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Wir sind, was wir essen

Text von Christoph Koch
04.07.2021
Nachhaltigkeit

Georg Schweisfurth ist einer der Biofood-Pioniere Deutschlands. Gemeinsam mit seinem Vater und seinen Geschwistern initiierte er die Herrmannsdorfer Landwerkstätten, später die Biosupermarktkette basic. Er saß im Aufsichtsrat von Greenpeace, veröffentlichte mehrere Bücher zum Thema Biolandwirtschaft und nachhaltige Ernährung und führt mit Gut Sonnenhausen ein ökologisches Hotel außerhalb von München.

© Marc Krause
Foto: Marc Krause

Herr Schweisfurth, Ihr Vater machte mit der Firma Herta aus einer kleinen Familienmetzgerei das zeitweise größte fleischverarbeitende Unternehmen Europas. Was für ein Mensch war Karl Ludwig Schweisfurth?

Er war vor allem schnell. Er ging schnell, sprach schnell, wollte schnell Ergebnisse sehen. Er war ungeduldig – vielleicht wird man so, wenn man so viel Erfolg hat wie er. Er sprudelte aber auch über vor Ideen: Bis zum letzten Tag, bevor er im Februar 2020 starb, brachte er neue Ideen in die Welt. Neben seiner Begeisterung fürs Handwerk steckte in ihm auch ein Intellektueller, der sich sehr für Kunst und Lyrik interessierte. Er hängte zum Beispiel Werke von Christo bis Daniel Spoerri in die Büros und Fabrikhallen von Herta – ziemlich radikal für die damalige Zeit.

Er wurde oft auch als Patriarch und Übervater beschrieben. Wie emanzipiert man sich da als Sohn?

Das ist in der Tat nicht so einfach. Ich war auf einem Schweizer Internat und wollte eigentlich Architektur studieren – meine große Passion. Aber in unserer Familie war es Pflicht, eine Handwerkslehre zu machen. Also lernte ich Metzger. Eine Passion für Fleisch und gutes Essen war mir in die Wiege gelegt worden. Danach studierte ich BWL und VWL. Aber den Familienbetrieb wollte ich ebenso wenig übernehmen wie meine beiden Geschwister.

Als Ihr Vater das merkte, verkaufte er Herta 1984 an den Nestlé-Konzern. Zwei Jahre später gründete Ihre Familie die Herrmannsdorfer Landwerkstätten, einen Biohof vor den Toren Münchens …

Das war ein radikaler Wandel, dem ein langes Unwohlsein meines Vaters angesichts der immer industrielleren Methoden der Fleischproduktion voranging. Es mussten immer schneller immer mehr Produkte für immer weniger Geld her. Das gefiel ihm nicht. Meine Geschwister und ich legten zusätzlich den Finger in die Wunde. Wir fragten ihn: Weißt du eigentlich, wie die Schweine, die du schlachtest, gelebt haben? Tierwohl war damals gesellschaftlich noch kein so großes Thema, aber unser Vater verstand, dass es für den Menschen nicht gut sein kann, wenn es den Tieren nicht gut geht.

Mit den Herrmannsdorfer Landwerkstätten versuchten wir also auf einem Anwesen östlich von München, unsere Vision von biologischem Anbau und einer artgerechten Tieraufzucht und -haltung umzusetzen. Uns ging es um ein regional eingebundenes Landwirtschafts-, Verarbeitungs- und Vermarktungssystem.

Heute leitet Ihre Tochter Sophie mit ihrem Mann die Landwerkstätten. Ist der Rest der Familie der Branche treu geblieben?

Ja, gewissermaßen: Meine zweite Tochter Anna ist Schneidermeisterin und hat in München ein eigenes Label für Biomode. Mein Sohn Max hat eine Ausbildung zum Koch gemacht, ist dann in die USA gegangen, hat dort studiert und ein Business als Wein-Broker aufgebaut. Vor Kurzem ist er Vater geworden und aus den USA mit seiner Familie hier in die Nähe nach Bad Aibling gezogen. Mein Zwillingsbruder Karl kümmert sich bei den Landwerkstätten noch um den Bereich Landwirtschaft und hat in München eine Food-Kooperative gegründet. Und unsere Schwester Anne ist die Kuratoriumsvorsitzende der Schweisfurth-Stiftung, die sich seit 35 Jahren für eine gute Lebensmittelwirtschaft einsetzt.

Sie selbst stiegen Mitte der 1990er aus den Herrmannsdorfer Landwerkstätten aus. Warum?

