Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

Cradle to Cradle - Dem Abfall keine Chance

Text von Heike Fischer
14.09.2022
Nachhaltigkeit

Das Prinzip Cradle to Cradle setzt auf eine konsequente Kreislaufwirtschaft. Dabei geht es um mehr als CO₂, Ressourcen und Recycling – es geht darum, Geschäftsmodelle neu zu denken.

Der Chemiker und Verfahrenstechniker Prof. Dr. Michael Braungart hat das Designprinzip Cradle to Cradle (C2C) bereits Ende der 1990er-Jahre entwickelt. Seine Idee: Auf dem Weg von der „Wiege zur Wiege“ soll es keinen Abfall mehr geben. Anstelle des gängigen linearen Prozesses „Produktion – Nutzung – Wegwerfen“ setzt C2C auf Zirkularität. Am Ende eines Nutzungs- oder Lebenszyklus bilden alle Materialien die Grundlage für die Herstellung neuer Produkte und zirkulieren dadurch unendlich – ganz nach dem Vorbild der Natur, in der abgestorbenes Material als Nährboden für neue Organismen dient. Doch damit dies gelingt, muss die Wiederverwertung zu Anfang der Wertschöpfungskette eines Produkts mitgedacht werden.

Das von Prof. Braungart gegründete Forschungs- und Beratungsinstitut EPEA (Environmental Protection Encouragement Agency) berät und begleitet Unternehmen bei der Implementierung von Cradle-to-Cradle-Lösungen. In Audits bewerten die Experten Materialien, Prozesse und Strategien hinsichtlich der folgenden fünf Kriterien: unbedenkliche Inhaltsstoffe, Kreislauffähigkeit, Nutzung erneuerbarer Energien, verantwortungsvolles Wassermanagement und Einhaltung sozialer Standards. Erfüllen die Kandidaten die Kriterien ausreichend, zertifiziert das US-amerikanische Cradle to Cradle Products Innovation Institute (C2CPII) in San Francisco deren Produkte und Dienstleistungen. Rund 16.000 C2C-zertifizierte Erzeugnisse gibt es inzwischen weltweit, quer durch alle Branchen – sei es Nähgarn oder das erste Auto, das BMW für 2025 angekündigt hat.

Neues Denken, neue Geschäftsmodelle

Die Vision des C2C-Pioniers Braungart ist es, klimapositiv zu handeln. Den Begriff „klimaneutral“ hält der Professor übrigens für Unsinn: „Wir sollten nicht das Schlechte weniger schlecht machen, sondern einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben und ihr nützen – wie etwa Bäume.“ Recycling und null Emissionen – das greift zu kurz für den Institutsleiter, der ganz neue Geschäftsmodelle propagiert: „Ob Teppich oder Waschmaschine, der Kunde will einen Nutzen, kein Produkt. Deshalb sollte man Produkte für eine definierte Nutzungszeit vermieten statt verkaufen. Wer Produkte als Dienstleistung vertreibt, stellt langlebige, wertvolle und gesunde Waren von hoher Qualität her, die sich für die erneute Nutzung aufbereitet lassen.“

Dem Kreislauf-Prinzip verschreiben sich inzwischen viele deutsche Familienunternehmen, zum Beispiel der Bielefelder Fenster- und Fassadenhersteller Schüco. Mit aktuell 57 Cradle-to-Cradle-zertifizierten Aluminiumsystemen positioniert sich das Unternehmen als Systempartner für kreislauffähiges und zukunftsorientiertes Bauen. Da der Bausektor ein besonders ressourcenintensiver Wirtschaftszweig ist, steht für Schüco im Fokus, Materialien möglichst schonend und vorausschauend einzusetzen. „Unser Hauptwerkstoff Aluminium lässt sich von Natur aus problemlos und ohne Wertverlust recyceln und zurück in den Materialkreislauf führen“, erklärt Henning Jünke, Head of Sustainability bei Schüco und ergänzt: „Ein Cradle-to-Cradle-Zertifikat bescheinigt unseren Produkten diese Zirkularität und garantiert zudem Schadstofffreiheit und einen verantwortungsbewussten Herstellungsprozess.“ Neben der C2C-Zertifizierung gibt es laut Jünke noch weitere Stellschrauben, beispielsweise flächenübergreifende Sammel- und Rückführungssysteme und den digitalen Gebäudepass, mit dem sich im Falle eines Rückbaus auch nach 50 Jahren nachverfolgen lässt, welche Komponenten in einem Gebäude stecken.

Eine nachhaltige Erfolgsgeschichte schreibt auch der Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen: Am Remanufacturing-Standort in Bielefeld werden gebrauchte Getriebekupplungen nach dem C2C-Prinzip in Einzelkomponenten zerlegt, zu Rohstoffen aufbereitet und wiederverwendet, was den Energieverbrauch und CO2-Ausstoß verringert. „Durch unser Altteile-Management erhalten wir einen Großteil unserer aufgearbeiteten Kupplungssysteme jedes Jahr zurück“, beschreibt Standortleiter Jörg Witthöft die Entwicklung. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: „Inzwischen sind rund 80 Prozent unserer Produktpalette Cradle to Cradle zertifiziert. Der ganze Prozess hat durch kritische Analysen zu besseren Produkteigenschaften, etwa eine längere Haltbarkeit, geführt“, sagt Witthöft.

Auch bei Würth und seinem Cradle-to-Cradle-zertifizierten Schnellmontagesystem Varifix geht es ums „Ganze“ und nicht nur um die CO2-Reduzierung: „Unsere Komponenten sind so designt, dass sie flexibel demontierbar sind, nach der Nutzung in sortenreine Ausgangsstoffe zerlegt werden können und sich als wertvolle Rohstoffe für die Aufbereitung und somit eine neue Nutzungsphase eignen“, sagt Carina Lebsack, Leiterin Nachhaltigkeitsmanagement bei Würth. Auch dieses Vorgehen schont nicht nur Ressourcen. „Durch die Wiederverwertbarkeit und den Einsatz schadstoffgeprüfter Materialien, steigern wir auch die Qualität und Wertigkeit von Gebäuden und die Wohngesundheit“, sagt Lebsack. Für die Kreislauffähigkeit haben die Entwickler bei Würth einiges unternommen – sei es Transparenz hinsichtlich der Daten für die Produktionsprozesse zu schaffen, Materialien zu analysieren oder Beschichtungsverfahren anzupassen. Für die Rücknahme der Komponenten haben sie zudem einen Prozess entwickelt, der sortenreines Recycling des Stahls ermöglicht, um die hohe Materialqualität der Komponenten für nachfolgende Produktlebenszyklen beizubehalten.

Die drei Beispiele Schüco, ZF Friedrichshafen und Würth verdeutlichen, wie aufwendig es ist, Kreisläufe in der Produktion umzusetzen. Ein Fakt, den vor allem auch die C2C-Skeptiker immer wieder anführen. „Dennoch setzt sich Cradle to Cradle schneller durch als gedacht“, sagt Braungart und ergänzt: „Trotz der aktuellen Krisen halten die Unternehmen sich mit ihren Investitionen nicht zurück – im Gegenteil: Sie sind bereit, umzudenken.“

16.000 kg
Rohstoffe verbraucht jeder Deutsche pro Jahr.
Quelle: NABU (April 2021)

12 Prozent
davon stammen aus dem Recycling.
Quelle: NABU (April 2021)

Ähnliche Artikel