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Die doppelte Null

Text von Heike Fischer
30.06.2022
Nachhaltigkeit

Im Recyclingwerk Site Zero sollen in Zukunft die Kunststoffverpackungen sämtlicher schwedischer Haushalte sortiert, getrennt und wiederverwertet werden. Der Name ist gleich doppelt Programm: „Zero Waste. Zero Emissions.“, lautet das Ziel des schwedischen Kunststoffrecyclingunternehmens Svensk Plaståtervinning.

Lakritztüten, Milchkartons, Zahnpastatuben, Obstfolien, Wasserflaschen und Suppendosen ziehen auf fünf Kilometer Förderbändern ihre Bahnen. Luftströme in XXL-Trommelsieben wirbeln die Kunststoffverpackungen durcheinander. Dann sortieren und fraktionieren die Anlagen die bunte Mischung fein säuberlich nach Größe, Gewicht und Konsistenz. Separiert werden nicht nur farbige von transparenten PET-Flaschen oder Metalldeckel von PET-Schalen. Site Zero kann mehr: In Zukunft werden gleich zwölf verschiedene Arten von Kunststoffverpackungen unterschieden. Dazu gehören die Kunststoffe Polypropylen, Polyethylen, PET, Polystyrol, PVC und Polyolefin-Mischungen sowie Metalle und Nicht-Kunststoffabfälle. Möglich ist dies dank eines innovativen Sortierprozesses, bei dem 60 Nah-Infrarot-Sensoren zum Einsatz kommen. Das optische Messverfahren kann, im Unterschied zum menschlichen Auge, die Muster und Farben von Kunststoffen detektieren.

Soweit der Blick die Zukunft. Noch ist „Site Zero“ nämlich eine Baustelle im Großformat auf rund 60.000 Quadratmetern. Doch schon 2023 soll in Motala in der schwedischen Provinz Östergötland mit der „weltweit größten und modernsten Kunststoff-Recyclinganlage“ nichts weniger als die schwedische Recycling-Revolution starten. Laut Mattias Philipsson, CEO des Anlagenbetreibers Svensk Plaståtervinning, kann das skandinavische Land damit weltweit führend im Kunststoffrecycling werden. Der neue Sortierprozess löst nämlich das Kernproblem des Kunststoffrecyclings: die sortenreine Trennung der Verbundstoffe. Denn Kunststoff ist nicht gleich Kunststoff. Unterschiedliche Materialien, Materialeigenschaften und Zusatzstoffe erschweren das Trennen, was Voraussetzung für die Gewinnung hochwertiger Recycling-Rohstoffe, die Rezyklate, ist. Die aufwendige Säuberung und Sortierung gehört zu den Gründen, weshalb Kunststoffverpackungen immer noch in der Verbrennungsanlage landen und Kunststoffe aus Rohöl statt aus Rezyklaten hergestellt werden.

Null Müll, null Emissionen

„Together we make plastic circular“, heißt es bei Svensk Plaståtervinning. Jährlich will man in Schweden 200.000 Tonnen verarbeiten und recyceln. Was nichts anderes bedeutet, als dass der komplette Plastikmüll aus schwedischen Haushalten in Site Zero landet. Das Verbrennen der Materialien ist dabei tabu. „Wir stellen sicher, dass die Kunststoffverpackungen als hochwertige Sekundärrohstoffe Teil der Kreislaufwirtschaft bleiben", erklärt CEO Mattias Philipsson.

In den ersten beiden Betriebsjahren werden die Kunststoffe nach dem Sortieren und Trennen zu neuen Verbundprodukten verarbeitet oder chemisch recycelt, sodass grundlegende Rohstoffbestandteile wie Erdöl zurückgewonnen werden. 2025 folgt die nächste Phase: Dann soll die Anlage die Kunststoffabfälle auch waschen und granulieren – die schwedische Kreislaufwirtschaft in puncto Plastikmüll ist damit komplett geschlossen. Dank der Nutzung erneuerbarer Energien arbeitet die südschwedische Anlage zudem klimaneutral und verursacht keine Emissionen. So wird zum Beispiel das große Flachdach des Site-Zero-Gebäudes mit Solarzellen bedeckt.

Expertise aus Bergisch Gladbach

Immerhin ist Deutschland an der schwedischen Doppelnull nicht ganz unbeteiligt. Obwohl Schweden für seine überaus nützlichen Erfindungen – vom Reißverschluss bis zum Herzschrittmacher – weltberühmt ist, setzt man beim Sortieren von Kunststoffen nämlich auf bewährte deutsche Ingenieurskunst. Genauer gesagt auf die Expertise des Recycling-Anlagenherstellers Sutco Recycling Technik. Das Unternehmen ist einer der weltweit größten Hersteller von Aufbereitungsanlagen für verschiedene Abfallarten. Schon das erste Recyclingwerk in Motala kam aus der Bergisch Gladbacher Anlagenschmiede. Dieses galt bei seiner Inbetriebnahme im Jahr 2017 ebenfalls als eine der effizientesten und modernsten Aufbereitungsanlagen für Kunststoffe in Europa. An Motala II, wie Site Zero auch genannt wird, arbeiteten die Sutco-Experten gemeinsam mit einem norwegischen Ingenieurbüro – insgesamt zehn Monate dauerte die Planung und Entwicklung der Vorzeigeanlage.

Dass deutsche Expertise im Ausland so gefragt ist, bedeutet aber noch lang nicht, dass auch hierzulande bald eine geschlossene Kreislaufwirtschaft für Plastikmüll zu erwarten wäre. Der Grund: Während man in Schweden mit zehn Millionen Einwohnern mit jährlich 200.000 Tonnen Kunststoffverpackungen rechnet, ist der Müllberg in Deutschland weitaus höher: Laut Bundesumweltamt wurden 2019 etwa 6,2 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle verursacht. Nicht zuletzt, weil zwischen Flensburg und Garmisch eine weitere dieser praktischen schwedischen Erfindungen tagtäglich im Einsatz ist und sich bei den Verbrauchern großer Beliebtheit erfreut: der Tetra Pak. Um den deutschen Plastikmüll komplett zu recyceln, bedarf es also einer Vielzahl von Site-Zero-Anlagen – und jede erfordert eine Investition in Höhe von knapp 100 Millionen Euro.

Dennoch gilt auch für Deutschland: Damit wir unsere Plastikabfälle nicht weiterhin im großen Stil dem Mülltourismus überlassen, muss die Kreislaufwirtschaft forciert werden. Spätestens bis 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein und aus der Nutzung fossiler Brennstoffe aussteigen will, müssen Kunststoffe komplett aus Rezyklaten und aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt werden.

720.000 Tonnen
Plastikmüll hat Deutschland 2021 exportiert. Die Hauptabnehmer: die Niederlande (19 Prozent) und die Türkei (15 Prozent).
Quelle: https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/abfall-und-recycling/26205.html

5 Stufen
nennt das Kreislaufwirtschaftsgesetz zur Behandlung von Abfällen: Vermeidung, Vorbereitung zur Wiederverwendung, Recycling, energetische Verwertung oder ähnliches sowie Beseitigung.
Quelle: https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Abfallwirtschaft/krwg_leitfaden_abfallhierarchie_bf.pdf

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