„Ich fühlte mich als Teil des Universums“
Ein ganzes Jahr in der Antarktis leben – fernab der Zivilisation, mitten im ewigen Eis: Gefäßchirurgin Aurelia Hölzer hat genau das erlebt als Stationsleiterin der Forschungsstation Neumayer III. Im Interview spricht sie von ihren Erlebnissen, den Herausforderungen der Weite und von den Momenten, die ihren Blick auf das Leben und die Welt verändert haben.
Frau Hölzer, wie bereitet man sich auf eine Überwinterung in der Antarktis vor?
Die Vorbereitungszeit dauert vier Monate. Während dieser Zeit haben die anderen acht Teammitglieder und ich alles lernen müssen, was wir noch nicht konnten, um als Team möglichst alle Probleme und Notfälle selbst lösen zu können, denn sieben Monate lang könnten wir nicht einmal im Notfall aus der Antarktis evakuiert werden – auch nicht bei schweren Verletzungen oder wenn jemand durchdreht. Damit meine ich nicht nur psychologische Krisenbewältigung und Konfliktmanagement oder Wissen über den Aufbau der Station und die Forschungsprojekte. Ich meine Sachen wie Eisklettern, Kettensägen bedienen, Drohnen fliegen, Feuer löschen, Narkosen setzen und sogar Zähne bohren.
Warum haben Sie sich als Stationsleiterin und Ärztin auf der Neumayer-Station III beworben?
Ich hatte gerade meinen Job gekündigt, meine Beziehung war zu Ende, meine ursprünglichen Pläne für ein Sabbatical waren hinfällig. So wurde ich auf meine alte Sehnsucht nach Wildnis und hohem Norden zurückgeworfen und ging nach Alaska. Doch das reichte mir nicht. Aus einer Laune heraus suchte ich nach Stellen in Spitzbergen. Und dann sah ich diese Anzeige zur Überwinterung auf der Neumayer-Station. Mit zwölf Jahren hatte ich ein Buch über eine Malerin gelesen, die auf Spitzbergen überwinterte. Seither habe ich diese Faszination für Kälte, Wildnis und Abgeschiedenheit, zudem begeisterte mich die Polarforschung. Also habe ich mich beworben.
Was hat Ihnen vorab am meisten Sorgen gemacht?
Ich hatte Respekt vor der Verantwortung, dort die einzige Ärztin zu sein – und das obwohl ich in Großkliniken gearbeitet und viele schwierige Operationen durchgeführt habe. Aber nun war ich auf mich gestellt: Es gab keinen Narkosearzt, keine OP-Schwester – bei Operationen helfen der Koch und die Geophysikerin. Außerdem ist es nicht leicht, seine engsten Mitmenschen zu operieren. Wenn dann etwas passiert, müsste ich damit leben, dass ich nicht helfen konnte, was selbst dann eine lebenslange Bürde wäre, wenn ich nichts falsch gemacht hätte. Denn selbst im Notfall konnten wir sieben Monate lang nicht evakuiert werden, da die Wetterbedingungen so extrem sind.
Was war Ihr erster Eindruck, als Sie auf die Neumayer-Station kamen?
Der erste Eindruck war eine Mischung aus Staunen, Begeisterung und Schock. Diese Weite und die Leere waren sehr intensiv und auch überfordernd. Aber gerade diese besondere Atmosphäre wurde mit der Zeit das Schönste – genau das habe ich nach meinem Aufenthalt am meisten vermisst.
In der Antarktis gibt es unglaubliche Naturgewalten. Was hat Sie besonders beeindruckt?
Das Eis. Im Dunkeln ragten Eisformationen auf, die aussahen wie ein Wald aus ausgeschlagenen Zähnen von riesigen Kreaturen. Wenn die Sonne schien, leuchteten die Eisberge in einem unglaublichen Blau. Auch die Polarlichter und die sternenklaren Nächte sind unvergesslich – ich fühlte mich dort als Teil des Universums.
Wie sah Ihr Tagesablauf aus?
Ein großer Teil war Routine: Als Stationsleiterin musste ich regelmäßig alle medizinischen Geräte warten, Sicherheitschecks, Brandschutztraining und Erkundungsfahrten machen. Außerdem habe ich Studien zur Weltraummedizin für die NASA betreut. Oft haben wir uns bei der Arbeit gegenseitig geholfen, denn viele Aufgaben sind aus Sicherheitsgründen nur zu zweit machbar, zum Beispiel Schneehöhen- oder Meereismessungen. Auch die hydraulischen Stützen der Station mussten wöchentlich neu eingestellt werden, weil das Eis ständig in Bewegung ist. Zum Abendessen kamen dann alle zusammen – wir haben gespielt, Musik gemacht, gebastelt oder Geburtstage gefeiert.
Woran wird an der Station geforscht?
Es geht darum, das System Erde und die Zusammenhänge zwischen Eis, Atmosphäre, Ozean und Klima besser zu verstehen. Im Sommer forschen hier 50 Personen, im Winter reisten alle bis auf unser Team ab, dann laufen nur die Hauptobservatorien: die Wetterstation, die Geophysik und die Luftchemie. Besonders spannend war auch die Weltraummedizinforschung, die untersucht, was mit uns Menschen in Extremsituationen passiert. Ich hatte zum Beispiel Schlafstörungen, war oft unkonzentriert und ziemlich zerstreut. Gleichzeitig war ich aber auch entspannt und fröhlich. Was mich überrascht hat: Ich konnte mich überhaupt nicht mehr fürchten. In der Antarktis habe ich problemlos die gruseligsten Thriller und Horrorfilme geschaut.
Wie sehr spielt der Klimawandel eine Rolle?
In großen Teilen der Antarktis schmilzt das Eis stark ab, und in unserem zweiten Sommer wurde das besonders deutlich: Satellitenbilder und Flugzeugmessungen zeigten ein Rekordminimum bei der Meereisbedeckung seit Jahrzehnten.
Was war die größte Herausforderung?
Zum einen die Stürme. Die haben enorme Kräfte, ziehen einem trotz Spikes die Füße unter dem Körper weg. Und durch den feinen Schneestaub, der um einen herumwirbelt, sieht man die Hand vor Augen nicht. Zum anderen das Soziale: Dass wir uns ein ganzes Jahr lang gut verstanden, zusammengehalten und dafür gesorgt haben, dass es allen möglichst gut ging, finde ich bis heute eine echte Leistung.
Zur Person:
Aurelia Hölzer ist Fachärztin für Gefäßchirurgie. Bereits als Jugendliche faszinierten sie die Polargebiete, inspiriert durch Christiane Ritters „Eine Frau erlebt die Polarnacht“.
Nach einem Aufenthalt in Alaska und Norwegen überwinterte sie 2022 als Stationsleiterin und einzige Ärztin auf der Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Antarktis. Über ihre Erlebnisse im ewigen Eis hat die 46-Jährige den Bestseller „Polarschimmer“ geschrieben.

