleine Abfälle. 

Projekt 2: Der Ölschwamm
Ein Forschungsteam der Universität Bonn hat spezielle Funktionstextilien hergestellt, die Wasser abstoßen, aber –wie ein Schwamm – Öl anziehen. Nach Angaben der Wissenschaftler hat ein Prototyp bis zu drei Liter Öl pro Stunde von der Wasseroberfläche gesammelt. 

Projekt 3: Die Plastikfischer
Der niederländische Erfinder Boyan Slat verfolgt mit seinem Unternehmen The Ocean Cleanup das ehrgeizige Ziel, die Meere bis zum Jahr 2040 von rund 90 Prozent des Plastikmülls zu befreien. Das soll mithilfe spezieller Reusen gelingen, die den an der Oberfläche treibenden Plastikmüll abfischen. 

Projekt 4: Der Rostmagnet
Forschende der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg haben spezielle Eisenoxid-Nanopartikel entwickelt, die Wasser reinigen können. Die als „intelligenter Rost“ bezeichneten Partikel ziehen Öl, Mikroplastik und Herbizide, wie etwa Glyphosat, an. Dank ihrer magnetischen Eigenschaften lassen sich die Partikel samt der an ihnen haftenden Schadstoffe mit einem Magneten wieder aus dem Wasser entfernen. 

Projekt 5: Der Meeresabfalleimer
Die australische Organisation Seabin Foundation hat einen Mülleimer fürs Wasser entwickelt. Der Seabin filtert in Yachthäfen und an Küstenabschnitten an der Wasseroberfläche schwimmende Plastikabfälle und Ölreste heraus. Das saubere Wasser leitet er direkt zurück ins Meer.

1 Million Tonnen
Öl (ca.) fließen Schätzungen zufolge jährlich ins Meer.
Quelle: World Ocean Review 

80.500 Friseurbetriebe
gab es Ende 2023 in Deutschland.
Quelle: Statista

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