„Die Politik muss klare Orientierung geben“
Die CO₂-Emissionen sollen weltweit drastisch sinken. Doch wie bekommen wir das hin? Moritz Schwarz vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat zusammen mit anderen Wissenschaftlern untersucht, welche Maßnahmen tatsächlich dazu beitragen. Im Interview erklärt er, was erfolgreiche Klimapolitiken auszeichnet.
Herr Schwarz, bisher hat noch niemand genau nachgeschaut, welche klimapolitischen Maßnahmen uns tatsächlich helfen, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Dabei ist es doch wichtig, zu wissen, was genau wie funktioniert. Warum ist vor Ihnen noch niemand auf die Idee gekommen?
Moritz Schwarz: Es gab bereits erste Versuche in diese Richtung. Aber um herauszufinden, welche Klimapolitiken funktionieren, benötigen Forschende große Datenmengen. Die lagen bislang nicht in ausreichendem Maße vor. Außerdem ist die Politik selten daran interessiert, zu evaluieren, was tatsächlich funktioniert. Politische Akteure sprechen lieber darüber, was eine Maßnahme künftig bewirken soll, statt rückblickend zu fragen, was ein Gesetz oder eine Vorschrift tatsächlich gebracht hat.
Wie sind Sie in Ihrer Studie vorgegangen?
Um herauszufinden, mit welchen klimapolitischen Maßnahmen in der Vergangenheit erfolgreich Emission reduziert werden konnten, haben wir eine neue Datenbank der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung genutzt. Sie speichert Daten aus 41 Ländern, die zwischen 1998 und 2022 rund 1.500 Klimamaßnahmen durchgeführt haben. Wir haben uns dabei auf die Sektoren Gebäude, Elektrizität, Industrie sowie Verkehr konzentriert und haben in insgesamt 69 Fällen erhebliche Emissionssenkungen entdeckt, die wir in 63 Fällen politischen Strategien zuordnen konnten. Sie beruhen auf 189 Einzelmaßnahmen, die zu einem Minus von durchschnittlich 19 Prozent geführt haben. Die Zahl wirkt mager – immerhin haben wir 1.500 Klimapolitiken untersucht. Aber diese Erfolgsgeschichten können als Vorbild dienen.
Und was genau trägt zum Erfolg bei?
Wir haben festgestellt, dass zwei Aspekte besonders wichtig sind: Erstens sollte bei nahezu jeder klimapolitischen Maßnahme die Bepreisung fossiler Energien eine Rolle spielen. An den Preisen zu drehen, ist übrigens so wirkungsvoll, dass es auch als Einzelmaßnahme gut funktioniert. Und zweitens ist es sinnvoll, Vorgaben für den Einsatz umwelt- und effizienzgerechter Technologien mit entsprechenden Förderungen zu kombinieren. Das schafft Anreize in der Industrie und bei der Bevölkerung, innovative Techniken einzusetzen.
Welche Maßnahmen bleiben in der Regel ohne Wirkung?
Grundsätzlich können wir nicht sagen, dass etwas nicht funktioniert hat – unsere Studie legt den Fokus auf Maßnahmen, die eine große Wirkung hatten. Dabei zeigt sich, dass Verbote oder Technologiestandards allein kaum zu Emissionsreduktionen führen. Sie wirken erst in Kombination mit Steuer- beziehungsweise Preisanreizen. Hier könnte man vermuten, dass diese Maßnahmen in Isolation nicht ambitioniert genug umgesetzt werden können.
Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?
Da ist zum Beispiel ein Blick nach Großbritannien interessant: Anfang 2010 stammten noch etwa 40 Prozent des Stroms aus Kohle. 2013 wurde jedoch ein Mindestpreis für CO₂ eingeführt, dadurch stiegen die CO₂-Kosten. Gleichzeitig legte die britische Regierung einen Kohleausstiegsplan vor und reduzierte die regulatorischen Anforderungen für Windkraft- und Solaranlagen. Die Kombination aus einem starken Preissignal für Kohleproduzenten und aus der Förderung erneuerbarer Energien hat dazu geführt, dass der Stromsektor deutlich seinen Kohlenstoffausstoß reduziert hat. Am 30. September 2024 wurde das letzte britische Kohlekraftwerk abgeschaltet. Dieser zehnjährige Prozess sollte ein Vorbild für den deutschen Stromsektor sein.
Welche Klimapolitiken waren in Deutschland erfolgreich?
