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Darmstadt fährt voraus

Text von Lilian Schmitt
03.05.2023
Gesellschaft

In Hessen sollen bald selbstfahrende Taxis das öffentliche Verkehrsangebot ergänzen. Eine Weltpremiere!

Wer jemals im ländlichen Raum ohne eigenes Auto unterwegs war, weiß, wie wichtig ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsangebot ist. Glücklich kann sich da schätzen, wer in der Region südlich von Frankfurt am Main unterwegs ist. Seit 2021 verfügt der Rhein-Main-Verkehrsbund (RMV) über den größten On-Demand-Service deutschlandweit: Insgesamt neun Anbieter schicken auf Bestellung per App Fahrzeuge vorbei, egal wann und wo die Fahrt startet und wohin es geht. Ab Mai 2023 ist das RMV-Angebot um eine Attraktion reicher: Mit dem autonomen HeinerLeiner ist erstmals ein selbstfahrender Shuttle, ein Robotaxi, im Öffentlichen Personennahverkehr unterwegs.

Autonom und flexibel einsetzbar

Zunächst fährt das E-Auto des chinesischen Herstellers Nio noch mit einer Aufsichtsperson, die im Notfall eingreifen kann, dafür ohne Passagiere. Wenn alles reibungslos läuft, dürfen spätestens im kommenden Jahr Testkunden einsteigen und die autonom fahrende Flotte wird auf 14 Wagen aufgestockt. Nach erfolgreicher Testphase integriert der RMV die Robotaxis dann in die bereits bestehenden On-Demand-Angebote in Darmstadt und im Kreis Offenbach. „Ohne Fahrer sind die Fahrzeuge noch flexibler einsetzbar, was vor allem dem ländlichen Raum zugutekommt", sagt Knut Ringat, Geschäftsführer des RMV. 

Der autonome HeinerLeiner ist weltweit einmalig. Zwar sind bereits im US-Bundesstaat Kalifornien Robotaxis auf den Straßen ausgewählter Städte beziehungsweise Regionen unterwegs. Allerdings werden sie von privaten und nicht von öffentlichen Dienstleistern betrieben. Darmstadt und Offenbach haben mit ihrem Vorstoß auch die Millionenstadt München überholt. Dort sollte nämlich ursprünglich schon 2022 im Auftrag des Autovermieters Sixt das erste deutsche Robotaxi fahren. Doch der Start verzögerte sich mehrfach. Ende 2023 soll es dann endlich so weit sein.

Weniger Autos dank Robotaxis

Mit fahrerlosen Shuttles verfolgen ÖPNV-Anbieter gleich drei Ziele: Zum einen soll der ländliche Raum besser an das Liniennetz angebunden werden. Zum zweiten kann die Zahl der Autos reduziert werden, vor allem in den Städten. „Robotaxis könnten dazu beitragen, die Attraktivität des Car Sharing zu steigern, sodass weniger Autos gekauft werden“, sagt Hanno Gottschalk. Als Professor für Stochastik an der Universität Wuppertal forscht er zu Problemen und Lösungen von künstlicher Intelligenz und ist Experte für autonomes Fahren. Zum dritten können die Kommunen endlich dem chronischen Personalmangel im ÖPNV-Betrieb etwas entgegensetzen. Das ist auch dringend notwendig: Nach Angaben des Bundesministeriums für Verkehr und Digitales fehlen im Jahr 2030 deutschlandweit rund 87.000 Busfahrer.

Doch bis es so weit ist, bleibt noch einiges zu tun: Auch wenn die Shuttles dank der Technik der israelischen Intel-Tochtergesellschaft Mobileye komplett selbst navigieren, bleibt auch nach der ersten Testphase beim hessischen Projekt zunächst eine Aufsichtsperson an Bord. „Ist diese gut geschult und aufmerksam, dann ist das eine sichere Sache“, sagt Gottschalk. Sicherheit in der Startphase ist allein schon deshalb wichtig, da die ersten Erfahrungen mit dem Robotaxi dessen Akzeptanz in der Bevölkerung nachhaltig beeinflussen. Der Experte weiß außerdem, dass autonome Fahrzeuge derzeit noch einer Blackbox gleichen: So können der Künstlichen Intelligenz (KI) Fehler unterlaufen, die Menschen nicht passiert wären, weil diese einfach gar nicht daran gedacht hätten, so zu handeln. „Solche KI-typischen Fehler sind deshalb nicht vorhersehbar,“ sagt Gottschalk.

Wenn Autos sich versammeln …

… kann es lebensgefährlich werden – oder aber zu kuriosen Zwischenfällen kommen, wie bei einigen autonom fahrenden Taxis in San Francisco, wo seit 2022 Fahrzeuge komplett ohne Aufsichtsperson unterwegs sind. Dort floh ein selbstfahrendes Auto im Schneckentempo vor der Polizei. Andere Robotaxis „versammelten“ sich nachts und blockierten die Straße. Der Experte Gottschalk sieht solche Vorkommnisse als ungelöste Herausforderung und formuliert eine weitere, entscheidende Frage rund um selbstfahrende Autos: „Wer trägt bei einem Unfall, der vom autonomen Fahrzeug verursacht wurde, die Verantwortung?“

Aller Skepsis zum Trotz bringen Robotaxis nicht nur den kommunalen Verkehrsgesellschaften, sondern auch den Verbrauchern Vorteile. Zum Beispiel in Form von günstigen Fahrpreisen. Eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte hat ergeben, dass Tickets für autonome Shuttles künftig nur die Hälfte des heute üblichen ÖPNV-Preises kosten werden, schließlich entfällt die Bezahlung für die Fahrer. Für Gottschalk spricht aber vor allem ein Punkt für die baldige Einführung von Robotaxis: „Mit ihrer vorausschauenden Fahrweise sparen sie bis zu 20 Prozent Energie ein.“

5,5 Prozent
wächst der Markt für Automobilsoftware und -elektronik voraussichtlich pro Jahr.
Quelle: McKinsey

400.000 Fahrgäste
nutzen derzeit die On-Demand-Angebote des RMV pro Jahr.
Quelle: RMV

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