Die Mehrwegrevolution
Das Start-up Circolution startet ein Mehrwegsystem für Lebensmittelverpackungen, das mit den herkömmlichen Pfandautomaten kompatibel ist.
Anita in Steel – der Name des runden Edelstahlgefäßes ist genauso ungewöhnlich wie seine Bestimmung. Bei dem eleganten Behälter handelt es sich nämlich um eine wiederverwendbare Verpackung für Kakao- und Kaffeeprodukte, die nichts anderes als eine Mehrwegrevolution im Supermarktregal anstoßen soll.
Eine Revolution, die dringend notwendig ist: Nach Angaben des Umweltbundesamtes fielen in Deutschland allein im Jahr 2020 knapp 19 Millionen Tonnen Verpackungsmüll an – so viel wie nie zuvor. Mittlerweile sind rund 60 Prozent des verkauften Obsts und Gemüses nur noch in Pappschalen, Plastik-Klappdeckelschalen, Folien oder Netzen erhältlich. Auch wenn die Unternehmen inzwischen mehr als 70 Prozent der Verpackungen wiederverwerten, ist dies keine nachhaltige Lösung. Recycling ist nämlich energieintensiv, zeitaufwendig und teuer.
Mehrwegbehälter nun auch für Lebensmittel
Max Bannasch und seine Mitstreiter haben dem Verpackungsmüll im Lebensmittelbereich den Kampf angesagt. Gemeinsam gründeten sie das Unternehmen Circolution und setzen auf ein bewährtes Kreislaufsystem: die Mehrwegverpackung. Dabei vermietet Circolution seine Mehrwegbehälter zunächst gegen eine Packaging-as-a-Service-Gebühr an die Lebensmittelhersteller. Anschließend, nachdem die Verbraucher die Mehrwegverpackung zurück zum Supermarkt gebracht haben, kümmert sich das Start-up um Reinigung, Inspektion und Transport, damit sie wieder befüllt werden.
Die Geschichte von Circolution begann im Jahr 2019: Damals lernte Bannasch Kirils Jegorovs und Alessandro Marchiaro beim Inkubationsprogramm „Futury“ in Frankfurt kennen. Schnell kamen sie ins Gespräch: „Das Thema Mehrwegverpackungen im Lebensmittelhandel lag damals in der Luft“, sagt Bannasch. Vom ersten Tag an drehten sich ihre Diskussionen darum, wie Lebensmittelverpackungen wiederverwertbar gemacht werden können. Zwei ihrer Kernfragen lauteten: „Warum ist das deutsche Mehrwegsystem eigentlich bei den Getränken stehen geblieben?“, erinnert sich der 29-Jährige, und: „Warum gibt es Pfandflaschen nur für Getränke und Joghurt?“
Bei der Entwicklung viele Interessen berücksichtigt
Bannasch und seinen Mitstreitern war von Anfang an klar, dass es sich bei Mehrweg um ein komplexes und vielschichtiges Kreislaufsystem handelt: „Lagerung, Transport und Reinigung – all das muss täglich organisiert werden“, sagt er. Genau dies war der Grund, warum das Start-up seine neue Pfandlösung für Lebensmittelprodukte nicht im Alleingang entwickeln wollte. Stattdessen setzte Circolution auf Kooperation. „Am Anfang der Journey ging es vor allem darum, Partner aus der gesamten Kreislauf- und Logistikkette zu gewinnen“, so Bannasch. Darunter waren Hersteller für Verpackungsmaterialien, Abfüller und Experten für Spültechnik. In dieser Zeit führte das Start-up Hunderte von Gesprächen mit Experten und Konsumenten und testete Dutzende Prototypen. „Wir haben die Mehrwegverpackung gemeinsam mit der Lebensmittelindustrie und verschiedenen Vertretern der Logistikkette entwickelt“, sagt Bannasch mit Stolz.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Anita in Steel ist mit gerade einmal 150 Gramm Gewicht leicht, handlich und praktisch: Der Behälter ist besonders für Lebensmittel mit langer Haltbarkeit geeignet, schließlich sorgen die Alufolie und ein Kunststoffdeckel, mit denen er verschlossen wird, für eine gasdichte Versiegelung. Ein weiterer Vorteil, mit dem der Pfandbecher besticht: Die Hersteller können ihre Marke sowie alle gesetzlich vorgeschriebenen Angaben gut lesbar auf den großflächigen Etiketten darstellen. Gleichzeitig können die Konsumenten auf der großen Fläche über das neue Mehrwegsystem informiert werden.
