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Nachhaltig leben ohne Verbote

Text von Jessica Braun
28.10.2025
Gesellschaft
Lichtschalter auf den ein aus schwarzer Pappe ausgeschnittener Schornstein steht auf dem eine Wolke kommt auf der CO2 steht | © Jas Min, Unsplash

Foto: Jas Min, Unsplash

Heute gibt’s nur vegetarisches Essen! Runter mit der Heizung! Solche von oben diktierten Maßnahmen für Umwelt und Klima kommen beim Personal von Unternehmen nicht gut an. Viel wirksamer ist es, die Mitarbeitenden mit sanften Anregungen zu freiwilligem nachhaltigen Handeln zu bewegen. Der Trend heißt „Green Nudging“.

Der fleischlose Montag war kein Erfolg: 2010 beschloss der Internetkonzern Google in seinem Headquarter in Mountain View, Kalifornien, den Mitarbeitenden montags nur noch vegetarische Kost und Fischgerichte anzubieten. Es war ein Versuch, etwas für die Gesundheit des Personals und gleichzeitig für die Umwelt zu tun. Die Maßnahme betraf zwar nur zwei der mehr als 20 kostenlosen Kantinen auf dem Firmengelände. Doch einige Googler protestierten lautstark und veranstalteten umgehend ein Protestgrillen. Einer schrieb eine empörte E-Mail: „Hören Sie auf, mir vorschreiben zu wollen, wie ich mein Leben zu leben habe. Oder ich gehe zu Microsoft, Twitter oder Facebook, wo man sich nicht mit uns anlegt.“

Seit Google sich zum ersten Mal am fleischlosen Montag versuchte, ist die Klimakrise stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt – und damit auch auf die Agenda vieler Unternehmen. Nicht nur, dass Extremwetterereignisse die Lieferketten unterbrechen oder den Betriebsablauf stören. Auch der Druck durch die Öffentlichkeit wächst: Ganze 91 Prozent der Deutschen wünschen sich einen umwelt- und klimafreundlichen Umbau der deutschen Wirtschaft, ergab eine Studie von Umweltbundesamt und Bundesumweltministerium. Unternehmen, die ihre Klimabilanz verbessern wollen, stellen sich deshalb die Frage, wie sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entsprechendem Handeln bewegen können. Denn mit deren Unterstützung sind die notwendigen Ziele natürlich einfacher zu erreichen.

Nobelpreis für Nudging-Konzept

Veränderung ist also nötig. Angestellte, die sich gegängelt oder bevormundet fühlen, stellen sich jedoch oft quer. „Die Leute mögen es nicht, wenn man ihnen ihre Wahlmöglichkeiten nimmt“, kommentierte Laszlo Bock, ehemaliger Personalchef des IT-Unternehmens, Googles gescheiterten fleischlosen Montag in einem Interview. In seinem Buch „Work Rules!“ analysiert er diese und andere Maßnahmen, mit denen der Konzern seinerzeit versuchte, die Belegschaft zu nachhaltigerem Handeln zu bewegen: „Wie kann man das Umfeld so verändern, dass die Wahlmöglichkeiten nicht wegfallen, dieses die Menschen aber daran erinnert, gute Entscheidungen zu treffen?“ Bocks Antwort: Nicht schubsen. Sondern stupsen. 

Wie kann man das Umfeld so verändern, dass die Wahlmöglichkeiten nicht wegfallen, dieses die Menschen aber daran erinnert, gute Entscheidungen zu treffen?
Laszlo Bock

Das Konzept stammt aus der Verhaltensökonomie. Bekannt gemacht haben es zwei US-Wissenschaftler, der Rechtswissenschaftler Cass Sunstein und der Wirtschaftswissenschaftler und spätere Nobelpreisträger Richard Thaler. Ihr 2004 erschienenes Buch „Nudge“ war ein Bestseller. Der Ursprung des Wortes ist unklar. Möglicherweise stammt es vom norwegischen nugge ab, was so viel wie anstupsen bedeutet. Laut den Autoren ist ein Nudge ein Anstoß, der die Entscheidungsfreiheit aufrechterhält, aber die Menschen in eine bestimmte Richtung lenkt. Keine Regel, kein Verbot. Nur eine sanfte Anregung. 