Ich musste mal was sehen von der Welt und reiste damals eine Weile durch Asien. Vor allem Japan faszinierte mich. Die Kultur, die Perfektion, wenn es um Handwerk, aber auch um Essen geht! Eine Weile versuchte ich auch, in der Filmbranche Fuß zu fassen, und arbeitete zum Beispiel als Aufnahmeleiter. Aber das funktionierte nicht so richtig – und so landete ich irgendwann wieder bei den Biolebensmitteln. Gewissermaßen war die EU schuld …

Wie das?

Ich hatte schon vor meiner Zeit in Asien und im Filmbusiness gemeinsam mit Richard Müller, einem guten Freund, eine Kontrollstelle für Biozertifizierung gegründet. 1997 entschloss sich die EU dann, die Biozertifizierung zu vereinheitlichen und einige wenige, größere Zertifizierer damit zu betrauen. Also gaben mein Kompagnon und ich die 60 Betriebe ab, die wir geprüft hatten. Danach saßen wir in meiner kleinen Bude in München-Schwabing bei einem Bierchen und wollten unsere gemeinsame GmbH eigentlich auflösen.

Stattdessen gründeten Sie gemeinsam die Biosupermarktkette basic. Wie kam es zu der Idee?

Wir sahen, dass es immer mehr Bioprodukte gab, zertifiziert von der EU, die auf Käufer warteten. Wir wollten Biolebensmittel aus der oft etwas freudlosen und ideologischen Reformhausecke herausholen und in einem frischen, modernen Ambiente verkaufen. In schön gestalteten Läden – so etwas war ja immer mein Faible. Also fuhren wir neun Monate durchs europäische Ausland und schauten, was es in dieser Richtung schon so gab. Wir vernetzten uns mit Biopionieren in Frankreich und Italien, tüftelten an ersten Store-Designs, dachten über Eigenmarken nach, kalkulierten Preise und entwarfen ein Logo. Irgendwann kamen wir an den Punkt, wo wir merkten: Entweder müssen wir diese Utopie jetzt umsetzen – oder wir müssen sie begraben. Wir haben uns fürs Machen entschieden.

Was war damals, 1998, neu an basic?

Unser Slogan war schon damals „Bio für alle“. Damit zeigten wir zum einen, dass wir Bioqualität bezahlbar machen wollten. Und zum anderen, dass wir uns gegen Abgrenzungen und Tabus wehren. Wir hatten zum Beispiel von Anfang an eine Fleischtheke. Natürlich mit Biofleisch, aber einigen Kunden wäre es natürlich lieber gewesen, wenn wir nur vegetarische oder vegane Produkte angeboten hätten. Genau das wollten wir jedoch nicht. Wir boten auch lose Waren an, ohne uns sofort „unverpackt-Laden“ zu nennen. Kurz gesagt, wir wollten alles anbieten und niemandem etwas vorschreiben. Am meisten Ärger bekamen wir dafür, dass wir Biozigaretten im Sortiment führten. Aber wir bieten eben allen die saubere Alternative – auch bei Wein und Zucker, die auch nicht gerade gesund sind.

Das Konzept kam so gut an, dass nach ein paar Jahren der Discounter-Riese Lidl bei basic einstieg. Die Bio-Community fühlte sich verraten. War der Deal rückblickend ein Fehler?

Lidl hielt 13 Monate lang eine Beteiligung von 30 Prozent. Und ja, das war ein kompletter Fehltritt. Das kann ich heute nicht anders sagen.

Wie kam es zu dieser Partnerschaft?

Es war nicht so, dass es mit basic von Anfang an blendend gelaufen wäre. Anfangs bekamen wir auch erst mal eins auf die Schnauze. Überzogene Baukosten hier, eine unverhoffte Asbestsanierung da – wir hatten ja keine Erfahrung im Gründen einer Supermarktkette. Aber nach ein paar holprigen Jahren wurde das Unternehmen sehr profitabel. Mitte der Nullerjahre merkte dann auch der konventionelle Handel, dass Bio funktioniert, wenn man es modern aufzieht. 2007 erwarb Lidl im größeren Stil basic-Aktien. Richard und ich waren zu dem Zeitpunkt nicht mehr im Vorstand, sonst hätten wir das nicht zugelassen. In unseren Hochburgen in München und Köln hatten wir Umsatzeinbrüche von 25 Prozent. Auf einen Schlag! Das kann man nicht verkraften.

Wie haben Sie reagiert?

Ich rief Klaus Gehrig an, den Chef der Schwarz-Gruppe, der Lidl gehört. Nach unserem Gespräch verstand er, dass er mit der Beteiligung nicht nur basic kaputt machte, sondern auch den Ruf von Lidl beschädigte. Also gaben wir eine gemeinsame Presseerklärung heraus und Lidl verkaufte seine Anteile. Das war auf jeden Fall eine lehrreiche Episode.

