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Vom Tellerwäscher zum Starkoch

Text von Lilian Schmitt
25.07.2023
Nachhaltigkeit

Geschirr aus recycelten Gläsern, mit Kompost geräuchertes Gemüse - der britische Ausnahmekoch Douglas McMaster geht unkonventionelle Wege. Mit Erfolg: Sein Restaurant in London verursacht fast keinen Müll.

Etwa 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel werden weltweit jährlich weggeworfen. Für einen Großteil davon ist die Gastronomie verantwortlich. Neben Essensresten fällt dort auch noch anderer Müll an: Verpackungen, Einweggläser oder Weinkorken. Ein britischer Koch will diese Abfälle weitestgehend vermeiden – und schlägt dafür auch schon mal radikale Wege ein.

Wenig Müll, viel Geschmack

Im Londoner Stadtteil Hackney, unweit des kanalisierten Flusses Lee Navigation, steht ein weißes Gebäude. Auf der Fassade prangen bunte Graffitis, typisch Hackney eben. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man das Restaurant „Silo London“ im Erdgeschoss. Hier serviert Douglas McMaster mit seinem Team edle Gerichte, ohne dabei Müll zu verursachen. Zero Waste nennt sich das Konzept, auf dem das Silo basiert. Koch McMaster verfolgt dabei die Vision, komplett zirkulär zu arbeiten.

Das zeigt sich schon in der Innenausstattung: Die Holztische sind durchzogen mit Myzel, einer Pilzsorte. Die Bar ist aus recycelten Verpackungen hergestellt. Der Boden besteht aus alten Weinkorken. 60 Menschen haben im Silo London Platz. Wer hierher kommt, genießt nicht nur ein Gericht aus Muscheln, Gurken und Schmand oder exquisite Weine, sondern auch das ungewöhnliche Ambiente. Kurzum: Das Restaurant liegt voll im Trend.

Dabei war McMaster die Karriere als Koch nicht in die Wiege gelegt. Er wuchs mit Lebensmitteln aus Dosen und Vakuumverpackungen auf. Instant-Kartoffelpüree und andere schnell zubereitete Gerichte bestimmten seine Kindheit. Mit 16 Jahren brach McMaster die Schule ab und begann, in einem Restaurant Geschirr zu waschen. Dort landete er zufällig am Herd und stieg in der Küchen-Hierarchie schnell nach oben auf.

Im Jahr 2009 nahm er an einem BBC-Kochwettbewerb teil und wurde, gerade einmal 21 Jahre alt, tatsächlich zum besten jungen Koch Großbritanniens gekürt. Noch im selben Jahr begab sich McMaster auf Weltreise und traf in Australien auf den Künstler und Zero-Waste-Aktivisten Joost Bakker. Mit ihm zusammen entwickelte McMaster das Silo-Konzept und gründete 2014 in seiner Heimatstadt Brighton zunächst das Silo Brighton. Als der Mietvertrag für das Restaurant in Brighton im Jahr 2019 endete, beschloss McMaster, nach London zu ziehen. Er wollte zeigen, dass sein System auch in der Großstadt funktioniert.

„Wir haben die Zero Waste Cooking School gegründet“, so Douglas McMaster. Damit seine Gäste auch zu Hause Müll vermeiden können.

Im Kompost geräuchert

Wenn es um Müllvermeidung geht, ist die Fantasie des jungen Kochs schier unbegrenzt. Er konzipierte eine besondere Art der Zubereitung: McMaster kompostierte Zitronenabfälle aus einer Limonaden-Brauerei und kochte beziehungsweise räucherte darin Karotten. Online loben die Gäste seine Gerichte überschwänglich: „Silo beherrscht es, den Geschmack jedes Gemüses hervorzuheben und zu verstärken“ und „Das Essen ist nicht von dieser Welt, es gibt so viele Geschmacksrichtungen, die ich noch nie zuvor erlebt habe“ heißt es da zum Beispiel.