Um erfolgreiche deutsche Klimapolitiken zu identifizieren, müssen wir etwas weiter zurückblicken: Die Ökosteuerreform von 1999 und die Einführung der Lkw-Maut im Jahr 2005 haben den CO₂-Ausstoß in Deutschland um etwa 18 Prozent reduziert. Dank der Mineralölsteuer waren Industrie und Verbraucher motiviert, energieeffizientere Fahrzeuge zu bauen beziehungsweise zu kaufen. Die Lkw-Maut wiederum hat Anreize geschaffen, auf effizientere Fahrzeuge und umweltfreundlicheren Güterverkehr umzusteigen. Damit hat die Politik die Investitionsrichtung klar vorgegeben. Das ist übrigens ein zentraler Aspekt für den Erfolg der Maßnahmen: Um den Markt für Neuerungen zu öffnen, muss die Politik langfristige Impulse setzen.
Warum gab es seitdem in Deutschland keine klimapolitischen Erfolge mehr?
Deutschland hat in den vergangenen 10 bis 15 Jahren zu wenig investiert, vor allem in die öffentliche Infrastruktur. Das zeigt auch das Beispiel Deutsche Bahn. Bei den Bahninvestitionen pro Kopf hinkt Deutschland etwa der Schweiz oder Österreich deutlich hinterher. Außerdem hat die Politik ihre Vorhaben unzureichend kommuniziert. Beispielsweise hat die gesamte Diskussion um das Heizungsgesetz bei Hausbesitzern mehr Verunsicherung als Klarheit geschaffen. Die Erfolge vielversprechender jüngere Ansätze, wie das Brennstoffemissionshandelsgesetz, bildet unsere Studie nicht ab.
Was kann die Politik aus Ihrer Arbeit lernen?
Die Politik muss klare Orientierung geben, in welche Richtung es mittel- und langfristig geht. Entscheidend ist zudem ein Mix von Maßnahmen – bislang wurde das viel zu wenig beachtet. Und nicht zuletzt spielt die Bepreisung eine zentrale Rolle. Dieses Instrument muss die Politik mit gezielten Förderungen, regulatorischen Eingriffen und Standards für Technologien verbinden. Ein weiterer entscheidender Punkt: Bei der Gestaltung der Maßnahmen ist zu berücksichtigen, dass hohe Investitionskosten selbstverständlich erst einmal finanzielle Belastungen mit sich bringen. Die gilt es, durch wirksame Förderungen abzumildern. Andernfalls droht ein Scheitern – wie beim Heizungsgesetz.
Viele Staaten wollen bis 2050 klimaneutral sein. Ist das realistisch?
Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass die Emissionslücke im Jahr 2030 global bei 23 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente liegt – vorausgesetzt, wir fahren unsere Anstrengungen nicht bald hoch. Forschungen zeigen aber, dass es möglich ist, die Lücke zu schließen. Dafür muss die Politik aus Studien wie unserer lernen. Wir haben ein hypothetisches Szenario berechnet: Wenn die 41 Länder, die wir untersucht haben, in jedem Sektor die wirksamste Maßnahme aus den anderen Ländern umsetzen würden, könnten wir mehr als 40 Prozent der Emissionslücke im Jahr 2030 beseitigen. Das zeigt: Es ist möglich, sie zu schließen, es sind aber noch weitere Anstrengungen notwendig.
Wissen die Entscheider der Politik denn von Ihren Ergebnissen und Vorschlägen?
Wir versuchen, die Studie zu verbreiten, stehen unter anderem in engem Austausch mit der Europäischen Kommission und präsentieren unsere Ergebnisse weltweit in verschiedenen Ministerien. Ich bin überzeugt, dass die Bereitschaft der Politik groß ist, evidenzbasierte Klimapolitik zu gestalten – unsere Studie ist hoffentlich ein kleiner Beitrag zu dieser großen Debatte.
Zur Person
Moritz Schwarz ist Klima- und Umweltökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und an der Technischen Universität Berlin. Im August 2024 hat er zusammen mit einem internationalen Team eine Studie im Fachmagazin Science veröffentlicht: „Climate policies that achieved major emission reductions: Global evidence from two decades“ untersuchte erstmals systematisch 1.500 politische Maßnahmen zur CO₂-Reduktion in 41 Ländern.
55 Prozent
Reduktion der Treibhausgasmissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 – das ist das Ziel der Europäischen Union.
Quelle: Europäische Kommission
102 Millionen Tonnen
Braunkohle hat Deutschland 2023 abgebaut und ist damit der größte Braunkohleproduzent der EU.
Quelle: Destatis
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