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Das Comeback der Moore

Text von Maria Kessen
31.01.2022
Nachhaltigkeit

In früheren Zeiten galten Moore als mystisch und gefährlich. Heute weiß man, wie sehr sie dem Klima helfen. Kein anderer Landlebensraum kann so viel Kohlenstoff speichern. Die Renaturierung der Ökosysteme ist vielerorts schon in vollem Gange.

Das Sulinger Moor im niedersächsischen Landkreis Diepholz soll wieder ein intaktes Moor werden. Im Winter des Jahres 2020 begannen die Bagger mit der Arbeit. Auf rund 65 Hektar wurden Birken entfernt, Entwässerungsgräben zugeschüttet und Dämme gebaut. Ziel der Bauarbeiten ist es, den Wasserstand auf der Moorfläche wieder anzuheben. Anders als oft angenommen bedeutet Wiedervernässung in der Regel nicht, dass Wasser in das Moor geleitet wird. Es geht vielmehr darum, die Niederschläge auf der Fläche zu halten und so den Wasserpegel zu heben.

Noch bis vor wenigen Jahren teilte das Sulinger Moor das Schicksal der meisten Moore in Deutschland. Vor rund hundert Jahren wurde es entwässert, unter anderem um Torf als Brennstoff zu gewinnen. In Niedersachsen, einem der moorreichsten Bundesländer, zerstörte der Torfabbau ein Viertel der Moorflächen. Bundesweit fielen in den letzten Jahrhunderten rund 95 Prozent der ursprünglichen Moorlandschaft dem Torfabbau oder der Land- und Forstwirtschaft zum Opfer.

Das wollen Moor-Retter jetzt vielerorts rückgängig machen. Felix Grützmacher ist Moorschutz-Referent beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) und betreut die Renaturierung des Sulinger Moors. „Auch dort bauten die örtlichen Bauern noch bis in die Nachkriegszeit Torf ab,“ sagt er. Anderen Mooren ging es nicht besser. Bereits Mitte des 18. Jahrhunderts begann vor allem in Norddeutschland die Zeit der sogenannten Moorkolonisation, in der Moorlandschaften für Siedlung und Landwirtschaft trockengelegt wurden.

Was damals als große Errungenschaft angesehen wurde, stellt sich aus heutiger Sicht als schwere Umweltsünde dar. Denn Wissenschaftler haben längst erkannt, dass trockengelegte Moorböden schädlich für das Klima sind. Wird einem Moor das Wasser entzogen, trocknet der Torf aus und Treibhausgas wird freigesetzt. Über die Zeit entweicht der über viele Jahrtausende im Torf gebundene Kohlenstoff in Form von Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre. In Deutschland setzen entwässerte Moorflächen jährlich rund 53 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente frei, das entspricht ungefähr 6,7 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen Deutschlands.

Intakte Moore hingegen haben den gegenteiligen Effekt. Sie entziehen der Atmosphäre CO2 und speichern ihn als Kohlenstoff im Torf. Moore sind die einzigen Ökosysteme, die langfristig Kohlenstoff binden können. In puncto Klimaschutz sind Moore damit echte Superhelden: In einer einen Meter dicken Moorschicht speichern sie pro Hektar ungefähr sechsmal so viel Kohlenstoff wie ein hundertjähriger Wald auf gleicher Fläche. Und obwohl Moore nur drei Prozent der globalen Landfläche bedecken, geht man davon aus, dass ein Drittel des gesamten Kohlenstoffs in Mooren gebunden ist.

In Anbetracht dieser Zahlen sind sich Experten aus Politik und Wissenschaft in Deutschland einig, dass die Pariser Klimaziele ohne intakte Moore nicht zu erreichen sind. Im Oktober 2021 vereinbarten Bund und Länder deshalb eine großflächige Wiedervernässung der Moore. Der Bund finanziert die Projekte bis zum Jahr 2025 mit rund 330 Millionen Euro. Dadurch sollen die jährlichen Treibhausgasemissionen aus Moorböden bis zum Jahr 2030 um fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gesenkt werden.

