CO2 – vom Schadstoff zum Rohstoff
Max-Planck-Wissenschaftler Tobias Erb und sein Team wollen die Photosynthese beschleunigen und so CO2 zum Rohstoff der Zukunft machen.
Laborfläschchen mit bunten Flüssigkeiten, Geräte mit unzähligen Kabeln und Knöpfen, Bildschirme mit komplexen Drei-D-Animationen. Das Labor am Max-Planck-Institut in Marburg erinnert an einen Science-Fiction-Film, in dem Wissenschaftler die Welt retten wollen.
Und tatsächlich sehen sich die Forschenden aus Marburg als Retter: Ein Team um Institutsleiter Tobias Erb will den Klimawandel stoppen – mit einer uralten Technik, die bereits seit Milliarden von Jahren in der Natur vorkommt: Photosynthese, der Prozess, bei dem grüne Pflanzen CO2 verstoffwechseln. Die Forschenden tüfteln gerade an Prototypen der beteiligten Enzyme, um Photosynthese technisch nachbauen zu können: „Manche Enzyme funktionieren nicht, manche explodieren sogar“, erzählt Erb. Doch dann heißt es: Fehler suchen und die nächsten Prototypen bauen. Das Ziel der Forschenden: Sie wollen den Photosynthese-Prozess künstlich rekonstruieren und dabei sogar deutlich mehr CO2 aus der Luft filtern als Pflanzen.
CO2-Emissionen beschleunigen den Klimawandel
Dass Menschen und Tiere Kohlenstoffdioxid verursachen, ist ganz natürlich, es ist ein Abfallprodukt unseres Stoffwechsels. Allerdings hat der Mensch den weltweiten CO2-Ausstoß durch den Einsatz von Technik unnatürlich stark in die Höhe getrieben. Die Verbrennung fossiler Brennstoffe ist heutzutage für einen Großteil der Emissionen verantwortlich. Auch Landwirtschaft und Industrie belasten unsere Luft stark – bei der Herstellung und Weiterverarbeitung von Rohstoffen entstehen Unmengen an Treibhausgasen. Im Jahr 2022 wurden weltweit insgesamt rund 40,6 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen. Dadurch ist die Konzentration in der Atmosphäre inzwischen extrem hoch: In einer Million Luftteilchen befinden sich etwa 417 CO2-Teilchen. Schon lange warnen Forschende, dass der Klimawandel ab einer Konzentration von 400 Teilchen gefährlich werden kann. Inzwischen ist die Gefahr real und der Klimawandel bereits in vollem Gange: Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt und Wetterextreme wie Schneestürme und Hitzewellen häufen sich.
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie der Mensch den Klimawandel noch aufhalten kann. Eine Alternative wäre es, den Ausstoß drastisch zu senken, indem man beispielsweise die Energieerzeugung auf erneuerbare Energien umstellt und umweltfreundliche Verkehrsnetze ausbaut. Das braucht allerdings Zeit – und die ist knapp. In den vergangenen Jahren ist deshalb eine andere Variante zunehmend ins Blickfeld von Politik, Unternehmen und Forschenden gerückt: Technologien, die CO2 aus der Luft filtern und daraus verwertbare Rohstoffe machen.
Mit Photosynthese gegen den Klimawandel
Die Natur macht seit Milliarden von Jahren vor, wie es geht: Wenn Pflanzen Photosynthese betreiben, filtern sie CO2 aus der Atmosphäre. Mithilfe von Wasser und Licht verwandeln sie es in Glucose, einen wichtigen Energielieferanten für Pflanzen. Die Pflanzen können das Produkt entweder selbst verwerten, um weiter zu wachsen, oder an den Boden abgeben. Als „Abfallprodukt“ entsteht Sauerstoff, die Lebensgrundlage für Menschen und Tiere. Pflanzen wären also die perfekte Waffe gegen den Klimawandel – würden sie schnell genug wachsen, um ihn jetzt noch stoppen zu können.
Hier setzt der Biologe und Chemiker Tobias Erb mit seiner Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg an. Gemeinsam mit einem Team von rund 40 Mitarbeitenden tüftelt er daran, wie eine schnellere, perfekte Photosynthese aussehen würde und wie man sie technisch bauen könnte.
