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„Gleichberechtigung ist eine junge Pflanze“

Text von Lilian Schmitt
06.02.2024
Gesellschaft

Sie ist Installateurin, Model, Influencerin und Autorin. Sandra Hunke ist gerne auf vielen Baustellen gleichzeitig unterwegs. Auf Instagram und TikTok teilt sie ihren Alltag mit mehr als einer halben Million Fans. Zum Weltfrauentag wünscht sich Hunke, dass Handwerkerinnen auf der Baustelle künftig nicht mehr als Besonderheit angesehen werden. 

Frau Hunke, Sie arbeiten als Installateurin und Model. Ist es Ihnen lieber, auf der Straße als Model erkannt zu werden - oder als Handwerkerin?

Sandra Hunke: Ich freue mich immer, wenn man mich erkennt. Da gibt es für mich keinen Unterschied. Wenn ich als Handwerkerin unterwegs bin, fragen mich Kunden, ob ich nicht das Model wäre. Während der Fashion Week wiederum sprechen mich Fotografen und Models darauf an, ob ich nicht die bin, die auch Toiletten montiert. 

Wie sieht Ihr Alltag in dieser Doppelrolle aus? 

Ich bin montags und dienstags, alle zwei Wochen auch mittwochs, als Anlagenmechanikerin bei der Badgalerie Blome in Paderborn angestellt und gestalte aus alten Bädern Wellnessoasen. An den restlichen Tagen produziere ich Beiträge für Instagram und TikTok oder arbeite als Model. Für Letzteres bin ich viel unterwegs, zum Beispiel in Berlin auf dem Laufsteg der Fashion Week oder in Mailand für Fotoshootings. 

Und was machen Sie, wenn Sie mal frei haben? 

Da habe ich vorgesorgt, bei mir kommt keine Langeweile auf: Ich renoviere gerade ein altes Haus und verwandle es in eine „Baumädchen“-Villa, die ich später vermieten möchte. 

Leider sind Frauen auf der Baustelle für viele noch ein ungewöhnlicher Anblick. Wir müssen deswegen immer noch mehr leisten als Männer, um uns zu beweisen.
Sandra Hunke

Bei der Renovierung werden Sie ausschließlich von Frauen unterstützt. Warum? 

Mit dem Projekt möchte ich auf Handwerkerinnen aufmerksam machen. Deswegen dokumentiere ich auf YouTube , wie wir arbeiten. Leider sind Frauen auf der Baustelle für viele noch ein ungewöhnlicher Anblick. Wir müssen deswegen immer noch mehr leisten als Männer, um uns zu beweisen. Ich hoffe, dass wir irgendwann mal dahin kommen, dass das Geschlecht egal ist. 

Frauen müssen also noch immer mehr arbeiten, um sich zu beweisen?

Ja, und vor allem dürfen sich Frauen weniger Fehler erlauben als Männer. Ein Beispiel: Mein Kollege hatte bei mir die Heizung neu eingedichtet. Das ist ihm erst beim dritten Anlauf gelungen. Da habe ich mich gefragt, wie es angekommen wäre, wenn mir das bei einem Kunden passiert wäre. Ich habe mich selbst dabei ertappt, dass ich dachte: typisch Frau. Dieses Denken muss aus den Köpfen raus, auch aus meinem Kopf. Dort, wo gearbeitet wird, passieren Fehler – egal ob Frau oder Mann die Arbeiten ausführt.   

Begegnen Ihnen in Ihrem beruflichen Alltag tatsächlich solche Vorurteile?   

Leider, ja. Es gibt immer noch Kunden, die denken, ein Mann wäre für den Beruf des Installateurs besser geeignet. Vor ein paar Monaten gab es einen älteren Mann, der bei uns eine Reparatur beauftragte. Als er erfuhr, dass ich den Auftrag übernehmen werde, reagierte er verdutzt. Vor Ort schaute er mir genau über die Schulter. Am nächsten Tag kam er zu uns in die Firma, brachte Schokolade und wollte sich entschuldigen, dass er angenommen hatte, eine Frau könnte das nicht.

