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Photosynthese trifft Photovoltaik

Text von Johanna Stein
26.10.2022
Nachhaltigkeit

Mit Agri-Photovoltaik-Anlagen können Bauern auf ihren Feldern Landwirtschaft betreiben und gleichzeitig grünen Strom erzeugen. Der Doppelstock-Acker birgt enormes Potenzial, ist aber noch nicht ganz ausgereift.

In Niedersachsen, in der Nähe von Lüchow, liegt ein ganz besonderes Stück Land. Wer mit dem Flugzeug über die ein Hektar große Fläche fliegt, wird das kaum bemerken, denn aus der Luft sind nur schräg angebrachte Solarmodule zu sehen. Was von oben schwer zu erkennen ist: Die Glaspaneele stehen nicht auf dem Boden − sie thronen sechs Meter über der Oberfläche auf mächtigen Stützpfeilern. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Der Boden zwischen den Stützen lässt sich bewirtschaften. Noch liegt der Acker im Wendland brach. Doch im Frühjahr will der Lebensmitteldienstleister Steinicke darauf Kräuter anpflanzen. Das Stück Land soll dann doppelte Erträge liefern: rund 30 Tonnen Schnittlauch und mehr als 700.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Damit ist diese Fläche Deutschlands größte Agri-Photovoltaik-Anlage.

Mit Agri-Photovoltaik können Bauern Landwirtschaft und grüne Stromerzeugung vereinen, indem sie eine zweite Etage über ihrem Feld einfügen. Unten bewirtschaften sie weiterhin ihren Boden, während darüber installierte Solarmodule Energie erzeugen. Die Technik ist vor allem gefragt, seit Politiker, Forscher und Unternehmer weltweit nach Wegen suchen, die Energiekrise zu überwinden. Kein Wunder, schließlich birgt die Kombination Landwirtschaft-Photovoltaik großes Potenzial: Dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) zufolge würden bereits vier Prozent der deutschen Agrarflächen ausreichen, um ganz Deutschland mit Strom zu versorgen. Allerdings kommt der Ausbau hierzulande noch eher schleppend voran. Gerade einmal fünf Forschungsprojekte und ein gutes Dutzend privater Anlagen wurden bislang realisiert.

Schuld an der Verzögerung sind vor allem drei Hürden: Zum einen müssen Landwirte eine Baugenehmigung bei der Gemeinde einholen. Sie kritisieren, dass Bauämter viele Vorhaben ausbremsen, weil ein klarer gesetzlicher Rahmen fehlt. Und wenn die Kommunen Genehmigungen erteilen, dann oft nur für wenige Jahre. Damit sich die Solarfelder rechnen, müssen sie jedoch lange in Betrieb sein. Die Firma Steinicke zum Beispiel geht davon aus, dass sich ihre hohen Investitionen erst nach 10 bis 15 Jahren amortisieren.

Zum anderen benötigen Agri-Photovoltaik-Anlagen sehr viel Platz. Die Landwirte müssen einen ausreichend großen Abstand zwischen den einzelnen Paneelen einplanen, damit der Boden unter den Solarmodulen nicht gänzlich im Schatten liegt. Eine Agri-Photovoltaik-Anlage benötigt aus diesem Grund für dieselbe Leistung etwa 20 bis 40 Prozent mehr Fläche als eine herkömmliche Freiflächenvariante. Hinzu kommt, dass Landwirte für den Bau etwa doppelt so viel zahlen wie für ein bodennahes Solarfeld mit derselben Leistung, da insbesondere die aufwendigen Unterkonstruktionen ins Geld gehen. Laut einer Studie des Technologie- und Förderzentrums im Kompetenzzentrum für Nachwachsende Rohstoffe in Straubing müssen Landwirte für bei Agri-Photovoltaik pro installiertem Kilowatt 1.234 Euro investieren - bei Freiflächenanlagen sind es gerade einmal 572 Euro pro Kilowatt.

Grund Nummer drei für die Verzögerungen: Die zweistöckige Bewirtschaftung hat immensen Einfluss auf die landwirtschaftliche Arbeit. Je nachdem, in welcher Höhe und mit welchen Abständen die Solarmodule angebracht sind, passen beispielsweise nicht alle Maschinen unter der Konstruktion oder zwischen den Stützpfeilern hindurch. Landwirte müssen also auf alternative Anbautechniken umsteigen, sich kleinere Maschinen anschaffen oder öfter Arbeiten von Hand erledigen. Zudem beeinflusst das zweite Stockwerk das Mikroklima auf dem Acker. Da das Feld nicht mehr den ganzen Tag der prallen Sonne ausgesetzt ist, sind Getreidesorten, die viel Licht brauchen, für den Anbau unter den Paneelen weniger geeignet. Andere Pflanzen, beispielsweise Kartoffeln, profitieren dagegen vom Sonnenschutz und der langsameren Wasserverdunstung.

Weltweit ist der Ausbau von Agri-Photovoltaik in den vergangenen Jahren gut vorangekommen. Von fünf Megawatt im Jahr 2012 schraubte sich die weltweite Leistung auf mehr als 14 Gigawatt im Jahr 2020 hoch. Im selben Zeitraum stieg der weltweite Anteil an Solarenergie von 100 auf 760 Gigawatt. Agri-Photovoltaik war 2020 also immerhin für knapp zwei Prozent der weltweiten Solarenergie verantwortlich. Vor allem in Ländern wie Japan, China, Frankreich, den USA und Korea boomen die doppelstöckigen Äcker – auch dank umfassender staatlicher Förderprogramme.

Die deutsche Bundesregierung hat in diesem Jahr nachgezogen und Agri-Photovoltaik erstmals mit in das Erneuerbare-Energien-Gesetz aufgenommen. Im Mai sicherten sich zwölf Projekte mit einer Leistung von insgesamt 22 Megawatt eine Marktprämie von durchschnittlich 5,42 Cent pro Kilowattstunde.

Udo Hemmerling vom Deutschen Bauernverband ist das allerdings nicht genug. „Wenn Agri-Photovoltaik-Anlagen politisch gewollt sind, muss im Erneuerbare-Energien-Gesetz ein höherer Förderzuschlag festgelegt werden“, fordert er. Mit dieser Meinung steht er nicht allein da – viele Landwirte, aber auch Hersteller von Photovoltaik-Modulen kritisieren, dass die Förderungen bislang zu niedrig ausfallen, um die Mehrkosten bei der Installation ausreichend zu kompensieren. Bislang rentieren sich im Ackerbau deshalb nur Kombi-Felder mit hohen installierten Leistungen – zu diesem Schluss kommt auch das Fraunhofer ISE.

Hemmerling hofft, dass die Politik nun recht schnell Rahmenbedingungen schafft, die auch kleinere Agri-Photovoltaik-Anlagen wirtschaftlich attraktiv machen. Am Engagement der Landwirte und Agrarexperten soll ein schnellerer Ausbau jedenfalls nicht scheitern. So testen bundesweit Forscher, welche Pflanzen unter einem Solarmodul besonders gut gedeihen und ob auch die Kombination Photovoltaik und Tierhaltung möglich wäre. Vielleicht können künftig unter Solarmodulen nicht nur Kräuter sprießen, sondern auch Äpfel reifen und Schafe grasen.

1,7 Billionen Watt
Potenzial hat die Technik in Deutschland.

400.000 Euro
hat das Bundesumweltministerium in die Anlage der Firma Steinicke investiert.

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