„Die schwerste Aufgabe für humanoide Roboter: der Alltag“
Humanoide Roboter faszinieren uns – doch was können sie bisher wirklich? Professor Angela Schoellig räumt im Interview mit Mythen auf und erklärt, an welchen Stellen Roboter schon heute helfen können und wo unsere Vorstellungen noch Zeit brauchen.
In 20 Jahre alten Filmen wie „I, Robot“ oder „Wall-E“ gehören humanoide Roboter längst zur Normalität. Wie realistisch ist dieses Szenario heute?
Angela Schoellig: Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, weil wir Fortschritte oft überschätzen, die in zwei oder drei Jahren möglich sind, und unterschätzen, wie viel sich in zehn oder fünfzehn Jahren ändern kann. Heute sind Roboter sehr leistungsfähig, wenn sie in einer bekannten Umgebung wenige, einfache Aufgaben erledigen, zum Beispiel in der Automobilproduktion. Roboter am Fließband machen immer die gleichen Bewegungen und die Umgebung ändert sich nicht. Aber wir bewegen uns allmählich aus diesen kontrollierten Umgebungen heraus, etwa mit selbstfahrenden Autos auf Straßen. Die größte Herausforderung ist der Einsatz von Robotern in unseren Wohnungen, in Krankenhäusern oder überall dort, wo sich ständig etwas verändert und viele verschiedene Aufgaben anfallen.
Immer wieder berichten Medien von beeindruckenden Prototypen humanoider Roboter wie Sophia von Hanson Robotics LTD oder Atlas von Boston Dynamics. Was sind aktuell die größten Unterschiede zwischen diesen Showcases und der realen Alltagsanwendung?
Ein großes Missverständnis ist, dass Videos von Robotern Alltagsrealität suggerieren – was im Video funktioniert, klappt nicht automatisch überall. In Showcase-Videos machen humanoide Roboter oft spektakuläre Dinge und schlagen zum Beispiel einen Salto. Doch selbst solche Aufnahmen funktionieren meist nur unter bestimmten Bedingungen, mit speziell trainierten Modellen und in genau der Umgebung, für die er programmiert wurde – und dann vielleicht mit einer Erfolgsquote von 60 Prozent oder 70 Prozent. Das reicht für den Einsatz im Alltag noch nicht aus. Ein Roboter, der Wäsche zusammenlegt, kann das eben nicht überall und mit jeder Art von Kleidung. Der Sprung vom Demo zum verlässlichen Alltagshelfer ist also groß.
Zur Person: Angela Schoellig ist Professorin für Robotics und Artificial Intelligence an der Technischen Universität München und leitet den Lehrstuhl Learning Systems and Robotics Lab. Außerdem ist sie stellvertretende Direktorin des Centre for Aerial Robotics Research and Education in Kanada. In ihrer Forschung kombiniert sie Robotik, Regelungstechnik und maschinelles Lernen mit dem Ziel, dass Roboter durch Erfahrung lernen und dadurch sicherer und autonomer werden.
Welche Aufgaben können humanoide Roboter heute schon übernehmen, um Menschen zu unterstützen oder zu entlasten?
Ein gutes Beispiel ist die Arbeit in Lagerhäusern. Amazon hat inzwischen mehr als eine Million Roboter im Einsatz, die Waren bewegen und den Menschen viel Laufarbeit abnehmen. Auch in Häfen, Flughäfen und der industriellen Produktion übernehmen Roboter Transport- und Montageaufgaben. Es gibt sogar fliegende Roboter, die bei Ikea nachts Regale scannen und das Inventar prüfen. Woanders patrouillieren vierbeinige Roboter in Industrieanlagen und messen regelmäßig Werte – zum Beispiel auf Bohrinseln oder in anderen Gefahrenbereichen.
Wie steht es um Sicherheit und Zuverlässigkeit, wenn Roboter mit Menschen oder in gefährlichen Umgebungen arbeiten?
