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Snack oder Sensor?

Text von Klara Walk
27.01.2025
Nachhaltigkeit

Weltweit wachsen die Elektroschrottberge – aber was, wenn man die Elektronik einfach aufessen oder wenigstens im Garten kompostieren könnte? Forschende arbeiten an neuen Materialien, die das Nachhaltigkeitsproblem schnelllebiger Elektronikprodukte zumindest reduzieren könnten.

Elektroschrott ist weltweit ein Problem: 62 Millionen Tonnen hat die Menschheit davon im Jahr 2022 laut dem Global-E-Waste-Monitor produziert. Er muss gesammelt und teils als Sondermüll entsorgt werden, damit man die giftigen und umweltschädlichen Materialien und Rohstoffe recyceln kann. Eine umweltgerechte Wiederverwertung ist jedoch nur für gut 22 Prozent dokumentiert. Vom Rest kann man nur hoffen, dass er nicht ungefiltert in die Umwelt gelangt ist. Forschende arbeiten an ausgefallenen Ideen, um das Müllproblem zu lösen. Sie wollen Elektronikprodukte nachhaltiger machen, biologisch abbaubar oder sogar leicht verdaulich.

Kartoffelstärke statt Plastik  

Das Laboratory of Sustainability Robotics der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) in Dübendorf tüftelt zum Beispiel an Flugdrohnen, die bei Umweltüberwachungen zum Einsatz kommen sollen. Dazu werfen die Drohnen Flugsensoren mit einen Lackmustest ab, dessen Farbwechsel Daten zum Säuregrad des Regens liefert und der komplett biologisch abbaubar ist. Die Flügel des Flugsensors bestehen aus Kartoffelstärke – sie erinnern an Esspapier. Nach getaner Arbeit zerfallen alle Teile des Sensors einfach zu Staub. 


Essbare Batterien - Buon Appetito!

Salz streuen die meisten von uns ins Nudelwasser, andere machen Batterien daraus: Große Batteriespeicher, die mit Natrium statt mit Lithium arbeiten, gibt es bereits, nur essen sollte man sie nicht. Im Rahmen des von der EU geförderten Projekts Robofood haben Forscher des Polytechnikums in Mailand nun eine komplett essbare und wiederaufladbare Batterie entwickelt. Die Anode besteht aus Riboflavin – ein Vitamin, das zum Beispiel in Fisch oder Milch enthalten ist. Die Kathode enthält Quercetin, das auch in Kapern und Mandeln vorkommt. Aktivkohle dient als leitfähiges Material zur Elektronenübertragung, ein Elektrolyt auf Wasserbasis ermöglicht den Ionenfluss. Aus Nori-Algenblättern, die üblicherweise für Sushi verwendet werden, haben die Forscher Separatoren gemacht, die Kurzschlüsse verhindern. Die weiteren Zutaten: Bienenwachs und Goldfolie, wie man sie in der Konditorei oder Patisserie verwendet. 

Auch wenn das nicht nach einem so richtig schmackhaften Menü klingt: Die essbare Batterie wurde vom Time Magazine als eine der 200 besten Erfindungen des Jahres 2023 ausgezeichnet. Essbare Batterien seien sicherer für Kinder, lautet die Begründung – und Batterien, die sich verdauen lassen, eröffnen ganz neue Möglichkeiten für medizinische Anwendungen innerhalb des Körpers. 
 

EMPA-Forscher Fabian Wiesemüller hat dieses Prinzip entwickelt. „Unser Ziel war es, eine Art Roboter herzustellen, der in der Umwelt seine Aufgabe verrichtet. Und der dann nach getaner Arbeit biologisch abbaubar ist, ohne toxische Stoffe zu hinterlassen“, erklärt er den Ansatz, der bereits andere Forscher zu sich selbstständig fortbewegenden Saatrobotern inspiriert hat . 

