Auf ewig Pumpen
Ulrich Paschedag ist Vizepräsident des Forschungszentrums Nachbergbau (FZN) an der Technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum. An dem weltweit einzigartigen Institut widmet er sich zusammen mit anderen Wissenschaftlern jenen Fragen, die aufkommen, wenn der Bergbau geht. Dazu gehören zum Beispiel das nachhaltige Management des Grubenwassers und die Untersuchung der Alterungsprozesse von Werkstoffen.
Herr Paschedag, im Jahr 2018 wurde die letzte deutsche Zeche geschlossen. Was passiert nach einer solchen Schließung üblicherweise?
Wenn ein Bergwerk schließt, wird alles aus der Grube herausgeräumt, was verwertbar ist oder was Schadstoffe enthält. Danach müssen die Tagesöffnungen verfüllt werden – das geschieht meistens mit Beton.
Aber damit ist doch alles getan, oder? Womit beschäftigen Sie sich dann noch im FNZ?
Nein, damit ist noch längst nicht alles erledigt. Vor allem die massiven Eingriffe in die geologische Substanz haben nämlich dauerhafte Konsequenzen – unter und über Tage. Unser größter Forschungsbereich sind das Grubenwassermanagement und die Ewigkeitsaufgaben. Daneben untersuchen wir die Alterungsprozesse von Werkstoffen, die im Bergbau eingesetzt wurden. Wir erfüllen zahlreiche Forschungsaufgaben, bei denen es vor allem um das Messen und Beobachten geht. Zur Überwachung des Grubenwassers haben wir zum Beispiel Tiefseesonden entwickelt, die dauerhaft Daten wie Fließgeschwindigkeit, Grubenwasserspiegel, Salzgehalt und die Temperatur des Wassers liefern.
Wozu brauchen Sie die Daten?
Ein Ziel unserer Messungen ist es, ein nachhaltiges Niveau des Grubenwasseranstiegs zu bestimmen. Die dabei entscheidende Frage lautet: Besteht die Notwendigkeit, das Grubenwasser auf ewig zu pumpen? Und wenn ja, ab welchem Niveau?
Warum muss es überhaupt weiter abgepumpt werden?
Solange die Zechen noch in Betrieb waren, war es notwendig, die Schächte und Strecken unter Tage frei von Wasser zu halten, um einen Abbau überhaupt zu ermöglichen. Nach dem Ende des Bergbaus ist das Problem eher, dass das Grubenwasser im Ruhrgebiet salzhaltig und teilweise chemisch belastet ist – je tiefer man kommt, desto mehr. Daher ist es sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll, das Grubenwasser kontrolliert ansteigen zu lassen. Jedoch nur, solange die Trinkwasserreservoire nicht davon beeinträchtigt werden. Wir am FZN begleiten diesen Prozess wissenschaftlich, um das Grubenwassermanagement nachhaltig zu gestalten.
Ist das Grubenwasser auch in irgendeiner Weise nützlich?
Ja, denn wir haben warmes Grundwasser. Für jede hundert Meter, die Sie im Ruhrgebiet in die Tiefe gehen, wird es drei Grad wärmer. Mit dem Grubenwasser werden in der Region beispielsweise eine Schule und eine Feuerwache beheizt. Die Wärmeversorgung durch Grubenwasser ist jedoch nichts, was uns ansatzweise unabhängiger von Lieferungen aus dem Ausland machen kann.
Was messen und beobachten Sie im FZN noch?
Ein weiterer Bereich ist das Geomonitoring. Hier wenden wir moderne Mess- und Überwachungsmethoden unter anderem an, um Veränderungen im Gelände oder in der Vegetation frühzeitig zu erkennen. Um Bodenveränderungen in der Region zu messen und zu beobachten, arbeiten wir mit dem EU-Satellitenprogramm „Copernikus“ zusammen. Die Satelliten überfliegen das Ruhrgebiet einmal pro Woche und sammeln Daten, die unsere Fachleute mithilfe von Algorithmen auswerten. Durch den zusätzlichen Einsatz von Drohnen können wir verschiedene Informationen kombinieren und intelligente 3-D-Bilder erzeugen. So können wir erkennen, ob ein Feld kurz vor dem Absinken oder vor der Vernässung steht. Mit den durch Geomonitoring gewonnenen Daten können wir die Folgen dieser Veränderungen minimieren und rechtzeitig eingreifen.