Das ist ein ständiger Entwicklungsprozess. Bei traditionellen Industrierobotern sorgen Sicherheitskäfige dafür, dass Menschen nicht in ihren Arbeitsbereich geraten. Je näher Roboter am Menschen arbeiten, desto mehr Sensorik und ausgeklügelte Sicherheitsalgorithmen sind nötig. Hersteller und Anwender können versuchen, technisch das Risiko zu minimieren, aber 100 Prozent Sicherheit gibt es nicht. Deswegen ist es wichtig, potenzielle Schäden möglichst gering zu halten oder gar zu vermeiden, etwa durch Notbremsungen, leichte Materialien oder spezielle Software.
Arbeiten Menschen und Roboter bereits Hand in Hand?
Bisher gibt es meist noch eine klare Trennung. Roboter in Lagerhäusern bringen zum Beispiel Waren zu den Menschen, aber ein direkter Kontakt findet nicht statt. Im Haushalt können Saugroboter sicher um Menschen herumfahren, weil sie leicht und mit Sensoren ausgestattet sind. Im Bauwesen erforschen wir, ob Roboter zum Beispiel Steine mit extremer Präzision platzieren könnten, während Menschen die nächsten Arbeitsschritte übernehmen. Die Herausforderung liegt darin, dass der Roboter den Menschen wahrnimmt und versteht, was dieser tut. Genau daran forschen wir intensiv.
Gibt es Einsatzbereiche, in denen Roboter auf absehbare Zeit an ihre Grenzen stoßen?
Ja, besonders in dynamischen und unvorhersehbaren Umgebungen. Sobald es um den physischen Kontakt mit Menschen geht, zum Beispiel in der Pflege, wird es technisch komplex: Sicherheit, Materialeigenschaften und zuverlässige Steuerung müssen hier zusammenkommen. Zwei Eigenschaften des Menschen bleiben zudem schwer erreichbar für humanoide Roboter: Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit. Ein Roboter, der morgens den Haushalt schmeißt und nachmittags zur Polizei geht, wird schwer zu realisieren sein. Körper und Gehirn des Menschen bleiben einzigartig.
Und wie steht es um die Empathie?
Es ist überraschend, wie schnell Menschen eine emotionale Bindung zu Maschinen entwickeln – etwa zu robotischen Kuscheltieren für ältere Menschen oder ChatGPT als Sparringspartner. Umgekehrt bleibt echte Empathie eine große Hürde. Maschinen können zwar Reaktionen simulieren, aber das tiefe, menschliche Verständnis und das Einfühlungsvermögen bleiben bislang unerreicht.
Wie schnell schreitet die Entwicklung humanoider Roboter voran?
Die Entwicklung ist rasant, weil es große Investitionen und technologische Fortschritte gibt. Vieles hängt davon ab, wie schnell Roboter von Bildern und Videos lernen können, und wie man diese Fähigkeiten in die reale, komplexe Welt übersetzt. Ich halte es für realistisch, dass Roboter bald sehr viele verschiedene Aufgaben lernen können. Allerdings sind wir meiner Einschätzung nach noch weit davon entfernt, Roboter im Haushalt oder in der Pflege einzusetzen.
Wie sähe Ihr persönlicher Traumroboter aus?
Mein Traumroboter ist einer, der unsichtbar im Hintergrund agiert und einfach zuverlässig funktioniert: Das Gepäck kommt immer pünktlich am Flughafen an, das Haus ist sauber, Taxis sind immer verfügbar. Wenn Roboter richtig nützlich sind, nehmen wir sie gar nicht mehr als Roboter wahr, sondern als selbstverständlichen Teil unseres Alltags.
50 Prozent
der Produktivität und Geschicklichkeit -circa - eines Menschen könnten humanoide Roboter bis 2032 erlangen. 
Quelle: Interact Analysis, März 2025
2 Billionen US-Dollar
beträgt das weltweite Marktpotenzial humanoider Roboter jährlich.
Quelle: Interact Analysis, März 2025
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