Bis zu 80 Rückgaben sind möglich
Ökologisch gesehen ist die Verpackungslösung eine enorme Verbesserung: Nach Angaben von Circolution kann Anita in Steel bis zu 80 Mal verwendet werden, bis sie ihre maximale Lebensdauer erreicht hat. Bereits nach rund fünf Lebenszyklen ist die ökologische Belastung mit der eines Einwegglases vergleichbar. Insgesamt, das ergeben Berechnungen von Ciroclution, kann der Pfandbecher ungefähr 36 Kilogramm Glas oder fünf Kilogramm Kunststoff einsparen.
Für den Lebensmittelhandel ändert sich mit dem Einsatz der Circolution-Lösung im Vergleich zu herkömmlichen Mehrwegflaschen nicht viel: Für jedes Produkt, das im Anita-in-Steel-Becher abgefüllt ist, zahlt der Kunde an der Kasse ein Pfand von 2,50 Euro. Die leeren Behälter gibt er später am Automaten zurück. Damit dieser die Annahme nicht verweigert, erhält lediglich die Software des Automaten ein Update – Routine für die Händler. Die Becher werden anschließend in den Zentrallagern des Lebensmittelhandels gesammelt und dort von Circolution-Partnerunternehmen abgeholt, gereinigt und für einen neuen Gebrauchszyklus an die Produzenten ausgeliefert.
Rewe-Märkte sind Vorreiter
Dass das System funktioniert, zeigt der Einsatz von Anita in Steel in einem Rewe-Markt in Bad Vilbel bei Frankfurt. Dort wurde die Mehrweg-Verpackung in den vergangenen Monaten anhand von zwei Produkten getestet. „Sie haben sich gut verkauft“, zieht Bannasch eine erste Bilanz. Im Sommer 2023 stellen weitere ausgewählte Läden im Rhein-Main-Gebiet den Pfandbecher in ihre Regale, gefüllt mit Kaffee- und Kakaopulver. „Die Pilotphase dient dazu, technische Fragen des Mehrweg-Kreislaufs zu klären und zu beobachten, ob die Kunden die Verpackung akzeptieren“, so Bannasch.
Im dritten Quartal 2023 sollen dann weitere Produkte aus der Kategorie „Kaffee & Kakao“ im Pfandbecher erhältlich sein. Die Partner aus der Lebensmittelindustrie setzen jedenfalls große Hoffnungen auf das Mehrwegkonzept. Den Anfang machen der Nahrungsmittelkonzern Nestlé mit seinem Kakaopulver „Nesquik“ sowie die Kaffeebohnen „BE.AN“, der neuen Marke der angesagten Frankfurter Rösterei Hoppenwort & Ploch. „Wir haben den Anspruch, dass jede Generation unserer Verpackungen besser ist als die vorherige; aus diesem Grund testen wir das Kaffeeprodukt im Mehrwegbecher“, sagt Julian Ploch von Hoppenwort & Ploch.
Bald europaweit im Einsatz?
Für Circolution soll es jedoch nicht bei Kaffee und Kakao bleiben. „Unser System ist offen für alle Lebensmittelproduzenten – ob groß oder klein, ökologisch oder konventionell, Marke oder Eigenmarke“, sagt Bannasch und ergänzt: „Unsere Mehrweglösung ist beliebig skalierbar.“ Und zwar in mehrerlei Hinsicht: In den kommenden Jahren möchte Bannasch das Pilotprojekt bundesweit auf verschiedene Lebensmittelfilialen ausweiten. „Jeder Bürger oder jede Bürgerin soll die Möglichkeit haben, sein Lieblingsprodukt im Mehrweggefäß einzukaufen – und das am liebsten europaweit.“
67 Prozent
des Gemüses sind vorverpackt.
Quelle: Naturschutzbund Deutschland (NABU)
170 Prozent
ist der der Kunststoffbedarf für Vorverpackungen für Obst und Gemüse zwischen den Jahren 2000 und 2019 angestiegen.
Quelle: Naturschutzbund Deutschland (NABU)
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