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Das Circular Valley in Wuppertal

Text von Lilian Schmitt
28.02.2024
Nachhaltigkeit

Lineares Wirtschaften belastet die Umwelt. Carsten Gerhardt will das ändern. Seine Initiative Circular Valley unterstützt zirkuläre Ideen und bringt Start-ups mit etablierten Unternehmen zusammen, um den Austausch für eine nachhaltige Zukunft zu fördern.

Produkte herstellen, konsumieren und am Ende entsorgen – so ticken die meisten Unternehmen und Konsumenten weltweit. Mit fatalen Folgen: Diese Art des Wirtschaftens verursacht große Müllberge und verbraucht mehr Rohstoffe als nachwachsen können. Zudem ist die Herstellung ständig neuer Produkte verantwortlich für den steigenden Ausstoß diverser Treibhausgase. Doch es gibt eine Lösung: die zirkuläre Wirtschaft, auch Kreislaufwirtschaft oder Circular Economy genannt. Dabei handelt es sich um einen fast abfallfreien Kreislauf, bei dem Ressourcen immer wieder genutzt werden können. Das reduziert sowohl Müll als auch CO2-Emissionen und schont Rohstoffe.

Zirkulärer Hotspot Rhein-Ruhr

Carsten Gerhardt hat sich der Kreislaufwirtschaft verschrieben. Sein Ziel: die Rhein-Ruhr-Region als internationales Zentrum der Circular Economy zu etablieren. Hierfür prägt er seit 2020 den Begriff des Circular Valley. Das Gebiet von Aachen bis Paderborn, von Münster bis Bonn ist der ideale Standort für seine Idee, schließlich zeichnet sie sich durch ihre starke industrielle und wissenschaftliche Prägung aus: Sie weist die größte Dichte an Weltmarktführern aus diversen Branchen auf, an mehr als 60 Universitäten und Instituten wird Forschung und Lehre betrieben. „Der ideale Ort also, um innovative Ideen zur Kreislaufwirtschaft mit finanzstarken und gut vernetzten Unternehmen zusammenzubringen“, sagt der Physiker. 

Mit dem Circular Valley sind wir Teil eines sehr breiten Netzwerks. Alle arbeiten gemeinsam am selben Ziel – das gab es vorher nicht.
Patrick Glöckner, Leiter Global Circular Economy Program Evonik

Für dieses Ziel gründete Gerhardt die Circular-Valley-Stiftung, unter deren Mitgliedern sich zahlreiche namhafte Konzerne befinden, zum Beispiel das Spezialchemieunternehmen Evonik. „Als uns Carsten Gerhardt seine Vision vorstellte, war ich sehr beeindruckt“, sagt Patrick Glöckner, Leiter Global Circular Economy Program bei Evonik. Wie so viele Unternehmen steht der Essener Konzern vor der Herausforderung, seine CO2-Emissionen reduzieren zu müssen. „Mit dem Circular Valley sind wir Teil eines sehr breiten Netzwerks. Alle arbeiten gemeinsam am selben Ziel – das gab es vorher nicht“, so Glöckner.

Das kann Gerhardt bestätigen: „Wenn beispielsweise eine Krankenkasse und ein Kunststoffhersteller gemeinsam darüber nachdenken, Rollstühle nachhaltig zu bauen, sodass sich die Kunststoffe am Ende des Lebenszyklus besser recyceln lassen, entstehen viele neue Ansätze, um Ressourcen zu sparen.“
Zweimal im Jahr lädt die Circular-Valley-Stiftung 15 Start-ups aus aller Welt ein, ihre zirkulären Geschäftsideen bei einem Demoday vor den Stiftungsmitgliedern zu präsentieren. 2024 dreht sich zum Beispiel alles um die drei Schwerpunkte alternative Rohstoffe und Bioökonomie, chemisches Recycling und Wertschöpfungskette. Den Gewinnern winkt die Aufnahme in den Circular-Economy-Accelerator: Drei Monate lang arbeiten sie mit erfahrenen Coaches und Mentoren zusammen, tauschen sich intensiv mit anderen Gründern aus und knüpfen Kontakte zu Kooperations- sowie Geschäftspartnern, die ihr noch junges Unternehmen voranbringen.

