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Biohybride: Das Beste aus zwei Welten

Text von Klara Walk
17.12.2024
Nachhaltigkeit

Aktuelle Forschungsprojekte bringen biologische und künstliche Komponenten zusammen. Solche Biohybride sind vielfältig einsetzbar und eröffnen Möglichkeiten, die Metall, Kunststoff und Elektroden alleine nicht bieten können.

Das klingt vielversprechend: Man nehme die Anpassungsfähigkeit biologischer Komponenten und kombiniere sie mit der technischen Präzision und Belastbarkeit künstlicher Systeme. Was zunächst ein wenig an Frankenstein erinnert, hat das Potenzial, arbeitsintensive Maßnahmen wie Umweltüberwachung oder Aufforstung günstiger zu machen. Allerdings steckt die Technologie dieser Biohybride noch in den Anfängen, wie die Versuche an der US-amerikanischen Cornell University zeigen: Dort brachten Forscher einem Roboter das Laufen bei. Erst zuckt der Fünfbeiner nur ein wenig, aber dann wackelt er doch zielstrebig auf die Ziellinie zu. Das Signal zum Laufen und die Richtung erhält er von ultraviolettem Licht.

Das Potenzial intelligenter Pflanzen

Was nach technischer Spielerei und auf den ersten Blick sehr lustig aussieht, ist in Wirklichkeit ein innovativer Steuerungsmechanismus: Die Cornell-Forscher leiten die elektrischen Impulse zur Steuerung der Roboterbeine nämlich nicht etwa durch Drähte, sondern durch ein Myzel. Das Myzel ist so etwas wie das Nervensystem eines Pilzes. Das von den Forschern verwendete Myzel kann elektrische Signale leiten – und reagiert unter anderem auf Lichtimpulse. Das bringt den Roboter im Video zum Laufen.
Elektrische Steuerungssignale über das Myzel eines Pilzes an elektronische Schnittstellen zu übertragen, ist auch in der Welt der biohybriden Systeme noch ungewöhnlich. In der Regel verwendeten Forschende bisher zum Beispiel tierische Haut- oder Muskelzellen oder pflanzliches Material als biologische Anteile. 

Pflanzen haben ein paar unschlagbare Vorteile gegenüber künstlichen Materialien.
Heiko Hamann, Universität Konstanz

Biohybride aus Pflanzen und technischen Komponenten sind weniger sensationell als zuckende Roboterbeine, haben aber vor allem in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz viel Potenzial. „Pflanzen haben ein paar unschlagbare Vorteile gegenüber künstlichen Materialien“, erklärt Heiko Hamann von der Universität Konstanz: „Sie sind günstiger als elektronische Komponenten, belasten die Umwelt weniger, passen sich bei Bedarf besser an ihre Umgebung an – und sind natürlich schöner anzuschauen.“ 

Der Professor für cyberphysikalische Systeme ist zwar von Haus aus Robotiker, beschäftigt sich aber bereits seit Jahren mit biohybriden Systemen aus Pflanzen und sogenannten Roboterknoten. Im Projekt Flora Robotica etwa ging es ihm noch um biohybride Systeme aus Pflanzen und Robotern, die durch Interaktion architektonische Elemente bilden sollten. So versuchte er, robotergesteuerte Wände oder Möbel aus Pflanzen zu kreieren. 

In seinem aktuellen Projekt Watchplant aber erforscht Hamann gemeinsam mit einem interdisziplinären Team, wie intelligente Pflanzen zum Beispiel für die Überwachung der Luftqualität in Städten genutzt werden können. „Sehr einfach ausgedrückt: Wir nutzen die lebende Pflanze und verbinden sie mit Drähten und Röhrchen, um biochemische Prozesse in der Pflanze und Eigenschaften des Pflanzensafts zu messen.“ Die Pflanze ist also der Sensor, die elektronischen Komponenten übertragen und interpretieren die Daten. Doch erst die Kombination aus Pflanze und Draht macht den Mehrwert aus: Der so entstehende Biohybrid-Sensor soll günstig, leicht und energieautark sein, versprechen die Wissenschaftler in der Projektbeschreibung.  