Diese Pläne stoßen aber nicht überall nur auf Zustimmung. Bauern in Brandenburg, wo ein Großteil der Moore landwirtschaftlich genutzt wird, fürchten zum Beispiel einen Anstieg des Grundwassers auf Weide- und Ackerland. Die Landwirte halten Klimaschutz zwar für eine wichtige Aufgabe, fühlen sich aber gleichzeitig von der Öffentlichkeit unter Druck gesetzt.

Derweil geht es vielerorts mit Moorschutz-Projekten nur langsam voran. Auch beim Sulinger Moor dauerte es viele Jahre, bis der erste Bagger anrollen konnte. „Viele behördliche Genehmigungsverfahren dauern einfach sehr lange,“ klagt NABU-Moorschützer Grützmacher. Viel Zeit brauchen auch die behördlichen Flurbereinigungsverfahren, die der Zusammenlegung von land- und forstwirtschaftlichem Grundbesitz dienen und der Wiedervernässung oft zwangsläufig vorgeschaltet sind. „Es kann vorkommen, dass ein einziger Hektar Moor fünf, sechs oder noch mehr verschiedenen Grundbesitzern gehört,“ erklärt Grützmacher. „Bevor wir mit einem Projekt starten können, benötigen wir die Zustimmung aller Eigentümer oder müssen die Flächen kaufen. Und das kann teuer werden, denn gerade bei landwirtschaftlich genutzten Flächen orientieren sich die Preise an der Vornutzung, also zum Beispiel an Acker- oder Grünlandpreisen.“ 

Rund 350 Kilometer östlich von Sulingen betreut der NABU ein weiteres Moorprojekt, das Biesenthaler Becken bei Berlin. Dieses Moorschutzprojekt ist Teil des europäischen EU-LIFE-Projekts Peat Restore, das der NABU gemeinsam mit acht Partnerorganisationen aus Polen und dem Baltikum initiiert hat. Die Projektpartner haben sich zur Aufgabe gemacht, beschädigte Moore in Estland, Lettland, Litauen, Polen und Deutschland in naturnahe Lebensräume zurückzuentwickeln. In dem Naturschutzgebiet des Biesenthaler Beckens waren zuletzt immer wieder Bagger unterwegs, um den Wasserspiegel an mehreren Stellen wieder anzuheben. Um den Grundwasserspiegel zu stabilisieren, mussten außerdem die vielen Kiefern im Mooreinzugsgebiet gefällt werden. Zwar wurde in der Gegend nie systematischer Torfabbau betrieben, die Entwässerung und die Umgestaltung der Fließgewässer führten jedoch dazu, dass sich der Wassergehalt des Moores veränderte – mit schwerwiegenden Folgen für das Klima und die dort lebenden Pflanzen- und Tierarten.

Funktionierende Moore schützen zwar das Klima, zugleich sind sie aber durch den Klimawandel bedroht. „Das große Niederschlagsdefizit der vergangenen Jahre macht den Mooren richtig zu schaffen,“ sagt Grützmacher. Ob und inwieweit sich die ursprüngliche Moorfunktion in Sulingen, im Biesenthaler Becken und anderswo wieder einstellt, wird die Zukunft zeigen. „Letztlich können wir nur die Voraussetzung dafür schaffen, dass sich früher oder später die ursprünglichen Zustände wiedereinstellen,“ sagt Grützmacher. „Wir erschaffen nicht das Moor, das Moor muss sich selbst erschaffen.“

53 Millionen Tonnen
Summe der CO2-Äquivalente, die entwässerte Moorflächen in Deutschland pro Jahr freisetzen
Quelle: Bundesregierung

6,7 Prozent
Anteil des CO2 aus Mooren an den gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland
Quelle: Bundesregierung

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