Mikroplastik ersetzen

So etwa Bioweg aus dem niedersächsischen Quakenbrück. Gründer Srinivas Karuturi hat eine biologisch abbaubare Alternative zu Mikroplastiken entwickelt, wie sie in der Kosmetik- oder der Lebensmittelindustrie verwendet werden. 2021 wurde das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik am Demoday auf Bioweg aufmerksam und vereinbarte eine Zusammenarbeit. In den Laboren der renommierten Forscher aus Oberhausen konnte das Start-up erste Materialtests durchführen. „Das war für uns eine große Chance, eine solche Laborausstattung hätten wir uns niemals leisten können“, sagt Karuturi. Auch sein ursprüngliches Ziel, sich einen Namen unter potenziellen Geschäftspartner zu machen, ging auf: „Wir sind dank des Circular Valley nun im gesamten Westen Deutschlands bekannt.“ 

Mittlerweile verfügt Bioweg über einen zweiten Standort im nordrhein-westfälischen Monheim auf dem Bayer Campus. Auch dieser kam auf Vermittlung des Akzelerator-Programms zustande. Auf seinem nächsten Entwicklungsschritt unterstützt Circular Valley das Start-up ebenfalls: Insgesamt 25 Millionen Euro Kapital will Bioweg bei Investoren einsammeln, um Produktionsanlagen auszubauen und mehr Personal einzustellen. 

Plastik herausfiltern

Das Start-up Plastic Fischer fand sogar seinen ersten Kunden über die Circular-Valley-Initiative. Die Kölner entwickelten schwimmende Netze, um Müll aus Flüssen in Indien und Indonesien zu fischen. So soll die Verschmutzung der Ozeane und Küsten gestoppt werden, immerhin gelangen 80 Prozent des Plastiks in den Weltmeeren über Flüsse dorthin. Das besondere an der Geschäftsidee von Gründer Karsten Hirsch: Plastic Fischer agiert als Dienstleister für seine Kunden. Genauer gesagt, filtern die Kölner im Namen großer Konzerne den Plastikmüll aus den Gewässern und unterstützen diese so bei der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie. Im Gegenzug übernehmen die Unternehmen die Finanzierung der Aktion. „Wir haben uns damals beworben, weil uns klar war, dass jedes Stiftungsmitglied des Circular Valley ein potenzieller Auftraggeber sein könnte“, sagt Hirsch.

Wir sind dank des Circular Valley nun im gesamten Westen Deutschlands bekannt.
Srinivas Karuturi, Gründer Bioweg

Und tatsächlich: Erster Kunde von Plastic Fischer war der Wuppertaler Zangenhersteller Knipex. Dessen Geschäftsführer lernte Hirsch am Demoday 2021 kennen. Seitdem befreit das Start-up im Knipex-Auftrag in den indischen Städten Varanasi und Bangalore den Ganges sowie seine Zuflüsse vom Plastikmüll. Insgesamt 71 Tonnen hat es dabei bereits entfernt und 15 Arbeitsplätze wurden vor Ort geschaffen. Mittlerweile zählen weitere namhafte Unternehmen wie Siemens, Allianz oder Covestro zu den Kunden.

Wachstum über Ländergrenzen hinweg

Doch nicht nur die teilnehmenden Start-ups, auch das Circular Valley selbst wächst beständig: 2023 vereinbarten zum Beispiel NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Jan Jambon, Ministerpräsident von Flandern, eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. „Das Recycling von Abfall war bisher eine nationale Aufgabe, das wollen wir nun ändern“, sagt Initiator Gerhardt. Dank der Kooperation könnten sich die beiden Regionen auf die Verwertung bestimmter Rohstoffe spezialisieren, etwa von Nicht-Eisenmetallen und Eisenmetallen. Gerhardt ist zuversichtlich, „dass wir bereits Ende des Jahres erste Beispiele für unsere Zusammenarbeit präsentieren können“.

3 Erden 
benötigen wir bis 2050, wenn wir weiterhin so viele Ressourcen verbrauchen. 
Quelle: UN

56 Prozent 
Treibhausgasemissionen könnte die Schwerindustrie bis 2050 einsparen, wenn sie auf Kreislaufwirtschaft umstellt.
Quelle: materialeconomics.com

 

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