Vrees - Ein Dorf lebt auf
Im ländlichen Raum wächst die Zahl älterer Menschen. Seit einiger Zeit zieht es aber auch immer mehr Familien aufs Land. Die Gemeinde Vrees im Emsland zeigt, wie ein Dorf mit cleveren Ideen und viel Gemeinschaftssinn ein erfülltes Leben für alle Generationen schafft.
Ende 2040 wird jeder dritte Mensch, der im ländlichen Raum lebt, älter als 65 Jahre sein. Das hat die Bertelsmann Stiftung im Rahmen ihrer Studie „Wegweiser Kommune“ berechnet. Dieser Rekordwert wird selbst robuste Dorfgemeinschaften herausfordern: Pflege, Mobilität, Einkaufsmöglichkeiten, soziale Kontakte – überall droht Mangel, der die Lebensqualität auf dem Land beeinträchtigen könnte. Doch ein Dorf im Emsland hat einen Plan, um trotz demografischen Wandels das Leben in der Dorfgemeinschaft für alle Generationen lebenswert zu gestalten.
Das Pflegehaus: Heimat bleibt Heimat
Neben einem Plan braucht es aber auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer und Menschen wie Heribert Kleene. Kleene ist seit 34 Jahren Bürgermeister in Vrees, ein Dorf mit rund 2.000 Einwohnerinnen und Einwohnern nahe Cloppenburg. Früher übte Kleene das Amt neben seinem Hauptberuf als Schulleiter aus, heute kümmert sich der 76-jährige mit vollem Einsatz um die Belange und Nöte der Einwohnerinnen und Einwohner. Der erfahrene Kommunalpolitiker erinnert sich genau an den Moment, in dem er erkannte, dass sich etwas in seinem Heimatort verändern muss. Es war der Tag, an dem der erste Bürger von Vrees ins Pflegeheim musste. „Jemand, der sein ganzes Leben hier verbracht hatte, sollte plötzlich woanders hin, nur weil er pflegebedürftig wurde. Das war für mich unbegreiflich“, erzählt der Bürgermeister.
Aus dieser Erfahrung heraus entstand die Idee für ein neues Dorfkonzept: Wohnen im Alter sollte vor allem diverse Maßnahmen für einen besseren Lebensabend in Vrees umfassen. Eine davon ist das Pflegehaus, das 2022 eröffnet wurde. Es bietet zwölf barrierefreie Wohnungen für Menschen ab 60 Jahren oder mit Pflegegrad zwei. Anders als klassische Pflegeheime setzt das Pflegehaus auf kleine, private Apartments. Die Bewohnerinnen und Bewohner können ihre eigenen Möbel mitbringen – wie in einer richtigen Wohnung. „Auf diese Weise können wir das vertraute Zuhause-Gefühl erhalten“, erklärt Kleene. Angehörige können jederzeit kommen und gehen, die Betreuung wird individuell mit den Pflegekräften besprochen. Ein Aspekt war Bürgermeister Kleene besonders wichtig: „Das Pflegehaus gehört mitten ins Dorf, nicht an den Rand.“ Das Amt für regionale Landesentwicklung unterstützte das Projekt mit 500.000 Euro – Fördermittel, die das Amt gezielt für die kommunale Daseinsvorsorge bereitstellt.
Das Bürgerzentrum: Kaffee und Kontakte
In Vrees sollen aber auch die Jüngeren ihren Platz in der Dorfgemeinschaft finden. „Wir müssen sehen, dass wir bei allen Maßnahmen für ältere Menschen auch die jungen Leute mitnehmen. Es muss für alle Generationen passen, damit es im Dorf funktioniert“, sagt Bürgermeister Kleene. Aus diesem Grund eröffnete das Dorf schon 2021 ein Bürgerhaus, das seitdem eine Begegnungsstätte für alle Altersgruppen ist. Hier treffen sich Senioren zum Kaffee und Eltern besuchen Lesungen oder Infoveranstaltungen. Kinder und Senioren kommen im Bürgerhaus zusammen und werden kreativ, indem sie zum Beispiel Fensterbilder basteln oder zusammen singen. „Wir haben circa 40 Vereine in Vrees, die abwechselnd eine Veranstaltung organisieren. Hier ist also immer was los“, sagt Kleene.
Claudia Neu, Professorin für Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel, unterstützt den Ansatz, den Vrees gewählt hat: „Ein harmonisches Miteinander von Jung und Alt gibt beiden Seiten Halt: Junge Menschen lernen Verantwortung, Ältere bleiben eingebunden.“ Solche Strukturen stärken nicht nur das Gemeinschaftsgefühl, sondern auch die Zukunftsfähigkeit ländlicher Orte. „Lebendige Dorfgemeinschaften sorgen dafür, dass Menschen gerne bleiben oder zurückkehren. Wenn Jung und Alt zusammenhalten, entstehen außerdem Netzwerke, die Versorgung sicherstellen, Ehrenamt ermöglichen und das soziale Leben im Ort erhalten“, erklärt Neu.
Der Bürgerbus: Vrees macht mobil
Diese Netzwerke zeigen sich in Vrees ganz praktisch – etwa beim Bürgerbus. „Unser sozialer Fahrdienst, kurz SoFa, sorgt dafür, dass ältere oder körperlich eingeschränkte Menschen mobil bleiben“, erklärt Bürgermeister Kleene. Insgesamt sieben ehrenamtliche Fahrerinnen und Fahrer bringen die Fahrgäste zum Arzt, zum Einkaufen oder zu Veranstaltungen ins Bürgerhaus.
Die Idee dazu entwickelte die Gemeinde Vrees gemeinsam mit der Universität Vechta. „Wir haben die Bedarfe der Menschen analysiert und daraus einen Fahrplan erstellt“, erklärt Karl Martin Born. Er ist Professor im Bereich Humangeographie an der Universität Vechta und Direktor des Vechta Institute of Sustainability Transformation in Rural Areas sowie Sprecher des Arbeitskreises Dorfentwicklung in der Deutschen Gesellschaft für Geografie. Der Bürgerbus ist kostenlos und überschreitet sogar Kreisgrenzen – im ländlichen Nahverkehr ist das keine Selbstverständlichkeit. Viele Landkreise organisieren ihren öffentlichen Personennahverkehr getrennt über eigene Verkehrsverbünde mit unterschiedlichen Ticketsystemen. „Das kann gerade für ältere Menschen ein Hindernis sein“, erklärt Born.
Große Pläne für die Zukunft
Mobilität ist nur einer von vielen Bausteinen des Vreeser Konzepts, das Kleene und die Dorfgemeinschaft fortlaufend weiterentwickeln. So steht bereits ein zweites Pflegehaus mit weiteren zwölf barrierefreien Wohnungen kurz vor dem Baustart. „Das Angebot kommt so gut an, dass wir eine lange Warteliste haben“, sagt Bürgermeister Kleene. Der Bedarf sei groß, weil viele Menschen ihren Heimatort nicht verlassen möchten, schon gar nicht im Alter oder wenn sie Pflege benötigen. Sie wollen bleiben. Kleene und die Ehrenamtlichen setzen alles daran, dass dieser Wunsch Wirklichkeit wird – und alle Generationen in Vrees harmonisch zusammenleben können.
17 Millionen
Deutsche lebten 2024 allein.
Quelle: Statistisches Bundesamt
40 Prozent
der Bevölkerung Deutschlands lebte 2022 in Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohnern.
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

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