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Das Ende der Gasnetze

Text von Sina Hoffmann
29.08.2023
Nachhaltigkeit

Die Schweizer Gemeinde Thalwil hat bereits im Frühjahr 2023 einen Masterplan zum Klimaschutz präsentiert. Eine der konkreten Maßnahmen lautet, die Gasnetze abzuschalten. In Deutschland steht die Wärmewende hingegen noch am Anfang. Was können wir von Thalwil lernen?

Die Gemeinde Thalwil mit rund 18.000 Einwohnern liegt umgeben von malerischen Bergen am Zürichsee. Hier setzt man sich schon seit vielen Jahren mit der Klimakrise auseinander. Im Rahmen des Projekts „Masterplan Klima“ hat die Gemeinde in enger Zusammenarbeit mit den Einwohnern 28 konkrete Maßnahmen in acht Themenbereichen erarbeitet. Die radikalste: die Stilllegung der Gasnetze im Jahr 2045. Damit haben die Schweizer den Deutschen einiges voraus. Denn ein Blick auf den aktuellen Stand der Wärmeplanung zeigt: Das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu heizen, liegt hierzulande in weiter Ferne.

Adieu Gasnetze, grüezi Fernwärme

Die Überlegung, die Gasnetze in Thalwil stillzulegen, resultiert aus dem vom Kanton Zürich im September 2022 verabschiedeten Energiegesetz, das ein Verbot zum Einbau fossiler Heizungen beinhaltet. „Mit dem Beschluss war natürlich klar, dass mittelfristig fast niemand mehr das Netz brauchen wird“, so Hanspeter Giger, Gemeinderat von Thalwil und Vorsitzender der Umweltkommission. Die Instandhaltung sei weder aus klimapolitischen noch aus wirtschaftlichen Überlegungen sinnvoll. Stattdessen wird nun auf Fernwärme und Wärmepumpen gesetzt. „Wir stehen mitten in der Einführung eines Fernwärmenetzes, das mit Wärme aus dem See gespeist und per Wärmepumpen auf das notwendige Temperaturniveaugebracht wird“, erklärt Giger. Weitere Projekte wie der Ausbau der Kläranlage zur Nutzung der Abwärme sind bereits in Planung.

Da nun das Ziel gesetzt ist, machen sich auch die Bürger Thalwils eifrig an den Einbau von Wärmepumpen, die vom Kanton gefördert werden. „Der Umstieg auf Fernwärme ist für Mehrfamilienhäuser oder Siedlungen schon jetzt sehr interessant. Für Einfamilienhäuser ist er aufgrund der hohen Anschlusskosten nicht optimal“, so Giger. Aus diesem Grund entscheiden sich die meisten Eigentümer für eine Luft- oder Erdsonden-Wärmepumpe.

Mit dem Beschluss war natürlich klar, dass mittelfristig fast niemand mehr das Gasnetz brauchen wird.
Hanspeter Giger, Gemeinderat von Thalwil und Vorsitzender der Umweltkommission

Gemeinsam mehr erreichen

Die Gemeinde hat die Einwohner von Anfang an in den Entstehungsprozess des Masterplans Klima einbezogen und zum Beispiel Umfragen durchgeführt. Parallel wurden zwei Bürgerbeteiligungsprojekte umgesetzt: das Bürgerpanel Thalwil zum Klimaschutz und das EU-Forschungsprojekt Leveraging Leadership for Responsible Research and Innovation in Territories (RRI-Leaders) zur Energiewende. Das Bürgerpanel ermöglichte den Teilnehmenden, sich aktiv an der Diskussion zu den beiden Teilbereichen „Gebäude“ und „Mobilität“ des Masterplans Klima zu beteiligen. Als größten Vorteil des Bürgerpanels, das vom Zentrum für Demokratie Aarau der Universität Zürich wissenschaftlich begleitet wurde, sieht Giger die zufällige und repräsentative Auswahl der Einwohner. „Es wurden nicht nur Wahlberechtigte einbezogen, sondern auch Jugendliche und Bürger anderer Nationalitäten, die hier leben.“

Auch für das Format RRI-Leaders wurden interessierte Thalwiler methodisch ausgewählt. Einer davon ist Christian Kling, Unternehmensberater und Präsident des Handwerk- und Gewerbevereins (HGV). In Workshops tauschten sich die Thalwiler mit drei Städten in Bulgarien, Griechenland und Spanien aus, um von deren Projekten zu lernen. Der gebürtige Kölner sieht in der Bürgerbeteiligung einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem deutschen System: „So werden die Meinungen möglichst vieler Leute in den Entscheidungen widergespiegelt, was automatisch zu mehr Akzeptanz führt.“

Wie steht es um die kommunale Wärmeplanung?