Noch sei das Sensormodell ein Proof of Concept, sagt Wiesemüller. Wenn es sich in der Praxis bewährt, können die Sensoren künftig großflächig eingesetzt werden, zum Beispiel um bestimmte Umweltgifte anzuzeigen, UV-Strahlung oder Temperaturen zu messen. Das Prinzip ist nicht nur umweltfreundlich, sondern bietet auch Vorteile fürs Budget. Wiesemüller zufolge schlägt die Herstellung gerade einmal mit ein paar Cent zu Buche. „Der größte Kostenfaktor bei solchen Umweltüberwachungsmaßnahmen ist jedoch der Personaleinsatz, und der kann mit unseren Flugsensoren drastisch reduziert werden“, erklärt Wiesemüller. Klar: Niemand muss die Sensoren per Hand verteilen, und niemand muss sie mühsam wieder einsammeln. Selbst die Datenauswertung erledigt eine Drohne aus der Luft.

Aus dem Sägewerk ins Smartphone

Ein noch größeres Müllproblem als Forschungselektronik stellt schnelllebige Alltagselektronik dar: Smartphones, Tablets, Notebooks oder Smartwatches und alle möglichen Wearables funktionieren nur dank sogenannter Printed Circuit Boards (PCBs). Diese dünnen Platten verbinden zum Beispiel in einem Smartphone alle wichtigen Bauteile, wie den Prozessor, den Akku, den Speicher und die Kamera, stabil miteinander. Ohne PCBs würde nichts funktionieren. Sie bestehen bisher in der Regel aus Epoxidharz und Glasfasern, wenn sie fest sind, und aus Polyimid oder Polyester, wenn sie biegsam sein müssen. „Wenn wir es schaffen würden, PCBs nachhaltiger zu gestalten, wäre schon mal ein großer Schritt im Kampf gegen die Umweltauswirkungen von Elektroschrott getan“, schätzt Wiesemüller deshalb.

Wenn die Elektronik sowieso nicht lange im Einsatz ist, warum dann Materialien für die Ewigkeit verwenden?
Martin Kaltenbrunner, Johannes Kepler Universität Linz

Genau daran arbeiten zum Beispiel Martin Kaltenbrunner und sein Team von der Johannes Kepler Universität in Linz. Sie haben ein Material gefunden, aus dem man biologisch abbaubare, flexible PCBs herstellen kann. „Sie sind weich und biegsam genug, dass sie zum Beispiel als medizinische Anwendung auf der Haut getragen werden können – also etwa als Pflaster“, erklärt Kaltenbrunner. Die bisher verwendeten Materialien seien jedoch weder in der Herstellung noch in der Entsorgung besonders nachhaltig.

Pilz statt Polyester

Die Idee der Österreicher: Warum nicht Pilzmyzel verwenden? Das verwendete Myzel kommt von einem Pilz namens Glänzender Lackporling und wächst auf Abfällen aus der Holzindustrie. „Es bildet dort sehr stabile, vernetzte Matten“, beschreibt Kaltenbrunner: „Wir ziehen sie ab, trocknen und pressen sie und gewinnen so am Ende einen Stoff, der ein wenig wie Papyrus aussieht.“

Im Gegensatz zu Papier bringt dieser Rohstoff weitere Eigenschaften mit, die flexible PCBs brauchen: Er zerreißt nicht so schnell, hat gute elektrische Isolationseigenschaften und ist vor allem temperaturstabil sowie brandhemmend – man kann also darauf löten. „Essen würde ich es wohl nicht, aber im Haushaltskompost lässt sich dieses Material problemlos entsorgen“, sagt Kaltenbrunner. Außerhalb des Komposts ist es trotzdem langlebig genug, um in Elektronikanwendungen verbaut zu werden. Große Elektronikfirmen haben bereits Interesse am Material signalisiert. 

Im Grunde sei der aktuelle Trend zu biologisch abbaubaren Bauteilen eine Rückbesinnung auf frühere Zeiten: Lange hatte man nur solche Materialien zur Verfügung, findet Kaltenbrunner. Das Argument, dass diese Materialien möglicherweise nicht ganz so lange haltbar sind wie bisher verwendete, lässt er nicht gelten: „Wenn die Elektronik sowieso nicht lange im Einsatz ist, warum dann Materialien für die Ewigkeit verwenden?"

17,6 Kilogramm
Elektroschrott pro Kopf fielen 2022 in Europa an
Quelle: Global E-Waste Monitor  

2,5 Kilogramm 
Elektroschrott pro Kopf fielen 2022 in Afrika an
Quelle: Global E-Waste Monitor  

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