Sie haben ein Buch über Ihre Erfahrungen geschrieben – wie kam es dazu?
Ich habe während der Überwinterung Rundbriefe an Freunde und Familie geschrieben – der Verteiler wurde immer größer. Über einen Freund kam ich dann in Kontakt mit dem Piper Malik Verlag. Ich wollte mit dem Buch diejenigen erreichen, die Lust haben, an meinen Gedanken, Gefühlen und dem Alltag teilzuhaben, aber auch Hintergrundinfos über die Forschung geben und warum wir dort waren.
Was haben Sie von der Zeit auf der Forschungsstation mitgenommen?
Die Erfahrung hat meinen Blick aufs Leben komplett verändert – manches wird wichtiger, anderes unwichtiger. Ich sehe die eigene Endlichkeit klarer. In ein paar Jahrzehnten bin ich weg, ich bin nicht so wichtig. Deshalb frage ich mich: Was kann ich in die Welt geben, bevor ich gehe? Ich möchte dazu beitragen, dass wir friedlich miteinander umgehen und darauf achten, dass wir uns um die Erde kümmern, statt sie kaputtzumachen.
Würden Sie sich noch einmal auf das Abenteuer einlassen?
Ich würde nicht wieder auf der Neumayer-Station überwintern, weil ich dieses schöne Erlebnis unangetastet lassen möchte. Aber ich würde jederzeit ins Unbekannte aufbrechen. Gerade bin ich aus Alaska zurückgekommen, um Freunde zu besuchen. Ich habe noch keine Pläne, aber mich fasziniert Grönland.
40 Zentimeter
verschiebt sich das Schelfeis in der Antarktis jeden Tag und bewegt somit auch die Neumayer-Station III.
Quelle: AWI
- 98,6 Grad
beträgt die in der Antarktis tiefste gemessene Temperatur.
Quelle: Geophysical Research Letter

Wer cool ist, heizt mit Kälte: Eisspeichersysteme gewinnen Wärme aus natürlichen Energiequellen wie Erde, Wasser, Sonne und Luft – und kühlen im Sommer wie eine Klimaanlage. Dahinter stecken clevere Technik und ein physikalischer Effekt.

Staus kosten Zeit und Nerven. Das neuseeländische Start-up Whoosh will mit einer Seilbahn den Stadtverkehr entlasten. Das Besondere: Die Fahrgäste können die Gondeln per App rufen – und die bringen sie autonom ans Ziel.

Back to the roots: Manche Menschen zieht es zurück in die Höhle. Was in der Steinzeit ein dunkles Loch im rauen Fels war, ist heute ein Erdhügelhaus mit innovativer Technik. Eine Wohnform, die angesichts des Klimawandels durchaus an Reiz gewinnt.

Wer Kunststoffe recyceln will, könnte in Zukunft die Dienste von mikrobiologischen Helferlein in Anspruch nehmen: Enzyme, die PET in seine Bestandteile zerlegen. Deutsche Wissenschaftler und Gründer arbeiten daran, sie in industrielle Recyclingprozesse zu integrieren.