Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

Algen statt Plastik

Text von Klara Walk
19.07.2023
Nachhaltigkeit

Kunststoffe auf Algenbasis herzustellen war das Ziel zweier Jungforscher aus Baden-Württemberg. Ihr Beispiel zeigt, wie Weltenwandler denken.

Plastik ist nützlich, aber ein großes Problem der modernen Gesellschaft: Von der Produktion bis zur Entsorgung belastet es die Umwelt. Die beiden Schüler Roland Grimm und Nathanael Strom wollten mit ihrem Forschungsprojekt dem Plastik zu Leibe rücken – und gleichzeitig ein zweites Ärgernis angehen: die Algenplage.

Nützlich im Alltag, schlecht für die Umwelt

PP, PE, PET, PVC, PUR, … – die Welt der Kunststoffe ist von Abkürzungen geprägt, und die Materialien hinter den Abkürzungen prägen die moderne Welt. So praktisch und unverzichtbar diese Kunststoffe für den Alltag sind, sie alle eint, dass ihre Produktion einen großen CO2-Fußabdruck hinterlässt und ein viel zu großer Teil auf den Äckern und vor allem in den Ozeanen landet; sei es als Plastikflasche oder in Form von Mikroplastik.

Dass aber nicht nur Plastik ein Problem für die maritimen Welten ist, ist seit einigen Jahren vor den Küsten Floridas und Mexikos zu beobachten: Ein riesiger Teppich der Braunalgenart Sargassum schwappt hier zwischen April und August an die Strände, seine Ausdünstungen können bei Menschen etwa zu Atemwegsbeschwerden führen. Die Algen stammen aus dem sogenannten Great Atlantic Sargassum Belt, einer langgezogenen Sargassum-Masse, die sich über eine Länge von 8.000 Kilometern im Atlantik erstreckt und dort wichtige Funktionen für das Ökosystem erfüllt – nur am Strand verrottend eben nicht.

Zwei Probleme, eine Lösung

Die Nachrichten von stinkenden Algen an karibischen Traumstränden sind bis ins baden-württembergische Spaichingen vorgedrungen und erreichten dort Roland Grimm und Nathanael Strom. Den beiden Gymnasiasten kam die Idee: Warum die Algen nicht als Rohstoff für die Plastikproduktion verwenden und so ein Problem mit dem anderen lösen? „Diese riesige Menge von Biomasse verbinden wir mit dem Kunststoffproblem und machen daraus Bio-Kunststoffe“, erläuterte Nathanael Strom die Ausgangsüberlegung gegenüber dem Karriereportal yourchemistrycareer.com.

Der Gedanke liegt so fern nicht: Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens aus Kunststoff bestehen aus Polymeren. Und diese gibt es auch in der Natur, sogenannte Bio-Polymere. Sie sorgen zum Beispiel für die Aufrechterhaltung der Zellstruktur. „Alginsäure ist ein solches Bio-Polymer“, erläutert Dr. Klaus Dirnberger vom Institut für Polymerchemie der Universität Stuttgart und ergänzt: „Dabei handelt es sich um ein Polysaccharid, das unter anderem von der Braunalge gebildet wird und sich dort in den Zellwänden quasi als Stützmaterial befindet.“ Daher auch die Idee der beiden Schüler Grimm und Strom: Was Zellwände stützt, könnte auch Kunststoffe zusammenhalten.

Umweltfreundliche Kunststoffproduktion – eine Zukunftsvision

Ein Gedankengang, den auch Tugce Demiral vom Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie der Universität Stuttgart nachvollziehen kann: „Ziel ist es, das Übermaß an Sargassum in den Ozeanen einzudämmen. Thermoplastische Biopolymere auf der Basis von Sargassum können dazu beitragen", sagt die Wissenschaftlerin, die derzeit an der Entwicklung einer Art Kältemittel auf Algenbasis für Hausfassaden arbeitet. Demiral zufolge weiß man bisher allerdings nicht, ob diese thermoplastischen Polymere biologisch abbaubar sind – das ist etwas, woran Wissenschaftler künftig noch forschen.

Um Bio-Polymere aber überhaupt erst einmal kunststoff-tauglich zu machen, müssen sie chemisch modifiziert werden. An genau dieser Stelle setzte die Forschungsarbeit der zwei jungen Chemiker aus Schwaben an. Grimm und Strom wollten die Alginsäure derart verändern, dass sie besser löslich ist. „Dadurch lassen sich die Verarbeitungsbedingungen besser steuern, gerade im Hinblick auf die technische Anwendung“, erklärt Dirnberger. An dieser Idee forschten die beiden Jungchemiker mit Unterstützung des Schülerforschungszentrums Südwürttemberg und entwickelten tatsächlich eine Molekülstruktur, die die Herstellung von Kunststoffen auf Algenbasis ermöglicht. In einer Art Klicksystem werden verschiedene, weitere Molekülbausteine an diese Struktur angeknüpft, sodass individuelle Kunststoffe synthetisiert werden können, je nach Anwendungsbedarf.

Ausgezeichnete Vision

Doch daraus einen Weg abzuleiten, der Algenplage Herr zu werden oder Kunststoff auf Erdölbasis zu ersetzen, hält Experte Klaus Dirnberger für „zu visionär“. In großem, industriellem Maßstab ist die Synthese nämlich nicht leicht zu händeln, wie sich später herausstellte. Die Ergebnisse der beiden Schüler überzeugten dennoch: Grimm und Strom fuhren 2022 den Jugend-forscht-Landessieg im Fachbereich Chemie ein und qualifizierten sich damit für den Bundeswettbewerb. Für Jochen Krüger, Fachleiter Chemie am Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte Weingarten und Juror in der Jugend-forscht-Jury Baden-Württemberg, ging die Arbeit weit über das Niveau üblicher Schülerversuche hinaus.

Gute Ideen und innovative Techniken sind die Treiber für die Zukunft. Bei Jugendlichen kommt aber noch ein Punkt hinzu – die intrinsische Motivation, zu erforschen und zu erfinden. Davon ist zumindest Professor Oliver Mayer überzeugt. Mayer arbeitet für die Bayerische Gesellschaft für Innovation und Wissenstransfer Bayern Innovativ und ist Vorsitzender der Jury, die auf der jährlichen Nürnberger Erfindermesse IENA Medaillen an die herausragendsten Projekte vergibt. Was für ihn zählt, ist neben der Erfindung die Motivation der jungen Akteure. „Das sind keine hochbezahlten Forscher mit riesigem Forschungsbudget. Die beiden haben als Schüler neben der Schule geforscht, ohne Millionen. Beides zusammen ist preiswürdig“, lobt er. Folgerichtig prämierten die Juroren auf der IENA die Forschungsarbeit der beiden Nachwuchschemiker mit einer Goldmedaille. Grimm und Strom haben nicht darauf gewartet, dass man ihnen sagt, was sie tun sollen – sie haben selbst Ideen entwickelt. Und das ist fraglos eine Eigenschaft, die Weltenwandler auszeichnet.

24 Millionen Tonnen
wog der Great Atlantic Sargassum Belt im Juni 2022.
Quelle: University of South Florida Optical Oceanography Lab

12 Milliarden Tonnen
Plastikmüll landen bis 2050 auf Deponien oder in der Umwelt – mehr als 40-mal so viel, wie alle Menschen auf der Erde zusammen wiegen.
Quelle: University of California

Ähnliche Artikel