Netzwerke gegen die Einsamkeit
Die westliche Gesellschaft wird immer älter – und auch einsamer. Viele Seniorinnen und Senioren haben keine Familie oder Bekannte mehr und verbringen ihre Zeit meist allein. Andere wiederum beziehen nur eine kleine Rente und können es sich kaum leisten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Eine Reihe sozialer Projekte hat es sich deshalb zum Ziel gemacht, Ältere aus ihrer Isolation zu holen.
„Altwerden ist nichts für Feiglinge“ – darin waren sich Hollywoodstar Bette Davis, Ex-Fußballer Uwe Seeler und der deutsche Schauspieler Joachim Fuchsberger einig. Doch neben den körperlichen Beschwerden kommt mit den Jahren auch noch die Geißel des 21. Jahrhundert hinzu: die Einsamkeit. Bereits heute erhält laut Deutschem Zentrum für Altersfragen (DZA) jeder vierte Ältere nur einmal im Monat Besuch von Freunden oder Bekannten. Manche haben sogar überhaupt keinen Kontakt mehr nach außen. Zahlreiche Projekte, von Freiwilligen ins Leben gerufen, sollen Abhilfe schaffen und die Alten wieder in die Gesellschaft zurückholen.
Verabredung zum wöchentlichen Telefonat
„Für alle möglichen Zielgruppen – Kinder, Jugendliche oder Menschen mit besonderen Einschränkungen – gibt es staatliche Hilfsorganisationen, aber ältere Menschen haben keine Lobby“, bemängelt Judith Prem, Geschäftsführende Vorständin von Retla e. V. Ihr gemeinnütziger Verein startete während der Coronapandemie das Projekt „Telefon-Engel“. Inzwischen zählt der Verein rund 1.000 Telefon-Patenschaften, bei denen geschulte Freiwillige sich jede Woche eine Stunde lang mit demselben älteren Menschen zum Telefonieren verabreden. So wie Martin Suiter: Der 57-jährige Freiberufler aus München hörte vor drei Jahren im Radio von den Telefon-Engeln und war gleich dabei. „Mir war nur wichtig, dass mein Pendant am Telefon meine Interessen teilt, sodass wir immer genügend Stoff für gute Gespräche haben“, erklärt Suiter.
Seitdem ist er Telefon-Pate einer mittlerweile 76-jährigen Dame, mit der er sich über Kunst, Kultur, das Weltgeschehen und auch Privates austauscht. „Ich freue mich immer, wenn wir das Gespräch mit einem Lachen beenden“, sagt er. Die Seniorin, so stellt er fest, sei durch den verlässlichen Kontakt im Laufe der Jahre viel offener geworden, traue sich mehr zu, besuche auch mal alleine ein Café und habe inzwischen jemanden gefunden, mit dem sie regelmäßig spazieren gehe.
Zum Plausch in den Supermarkt
Privat organisierte Initiativen gegen die Einsamkeit findet man auch dort, wo man es vielleicht nicht erwartet. Etwa an der Kasse eines Supermarkts, wo es sonst eher drängelig zugeht und alles schnell gehen soll. Nicht so im FFFrische-Center von Marius Höchner in Schweinfurt: Jeden Dienstagvormittag öffnet Höchner seine Plauderkasse, an der seine Mitarbeiterin Helga Schöner sich extra Zeit für ein Schwätzchen nimmt. „In einem Personalgespräch mit Frau Schöner habe ich festgestellt, dass sie gerne ein offenes Ohr für andere hat“, erklärt der 29-jährige Leiter von drei Märkten. „Die Kundinnen und Kunden sprechen mit mir über alles, was sie bewegt“, sagt Schöner. „Es gibt herzzerreißende, oft witzige Momente und manchmal auch sehr persönliche Geschichten.“ Diese weiterzuerzählen kommt für sie jedoch nicht infrage: „Was an der Plauderkasse besprochen wird, bleibt an der Plauderkasse!“, betont Schöner. Marktleiter Höchner ist überrascht von der rundweg positiven Resonanz seiner Kundschaft und plant, zumindest stundenweise weitere Treffpunkte einzuführen.