Auch in Deutschland sollen laut aktuellem Gesetzesentwurf Maßnahmen zum klimaneutralen Heizen ausgearbeitet werden. Die Wärmepläne in Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern müssen bis 2026 und in kleineren Kommunen bis 2028 vorliegen. „Wir brauchen eigentlich nicht eine, sondern etwa 10.700 Wärmewenden – in jeder Gemeinde eine“, so Robert Brückmann, Leiter des Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende (KWW) der Deutschen Energie-Agentur. Nach Schätzungen des KWW arbeiten Stand August 2023 mindestens 400 Kommunen bundesweit an ihrer Wärmeplanung. Dem KWW sind bisher 14 Abschlussberichte bekannt. Eine deutschlandweite Übersicht existiert bisher nicht.

Einige Bundesländer haben sich dazu verpflichtet, die Wärmewende schneller anzugehen. In Baden-Württemberg etwa läuft die Frist zur kommunalen Wärmeplanung für die 104 Gemeinden bis zum Jahresende. Anfang August 2023 hatten sechs Kommunen ihre Planung abgeschlossen. Der Geschäftsführer der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg, Volker Kienzlen, sieht in der niedrigen Abgabequote jedoch keinen Grund zur Sorge: „Ich bin sicher, dass alle Kommunen auf einem guten Weg sind.“

Vorreiter ist der Landkreis Lörrach, der als erster seine Planung für insgesamt 35 Städte und Gemeinden innerhalb von zwei Jahren erstellt hat. Die Bürger wurden bisher nicht aktiv in das Projekt einbezogen, eine Beteiligung sei perspektivisch geplant. Erste Maßnahmen, unter anderem eine Machbarkeitsstudie und die Beratung zum Ausbau erneuerbarer Energien, wurden angestoßen. Ziel ist es, bis zum Jahr 2040 eine klimaneutrale kommunale Wärmeversorgung zu gewährleisten – fünf Jahre früher noch als Thalwil. Obwohl die Schweizer Gemeinde hinsichtlich der Umsetzung schon ein ganzes Stück weiter ist.

Wir brauchen eigentlich nicht eine, sondern etwa 10.700 Wärmewenden – in jeder Gemeinde eine.
Robert Brückmann, Leiter Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende der Deutschen Energie-Agentur

Das Energie-Dilemma

Die Beschaffung aktueller Daten, Personalmangel, fehlende Finanzierungsmöglichkeiten sowie unterschiedliche Rahmenbedingungen für den Einsatz erneuerbarer Energien führen deutschlandweit zu Verzögerungen. Nicht geklärt ist etwa, ob und wie Gasnetze nach 2045 weiterbetrieben werden können. Von Stilllegungen ist keine Rede. Stattdessen sieht der Netzentwicklungsplan Gas vor, bis 2030 knapp acht Milliarden Euro in den Ausbau deutscher Gasleitungen zu investieren.

Die Hoffnung liegt aktuell auf dem Wundermittel Wasserstoff. Ob grüner Wasserstoff als Ersatz für Erdgas in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen wird und in den vorhandenen Leitungen transportiert werden kann, ist jedoch fraglich. „Wir sollten einfach nicht auf diese Mär von Wasserstoff für Privatwohnungen reinfallen. Im Wärmebereich haben wir viel effizientere und kostengünstigere Varianten, wie Solarthermie, Wärmepumpen und Wärmenetze oder Abwärme“, sagt Mira Jäger, Energieexpertin bei Greenpeace.

Ihrer Meinung nach braucht es verbindliche gesetzliche Vorgaben statt verwässerter Gesetzesentwürfe – und das schnell. Nur so sei die Ausgestaltung der Wärmewende für Kommunen, Unternehmen und Privatpersonen planbar. Die einflussreiche fossile Lobby und die negative Berichterstattung verunsichern die Menschen zusätzlich, kritisiert Jäger. Vielmehr sollte man sich an positiven Beispielen orientieren, die sowohl in einigen deutschen Kommunen wie Lörrach als auch in unseren Nachbarländern zu finden sind. Der Blick nach Thalwil mit einer starken Bürgerbeteiligung und der schnellen Ausarbeitung konkreter Maßnahmen zeigt, wie der Weg Richtung Wärmewende aussehen kann.

14 Prozent
der deutschen Haushalte beziehen aktuell Fernwärme.
Quelle: BDEW, 2022

511.000 Kilometer
ist das deutsche Gasnetz lang.
Quelle: BDEW, 2022

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