Welchen Rat geben Sie Frauen, die täglich mit solchen Klischees kämpfen? 

Durchhalten, sich mit Gleichgesinnten austauschen und jeden Tag wieder alles geben. Ich bin immer meiner Leidenschaft gefolgt, auch wenn ich damit anfangs im Handwerk eine Außenseiterin war. Inzwischen zahlt es sich aus: Ich verdiene sehr gut und werde gesellschaftlich gefeiert. 

Als Handwerkerin arbeiten Sie in einer männerdominierten Branche, die Modelwelt ist weiblich geprägt – zumindest auf dem Laufsteg. Wie schaffen Sie diesen Spagat? 

Ich mache keinen Spagat. Sobald ich in meinen Arbeitsklamotten bin, ist es mir egal, ob ich mir den Fingernagel abbreche. Ich habe als Handwerkerin immer irgendwo blaue Flecken, aber dafür gibt es Visagisten und Photoshop. Das ist in der heutigen Zeit nicht mehr so schlimm.

Mein Berufsschullehrer hat mich damals gefragt, ob ich denn wirklich auf dem Bau arbeiten möchte, dafür wäre ich doch etwas zu weiblich. Da wurde mir erst klar, wie sehr noch in Klischees gedacht wird.
Sandra Hunke

Warum haben Sie sich entschieden, Ihren Alltag auf Instagram und TikTok zu teilen? 

Mein Berufsschullehrer hat mich damals gefragt, ob ich denn wirklich auf dem Bau arbeiten möchte, dafür wäre ich doch etwas zu weiblich. Da wurde mir erst klar, wie sehr noch in Klischees gedacht wird. Und deshalb nutze ich jede Gelegenheit, zu zeigen, wie schön das Handwerk ist und dass jede Frau, die möchte, auch darin arbeiten kann. 

Sie wollen also mehr Frauen für das Handwerk begeistern?

Definitiv! Viele junge Frauen schreiben mir, dass sie meinetwegen eine Ausbildung im Handwerk begonnen haben. Manchmal telefoniere ich mit besorgten Eltern von jungen Frauen, die gerne im Handwerk arbeiten möchten. Sie wünschen sich oft, dass ihre Töchter lieber studieren. Da sage ich dann immer: Gute Handwerker sind gefragt und können sehr gutes Geld verdienen – und schon sind die Bedenken weniger groß. 

Welche Bedeutung hat der Weltfrauentag für Sie? 

Der Weltfrauentag ist für mich sehr wichtig, weil Gleichberechtigung noch eine sehr junge Pflanze ist. Diese Tatsache müssen wir uns immer wieder bewusst machen. Meine Oma brauchte die Unterschrift ihres Mannes, damit Sie überhaupt arbeiten konnte. Und meine Mutter konnte anfangs noch nicht ins Handwerk gehen - Frauen dürfen nämlich erst seit 1994 auf der Baustelle arbeiten. 


Zur Person: 
Im Alter von 16 Jahren lernte Sandra Hunke ihren Beruf als Anlagenmechanikerin für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Heute ist die 31-Jährige aus Schlangen bei Paderborn Influencerin, Autorin und Model. Ihre Karriere in der Modebranche hat sie dem Handwerk zu verdanken: Bei der „Miss Handwerk“-Wahl 2012 belegte sie den zweiten Platz. Seitdem arbeitet sie in ihrer Doppelrolle. Im November 2023 brachte sie ihre Tochter zur Welt. Mittlerweile steht sie wieder auf der Baustelle, im Sommer dann auch wieder auf dem Laufsteg. 

16,7 Prozent
beträgt der Frauenanteil unter den Auszubildenden im Handwerk.
Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks, 2022

24,2 Prozent
der Handwerksbetriebe werden von einer Frau geführt – vor allen in den Branchen Lebensmittel, Gesundheit und persönliche Dienstleistungen.
Quelle: Zentralverband des Deutschen Handwerks, 2022

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