Dabei haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits einige Erfolge erzielt: Bei der natürlichen Photosynthese bildet ein Enzym namens Rubisco das Herzstück des Prozesses. Dieses Enzym arbeitet allerdings teils fehlerhaft, außerdem ist es langsam. Es nimmt nur etwa fünf CO2-Moleküle pro Sekunde auf – Erb vergleicht es deshalb gerne mit einem Traktor.
Ein Enzym zündet den Turbo
Sein Team hat nun eine ganz neue Klasse von CO2-bindenden Enzymen entdeckt: die sogenannten Enoyl-CoA-Carboxylasen/Reduktasen (ECRs). Sie sollen im Vergleich zum herkömmlichen Pflanzenenzym so schnell sein wie ein Porsche. ECR stammt aus einem Purpurbakterium, das auf dem schlammigen Grund von Seen zu finden ist. Es arbeitet etwa zehn- bis zwanzig Mal schneller als Rubisco, bindet Kohlendioxid dadurch zwei- bis dreimal so effizient und irrt sich so gut wie nie. Weil am Photosynthese-Prozess allerdings noch eine ganze Reihe anderer Enzyme beteiligt sind, die nicht so einfach mit dem ECR-Enzym zusammenarbeiten, mussten die Forschenden um Tobias Erb die gesamte Enzym-Kette neu entwickeln. Vor circa drei Jahren ist ihnen das erstmals gelungen.
Mit ihrer Arbeit haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Future Insight Prize 2022 gewonnen, der mit einem Preisgeld von einer Millionen Euro dotiert ist. Das Chemie- und Pharmaunternehmen Merck verleiht den Preis seit dem Jahr 2018. Die Jury besteht aus mehr als 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Forschungsfelder, darunter etliche Nobelpreisträger. „Tobias Erb hat das Design der Photosynthese so verändert, dass eine effizientere Bindung von Kohlenstoffdioxid und die direkte Umwandlung in nützliche Produkte ermöglicht wird – zum Wohle der Menschheit“, begründete Belén Garijo, Vorsitzende der Geschäftsleitung von Merck, die Entscheidung. „Wir hoffen, dass diese Auszeichnung die Kommerzialisierung und Anwendung seiner Entdeckungen weiter beschleunigen wird.“
Erste Erfolge im Labor
Doch auf den bisherigen Entdeckungen und Auszeichnungen ruhen sich die Forschenden nicht aus. Erst vor wenigen Monaten ist es der Gruppe vom Max-Planck-Institut gelungen, die künstliche Photosynthese erfolgreich in eine lebende Zelle zu übertragen – und zwar in das Bakterium Escherichia coli. „Für uns ist das der Durchbruch“, erklärt Tobias Erb. Damit sei bewiesen, dass sich ein künstlicher Stoffwechsel-Mechanismus zur CO2-Bindung in einen lebenden Organismus einbauen lasse. Erb hofft, dass es seinem Team in den kommenden Monaten gelingen wird, das System in eine Minimalzelle einzupflanzen – das ist eine stark vereinfachte, im Labor gezüchtete Zelle.
Langfristig ist es das Ziel, den Zyklus in Pflanzenzellen zu übertragen. So sollen die Pflanzen mehr CO2 aus der Luft binden und gleichzeitig ertragreicher sein. Der beschleunigte Photosynthese-Prozess könnte in Zukunft aber auch in künstlichen Anlagen zum Einsatz kommen, bei denen Kohlendioxid aus der Luft geholt und direkt in Rohstoffe umgewandelt wird. So entstehen wertvolle chemische Produkte, wie zum Beispiel das Ausgangsmaterial für Kraftstoffe.
761 Millionen Tonnen
CO2-Äquivalente verursachte Deutschland im Jahr 2022.
Quelle: Agora Energiewende
37,7 Prozent
der weltweiten CO2-Emissionen im Jahr 2021 stammen aus dem Energiesektor.
Quelle: EDGAR/JRC (Die Emissionsdatenbank der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission)
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