Aus biochemischen Prozessen in Pflanzensaft so exakt wie möglich auf unbekannte Umweltbedingungen zu schließen, ist alles andere als trivial. Deshalb nutzt das Team Künstliche Intelligenz zur Auswertung der gemessenen Daten. „Ohne maschinelles Lernen wäre das nicht möglich“, betont Hamann. Ein tieferes Verständnis für die Pflanze brauche es dabei aber nicht unbedingt, sagt er. „Wir müssen nur genügend Daten über einen längeren Zeitraum sammeln.“  

Noch ist Hamanns Treiben Grundlagenforschung. Wann solche biohybriden Sensoren praxisfähig sind, wagt auch der Experte nicht zu prognostizieren. Dennoch hält Hamann seine Idee für vielversprechend: „Herkömmliche Sensoren messen in aller Regel nur einen Parameter. Intelligente Pflanzen können mehrere Parameter messen, dank Kombination aus Biologie, Chemie, Informatik und Drähten.“ 

Hybribot – läuft beim Hafer-Roboter

Buchstäblich bereits einige Schritte weiter ist ein Projekt des Italienischen Instituts für Technologie in Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg: der Hybribot. Äußerlich einem Insekt ähnlich, besteht die Kapsel des Biohybrids nur aus Hafer, Mehl und Ethylzellulose. Er kommt völlig ohne elektronische Komponenten aus – und bewegt sich doch.

Der nach der Abholzung wieder aufzuforstende Regenwald im Amazonasgebiet wäre ein idealer Einsatz.
Isabella Fiorello, Biorobotikerin Hybribot 

Dahinter steckt ein Prinzip namens hygroskopische Bewegung. „Die Samen der Hafersorte Avena sterilis haben so etwas wie lange Fühler, die sogenannten Grannen. Sie reagieren auf veränderte Feuchtigkeitsverhältnisse, sie drehen und krümmen sich. So bewegen sie den Samen und dringen in Risse in der Erde ein, wo sie keimen können“, erklärt Isabella Fiorello. Die italienische Biorobotikerin ist der kreative Kopf hinter dem Hybribot.

Die Kapsel kann mit Samen verschiedener Pflanzen befüllt werden, die sich selbst aussäen. Über sie lassen sich aber auch Nährstoffe oder ähnliches in die Erde einbringen. Das Material ist biologisch abbaubar und auch für Tiere ungefährlich. Die Grannen stammen von lebendem Hafer. Wer sich nun um den Hafer sorgt, darf beruhigt sein: „Avena sterilis wächst hier überall und für Landwirte ist es ein Unkraut – wir würden den Hafer sinnvoll nutzen“, erklärt Fiorello. Das Entwicklerteam hat einen Patentantrag eingereicht und arbeitet daran, das Modell zu skalieren. 

Die Herstellungskosten für eine Hybribot-Kapsel schätzt Fiorello auf etwa 50 Cent. Einsatzmöglichkeiten sieht sie in der Wiederaufforstung schwer zugänglicher Gebiete: steile Hänge, abgelegene Erdteile oder einfach nur große Flächen, die per Menschenhand zu bearbeiten sehr teuer wäre. „Der nach der Abholzung wieder aufzuforstende Regenwald im Amazonasgebiet wäre ein idealer Einsatz“, sagt die Forscherin. Fiorello und ihr Team arbeiten übrigens bereits an Lösungen, die sogar noch weiter gehen könnten – unter Wasser oder in den Weltraum.

14.000 Pilzarten 
gibt es in Deutschland schätzungsweise.
Quelle: Bundesamt für Naturschutz

9 km2 
umfasst das Myzelnetzwerk eines riesigen Hallimaschs in Oregon.
Quelle: Helmholtz-Gemeinschaft 

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