Besonders stolz ist der Brite auf ein Gericht: Kürbiskern-Eis. Ursprünglich war das Dessert ein Kochunfall: „Eine Kürbiskernbutter geriet zu locker, also beschloss ich, sie in einer Eismaschine zu drehen. Ihr salzig-süßer, reichhaltiger Geschmack und die fettige, seidige Textur waren überzeugend“, berichtet McMaster. Das Team probierte mehr als sechs Jahre lang weiter an dem Eis herum und ließ sich dabei vom japanischen Furikake inspirieren. Nun wird das Eis in dem speziellen Reisgewürz gerollt und mit Feigenblattöl serviert. „Das fertige Gericht ist so exquisit, dass es schon Gäste zum Weinen brachte“, sagt der Ausnahmekoch.

Recycling bis zum letzten Krümel

Die Saison bestimmt die Menükarte von Silo London. Etwa 95 Prozent der Lebensmittel stammen aus der Region und landen zu 100 Prozent in den Töpfen. Das Gemüse kommt in wiederverwendbaren Kisten, Milch und Sahne in Edelstahlbehältern, Getränke in Fässern an. „Vor allem Produkte, die nicht aus der Region stammen, sind eine größere Herausforderung, weil sie für den langen Transport besser verpackt sein müssen“, sagt der heute 36-Jährige. Inzwischen ist McMaster dazu übergegangen, das Geschirr des Restaurants aus diesem Müll herzustellen. Dazu mahlt er etwa Einweggläser zu Pulver, das dann eine Töpferei zu Glaskeramik für Teller und Schüsseln weiterverarbeitet. So bleibt die Mülltonne leer - fast.

Es sind die letzten fünf Prozent, die McMaster besonders herausfordern. Dazu gehören eben die Verpackungen für Artikel, die eine längere Anreise haben, wie etwa tropische Früchte. Doch auch dafür hat McMaster mittlerweile eine Lösung gefunden: Sein Importeur verschickt das Obst in einer Kurierbox ohne Plastikband oder Isolierung. „Andere tropische Waren wie Schokolade, Panella-Zucker, Reis oder Bohnen kommen hier mit einem alten hölzernen Segelschiff an, das bei seiner Fahrt keinerlei CO2-Emissionen ausstößt. Wir bezeichnen diese Lebensmittel liebevoll als 'Piratenprodukte'“, erklärt Douglas McMaster. Zweimal im Jahr erhält Silo eine Lieferung per Schiff. Dann gehen McMaster und sein Team persönlich zum St. Katherine's Dock, um den Seglern beim Löschen der Fracht zu helfen, die in großen Säcken verpackt ist.

Kochschule auf TikTok

Damit seine Gäste auch zu Hause Müll vermeiden können, hat McMaster ein neues Projekt gestartet. „Wir haben die Zero Waste Cooking School gegründet“, erzählt er. Auf Instagram, TikTok und YouTube geben McMaster und sein Team nützliche Tipps und stellen Zero-Waste-Rezepte zum Nachkochen vor. Sie zeigen beispielsweise, wie sie aus Früchteschalen Tepache herstellen – ein mexikanisches Getränk, dass an Kombucha erinnert.

Wer sich lieber bekochen lassen will und zwischen den Gängen im Silo London seinen Blick intensiver schweifen lässt, entdeckt im hinteren Teil des Restaurants den „cupboard of mistakes“. Dieses Möbel ist McMasters ultimative Herausforderung, wie er gegenüber der britischen Zeitung „The Independent“ erzählt. Dort bewahrt der Starkoch auf, was er noch immer nicht verwerten kann. In zwei Jahren füllt sich so ein 30-Liter-Glas, etwa mit Verpackungen von Käse oder Ofenreinigertabletten. Wie er auch diese letzten Abfälle noch recyceln kann, muss ihm noch einfallen.

78 Kilogramm
Lebensmittel wirft jeder Verbraucher in Deutschland pro Jahr weg. Quelle: https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/studie-lebensmittelabfaelle-deutschland.html

6 Prozent
der weltweiten Treibhausgasemissionen sind auf Lebensmittelabfälle zurückzuführen.
Quelle: https://ourworldindata.org/food-waste-emissions

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