Was genau haben Sie gelernt?

Dass es Konsumenten eben nicht nur um den günstigsten Preis geht. Sondern dass sie eine Loyalität zu ihrem Lebensmittelhändler aufbauen. Und dass sie enttäuscht sind, wenn dann doch wieder die Großen mit dem vielen Geld kommen. „Wir gehen doch extra zu basic, weil wir eben nicht zu Lidl wollen“, erklärten uns Kundinnen und Kunden, die nach der Lidl-Beteiligung wegblieben. Und ich habe damals gelernt, dass eine gewisse Großmannssucht, wie sie vielleicht damals auch bei basic herrschte, nicht gut ist. Zu viel Wachstum und zu schnelles Wachstum ist einfach nicht nachhaltig.

Sind Biolebensmittel nicht ohnehin etwas, mit dem Topverdiener ein gutes Gewissen kaufen?

Das ist für mich ein überholtes Klischee. Wenn ich vernünftig konsumiere, komme ich mit Bio sehr gut klar. Drei Dinge sind entscheidend: viel selbst kochen, also weniger Convenience-Produkte kaufen. Weniger Fleisch essen. Und drittens weniger wegschmeißen. Ich ärgere mich, wenn ich sehe, wie Menschen einmal in der Woche den Inhalt ihres Kühlschranks in den Müll werfen und neu einkaufen, weil alles so günstig ist. Leider ist daran auch das unsägliche Mindesthaltbarkeitsdatum schuld – das dummerweise mein Vater erfunden hat.

Wirklich?

Ja, er war damals Chef der europäischen Fleischwarenindustrie. Den Erzeugern und dem Handel kommt es natürlich gelegen, wenn die Menschen Lebensmittel wegwerfen, die eigentlich noch gut sind. Nur weil das aufgedruckte Datum vorbei ist. Wir verschwenden inzwischen fast 40 Prozent der hergestellten Nahrung. Das geht entlang der gesamten Wertschöpfungskette, beginnend bei der Ernte über Herstellung und Handel bis hin zur Gastronomie – aber nirgends wird so viel weggeworfen wie im Haushalt. Wenn wir diese Verschwendung beenden könnten, dann wäre es auch kein Problem, komplett auf Biolandwirtschaft umzustellen und alle Menschen damit zu ernähren.

Als Ihre Familie 1986 die Herrmannsdorfer Landwerkstätten gründete, erwarb sie auch das in der Nähe gelegene Gut Sonnenhausen. Heute leben Sie hier und betreiben ein Hotel. Ist das Ihr eigentliches Lebensprojekt?

Das könnte man sagen, ja. Es gefällt mir sehr, das Alte zu würdigen, das wir auf diesem mehr als 100 Jahre alten Hof vorgefunden haben, und das Neue hinzuzufügen. Ich kann hier auf 25 Hektar Fläche Naturschutz betreiben und für Artenvielfalt sorgen. Dabei haben wir den Vorteil, dass wir nicht von der Landwirtschaft leben müssen. Uns finanziert das Hotel. Ich habe auch einfach Freude daran, Gastgeber zu sein und den Menschen jenseits von Wellness und Luxus einen Ort der ehrlichen Erholung zu bieten. Oder die Möglichkeit, ein Fest oder eine Firmentagung mit zu 100 Prozent zertifizierten ökologischen Lebensmitteln und einer guten Küche auszurichten.

Die Coronapandemie war für die Hotellerie eine schwierige Zeit. Wie sind Sie mit den Veränderungen umgegangen?

Als Chef darf ich nicht den Kopf in den Sand stecken und mich beklagen, dass mein Geschäft einbricht. Ich muss elastisch in der Hüfte bleiben, muss improvisieren und neue Ideen finden. Das habe ich wohl von meinem Vater gelernt. Und so haben wir Gut Sonnenhausen vom reinen Seminar und Eventhotel zu einem Ort gemacht, an den auch Individualgäste reisen können. Gerade stellen wir eine Außensauna fertig, auf einem freien Feld hinter dem Hof planen wir eine Kapelle und noch ein weiteres Gebäude. Sagen wir so: Wir haben noch viele Pläne und Ideen für die Zukunft!

Herr Schweisfurth, vielen Dank für das Gespräch.

 

Dieses Interview ist zuerst in Character erschienen, dem Gesellschaftsmagazin der Bethmann Bank. Auf unserer Webseite finden Sie mehr Informationen zur aktuellen Ausgabe.

 

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