Mein Kollege Professor Michael Prange aus dem Forschungsbereich Materialkunde beschäftigt sich zu einem großen Teil mit der Erhaltung und Konservierung der industriellen Hinterlassenschaften wie Fördergerüsten oder Hochöfen. Eines unserer Ziele ist es ja, die Industriezeugnisse für kommende Generationen zu bewahren. Das Materialkunde-Team untersucht beispielsweise, wie sich Rost ausbreitet und wie Kunststoff altert.
Können die Forschungsergebnisse auch außerhalb des Nachbergbaus genutzt werden?
Ja, zum einen können unsere Untersuchungsmethoden für den Erhalt anderer Industriegebäude und Konstruktionen eingesetzt werden. Die Erkenntnisse auf dem Gebiet der Alterung von Kunststoffen können aber auch für die Entwicklung neuer Kunststoffe genutzt werden – solcher, die beispielsweise schneller als bisher verfallen. Vielleicht tragen sie künftig sogar dazu bei, Plastikmüll zu reduzieren. Außerdem trägt unsere Forschung insgesamt dazu bei, den Abbau von Rohstoffen weltweit nachhaltiger zu gestalten.
Im Ruhrgebiet sagte man lange: Erst stirbt die Zeche, dann stirbt die Stadt. Das Forschungszentrum beleuchtet auch die sozioökonomischen Folgen der Zechenschließungen. Worum geht es da?
Wir beschäftigen uns mit der Frage, welche Ansätze es gibt, um Arbeitsplätze und Industrie nachhaltig in die Region zu bringen. Das Ruhrgebiet ist im Zuge der Kohle- und Stahlindustrie zum größten Ballungsraum Deutschlands geworden. In den vergangenen 200 Jahren wuchs die Einwohnerzahl auf fünf Millionen in den 1960er-Jahren. Hunderttausende von Kohle- und Stahlarbeitsplätzen sind in den letzten Jahrzehnten abgebaut worden – aber die Menschen sind geblieben. Im Ruhrgebiet ist das ein Langzeitprojekt. Die Kohlekrise begann hier schon Ende der 1950er-Jahre. Das Thema läuft also schon seit über 60 Jahren. Neben dem Bergbau hatten wir auch andere Verluste, beispielsweise die Schließung des Opel-Werks in Bochum im Jahr 2014.
Welche Ansätze gibt es, Industrie ins Ruhrgebiet zu holen?
Mehrere. Bochum entwickelt sich beispielsweise derzeit zu einer Drehscheibe für Sicherheit – also alles, was mit Sicherheitssoftware und -hardware zu tun hat – und das ist ein sehr zukunftsweisendes Feld. Am Opel-Standort werden derzeit mehrere Hallen speziell für dieses Thema weiterentwickelt.
Herr Paschedag, haben Sie auch eine persönliche Verbindung zum Bergbau?
Ja, mein Großvater war im Bergbau tätig. Und meine persönliche Bergbau-Karriere begann mit einer Grubenfahrt, die ich als Praktikant nach meinem Abitur im Jahr 1977 machte. Was mich damals fasziniert hat, war die Kameradschaft der Männer untereinander – egal ob Steiger oder Kumpel. Nach dieser Grubenfahrt entschloss ich mich, Bergbau zu studieren. Danach war ich mein ganzes Arbeitsleben im Bereich Bergbau tätig, heute eben forschend.
220 Millionen Euro
pro Jahr kosten die Ewigkeitsaufgaben im Ruhrgebiet seit 2019.
Quelle: RAG Aktiengesellschaft
70 Millionen Kubikmeter
Grubenwasser leitet die RAG jährlich in Lippe, Emscher, Ruhr und Rhein ein.
Quelle: RAG Aktiengesellschaft
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