Die Idee der Plauderkasse stammt ursprünglich vom niederländischen Supermarktbetreiber Jumbo, der mittlerweile rund 200 Kletskassas eingerichtet hat. Das Konzept entstand 2019 im Rahmen der Regierungskampagne „One against Loneliness“. „Als Familienunternehmen und Supermarktkette stehen wir mitten in der Gesellschaft“, erklärt Colette Cloosterman-van-Eerd Jumbo-Miteigentümerin und gleichzeitig Vorsitzende der „National Coalition against Loneliness“. Sie weiß: „Unsere Filialen sind für viele Menschen ein wichtiger Treffpunkt.“ Deshalb bietet Jumbo auch Plauderecken in den Supermärkten an, in denen die Kundschaft bei einer Tasse Kaffee zusammenkommen kann. Beide Einrichtungen seien zwar nur eine kleine Geste, aber sehr wertvoll, „insbesondere in einer Welt, die sich digitalisiert und immer schneller wird“, ist Cloosterman-van Eerd überzeugt.
Wenn der Postbote zum Schwätzchen kommt
Entschleunigt geht es auch in Frankreich zu: Wenn in ländlichen Regionen der Postmann klingelt, freuen sich die Senioren. Gegen rund 20 Euro pro Monat schaut der Briefträger einmal in der Woche nach dem Rechten und unterhält sich mit ihnen. Nach Angaben von La Poste S.A. in Paris nutzen bislang 22.000 ältere Franzosen diesen Service. Der Versuch, das Projekt nach Deutschland zu holen, floppte jedoch: In Bremen stieß das Projekt „Post Persönlich“ auf wenig Akzeptanz.
Dass solche Initiativen gegen Isolation und Einsamkeit im Alter nachhaltig wirken, davon ist die Retla-Vorständin Prem überzeugt: „Wir lassen unser Projekt derzeit von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt evaluieren“, sagt sie. „Erste Befragungen haben ergeben, dass das Einsamkeitsgefühl bei den Seniorinnen und Senioren durch den regelmäßigen Kontakt nachlässt und dass sie sich unterstützt fühlen.“ Das bestätigt auch Erich K. aus München: „Mit meinem Telefon-Engel kann ich mich über alles unterhalten, über Politik, Alltagsthemen und Fußball“, erklärt er. „Anfangs waren wir ein bisschen vorsichtig, wir waren ja Fremde. Inzwischen haben wir uns gefunden, die Gespräche laufen flüssig, und wir sind Freunde geworden.“
Weitere Projekte gegen die Einsamkeit im Alter:
Die sozio-kulturelle Initiative verbindet ältere Menschen mit geringem Einkommen über kostenlose Kulturbesuche mit Jugendlichen aus ihrer Nachbarschaft - bislang in Hamburg und Kiel.
Hallo Projekt
Die soziale Initiative aus München fördert durch gemeinsame Aktivitäten und Events den generationsübergreifenden und interkulturellen Austausch zwischen Seniorinnen und Senioren und Einwanderinnen und Einwanderern.
eigenleben.jetzt
Die eigenleben-Projekte in München schaffen digitale und reale Räume für Menschen, die auch im Alter aktiv sein wollen, etwa durch gemeinsames Kochen, On- und Offline Veranstaltungen im eigenleben.club oder Workshops in der eigenleben.werkstatt.
Tisch der Generationen
Das Projekt der Kunstbaustelle e. V. fördert den Dialog der Generationen an 30 Orten in Bayern zum persönlichen Austausch von Lebens- und Berufserfahrungen. Der Dialog findet sowohl über Online-Kommunikation als auch bei Treffen im echten Leben statt.
Freunde alter Menschen e. V.
Der Verein ist Mitglied der internationalen Föderation „Les petits frères des Pauvres“ und vermittelt Besuchspartnerschaften in Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt am Main und in München.
Generation Nachbarschaft
Die Hamburger Initiative hilft, nachbarschaftliche, generationsübergreifende Netzwerke aufzubauen. Sie bietet eine Online-Plattform zum Austausch von Erfahrungen und Infos zu Veranstaltungen sowie einen monatlichen Stammtisch.
Silbernetz
Silbernetz bahnt für einsame Menschen ab 60 Jahren anonyme Kontakte an, ermöglicht den Wiederaufbau persönlicher Verbindungen und hilft, passende Unterhaltungsangebote im Umfeld zu finden. Der Verein hat auch „Plauderbänke“ in Berlin aufgestellt.
Zuhörbank
In Düsseldorf sollen Bürgerinnen und Bürger verschiedener Generationen im Stadtviertel in Verbindung kommen. Ehrenamtliche sitzen zu bestimmten Uhrzeiten auf der Zuhörbank und warten auf Gesprächspartner.
18,4 Millionen Menschen
in Deutschland sind derzeit 65 Jahre alt und älter.
Quelle: Statista
1 Million
Seelsorge- und Beratungsgespräche führte die Malteser Telefonseelsorge im Jahr 2022.
Quelle: Telefonseelsorge.de
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