Intrinsische Motivation fördern

„Regeln sind in Unternehmen wichtig“, sagt Dr. Julius Rauber vom Institut für Verbraucherpolitik ConPolicy. „Sind sie sinnvoll und gut zu vermitteln, fällt es der Belegschaft auch leicht, sie zu akzeptieren.“ Green Nudges geben Veränderungsprozessen eine andere Dynamik, so Rauber: „Bestenfalls wecken sie in Mitarbeitenden die Eigenmotivation. Und wer aus einer intrinsischen Motivation heraus handelt, tut das mit viel mehr Leidenschaft.“ 

Die Möglichkeiten, Mitarbeitende zu nudgen, sind vielfältig: Mit Feedback lässt sich der Strom- oder Kraftstoffverbrauch veranschaulichen; Firmen können Fahrgemeinschaften fördern oder vergünstigte Firmenfahrräder anbieten; Wettbewerbe motivieren Abteilungen, monatlich gemeinsam Fahrradkilometer zu sammeln; geänderte Grundeinstellungen am Drucker sparen Papier, weil dieses beidseitig genutzt wird. Da ist für jede Firma etwas dabei. 

Rotes Licht bei Energieverschwendung

Wie zuverlässig solche Ansätze wirken, hat ConPolicy anhand einer Studie evaluiert. Getestet wurden 68 verschiedene Green Nudges in acht Unternehmen aus Bremen und Bremerhaven. Initiiert hatte das Projekt die gemeinnützige Klimaschutzagentur energiekonsens. Im Kühlraum des Fischgroßhändlers Deutsche See in Bremerhaven beispielsweise muss die Temperatur möglichst konstant bleiben. Steht die Tür zu lange offen, treibt die Kühlung den Energieverbrauch in die Höhe. Im Projektzeitraum zeigte ein LEDSmiley den Mitarbeitenden an, wenn die Temperatur stieg. Hatte der ein rotes Gesicht mit hängenden Mundwinkeln, war klar: Die Tür stand zu lange offen. Die Maßnahme senkte die Temperaturschwankungen um rund ein Fünftel.

Je sozialer das Unternehmen eingestellt ist, desto ethischer verhalten sich auch seine Mitarbeitenden – bis ins Privatleben hinein.

Der Bremer Honig- und Süßungsmittelhersteller Sonnentracht, ebenfalls in die Studie involviert, änderte die Voreinstellungen bei den Druckern, was den Papierverbrauch um rund zwölf Prozent senkte. Fast verdreifachen ließ sich die Rate der ausgeschalteten Monitore bei der Handelskrankenkasse Bremen. Ein Pop-up- Fenster erinnerte die Mitarbeitenden daran.

Auch Google fand letztlich Anstupser, die etwas bewegten und kaum jemanden störten: Prominent platzierte Salate und kleine Teller zusätzlich zu den großen führten dazu, dass die Mitarbeitenden sich weniger Fleisch nahmen – und weniger Essen weggeworfen wurde. Unternehmen, die ihre Belegschaft auf ähnliche Weise stupsen wollen, sollten eins nicht vergessen: die eigene Vorbildfunktion. Julius Rauber: „Gemäß dem Sprichwort: Tue Gutes und rede darüber.“ Erst kürzlich belegte eine Studie der Universität Mannheim diesen Effekt: Je sozialer das Unternehmen eingestellt ist, desto ethischer verhalten sich auch seine Mitarbeitenden – bis ins Privatleben hinein.

Dieser Artikel ist zuerst in Character erschienen, dem Gesellschaftsmagazin der Bethmann Bank. Weitere Informationen zur aktuelen Ausgabe finden Sie auf unserer Webseite.

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