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Eigentlich bin ich doch ganz anders oder: das Wirken pluralistischer Ignoranz

Text von Sarah Sommer
26.04.2024
Gesellschaft
© José Manuel Infante, Unsplash

Bevor Menschen entscheiden, ob sie bereit sind, sich zu engagieren oder zu kooperieren, wollen sie erst einmal wissen: Wie verhalten sich denn die anderen? Forscher haben ermittelt, wie sich eine solche abwartende Haltung auf die Klimapolitik auswirkt.

Solche Gedanken hatte wohl jeder schon einmal: „Wieviel geben denn die anderen?“ Oder auch: „Wer macht sonst noch mit?“ Egal, ob es ums Spendensammeln geht oder darum, Freiwillige für die Mitarbeit bei einem gemeinnützigen Projekt zu gewinnen: Bevor Menschen entscheiden, ob sie bereit sind, sich zu engagieren oder zu kooperieren, wollen sie erst einmal wissen: Machen denn auch wirklich alle mit? Und wenn ja, in welcher Form? „Dahinter steckt der Grundgedanke: Ich will bloß nicht der Dumme sein“, sagt der Bonner Verhaltensökonom Armin Falk. Also: Nicht der Einzige sein, der zahlt; nicht die Einzige sein, die hilft. Diese Haltung, sagt Falk, könne dramatische politische Auswirkungen haben. 

Klima schützen? Ja, klar – aber nicht allein.

Der Bonner Universitätsprofessor Falk forscht gemeinsam mit seinem Team zur Rolle der Moral bei wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen. Zuletzt war sein Team an einer internationalen Studie im Rahmen der weltweiten Umfrage Gallup World Poll beteiligt. Die Studie, für die 130.000 Menschen in 125 Ländern befragt wurden, zeigt: Eine deutliche Mehrheit (69 Prozent) der Menschen wäre bereit, jeden Monat ein Prozent des Haushaltseinkommens für mehr Klimaschutz auszugeben. Und überwältigende 89 Prozent wünschen sich, dass die Politik in ihrem Land mehr gegen die globale Erwärmung tun sollte. Ein klares, ja überdeutliches Mandat für eine mutigere Klimaschutzpolitik – könnte man meinen. 

Pluralistische Ignoranz - Dahinter steckt der Grundgedanke: Ich will bloß nicht der Dumme sein.
© Armin Falk
Armin Falk, Verhaltensökonom

Doch dieselbe Studie zeigt ebenfalls: Die Befragten gehen davon aus, dass sie mit ihrer Einstellung in der Minderheit sind. Sie glauben, dass nur 43 Prozent ihrer Mitmenschen ebenfalls bereit wären, mehr in den Klimaschutz zu investieren. Sie unterschätzen also systematisch die Bereitschaft ihrer Mitmenschen, sich für mehr Klimaschutz einzusetzen und eine entsprechende Politik zu unterstützen. „Das wiederum hält sie dann davon ab, selbst aktiv zu werden“, sagt Falk. 

Denn, wir erinnern uns: Bloß nicht der Dumme sein. Wer sich engagiert, während die anderen nicht mitziehen, setzt seine Kräfte vergebens ein. Wer glaubt, dass eine Mehrheit die eigenen Ziele und Werte nicht teilt und nicht kooperieren wird, resigniert. 

Pluralistische Ignoranz - Gemeinsam daneben liegen 

Pluralistische Ignoranz, so nennen Forscher wie Falk dieses Phänomen. Es beschreibt einen Zustand, in dem alle Mitglieder einer Gruppe einer bestimmten Überzeugung sind, aber fälschlicherweise glauben, alle anderen seien anderer Meinung. Es tritt oft dann auf, wenn es um soziale Normen und politische Vorstellungen geht. Die Einstellung „Ich würde ja, aber die anderen machen ohnehin nicht mit, also kann ich es auch gleich bleiben lassen“ ist auch deshalb so verführerisch, weil sie uns die Möglichkeit gibt, uns als guter Mensch zu fühlen, ein positives Selbstbild aufrechtzuerhalten – und gleichzeitig recht bequem nichts tun zu müssen, beziehungsweise: weiter eigennützig zu handeln statt gemeinnützig.

Einstellungen verändern sich schneller als gedacht

Bleibt die Frage: Warum ist dieses Phänomen ausgerechnet beim Thema Klimaschutz so stark ausgeprägt? Forscher Falk hat eine Vermutung: „Die Normen und Einstellungen zum Klimaschutz haben sich in den vergangenen Jahren unter dem Eindruck von Extremwetterereignissen und einer veränderten öffentlichen Debatte wahnsinnig schnell verändert.“ Womöglich so schnell, dass viele Menschen noch gar nicht realisiert haben, dass ihre Mitmenschen um sie herum ihre Einstellungs- und Verhaltensmuster ebenfalls angepasst haben. „Die Mehrheit nimmt sich als Minderheit wahr – und verzwergt sich dadurch selbst“, fasst Falk zusammen.

Falsche Ausgewogenheit in den Medien 

Ein weiterer, möglicher Grund dafür, dass wir mit unserer Einschätzung der Lage so oft danebenliegen: „In den Medien hat es beim Thema Klimaschutz sehr lange eine falsche Ausgeglichenheit gegeben.“ Um eine vermeintlich ausgewogene Berichterstattung zu gewährleisten, wurde Minderheitenmeinungen, wie etwa denen von Klimawandelleugnern, oftmals zu viel Raum gegeben. So wirkten sie wie gleichberechtigte, weit verbreitete und relevante Einschätzungen. Inzwischen hat sich das geändert – doch die jahrelange „False Balance“ wirkt nach. Und auch die Erzählung von der „gespaltenen Gesellschaft“ wird im Rahmen polarisierender Beiträge gerne weiter bedient. 
Damit stehen wir vor einer weiteren Frage: Was kann man tun gegen diese sozialpsychologisch bedingte Lähmung einer eigentlich produktiven, konstruktiven Mehrheit, die global gerne den Klimaschutz voranbringen will? 

Wer wollen wir sein, wie wollen wir als Gesellschaft, in dieser Gesellschaft handeln? Über diese Fragen müssen wir öffentlich noch viel mehr sprechen.
Armin Falk, Verhaltensökonom

Mutigere Klimapolitik, offenere Debatten

Erstens, sagt Forscher Falk, müsse man dafür sorgen, dass möglichst vielen Menschen klar werde: Die Mehrheit ist vernünftig und kooperationsbereit. „Dazu muss man immer wieder aufklären, sodass falsche Vorstellungen korrigiert werden können.“ 

Wie wirksam das ist, zeigten die Forschenden um Falk in einer Begleitstudie zu ihrer internationalen Umfrage. Sie befragten 2.000 US-Amerikaner, setzten sie aber darüber in Kenntnis, wie andere Teilnehmende zuvor geantwortet hatten. „Nun erklärte eine Mehrheit, dass sie bereit sei, tatsächlich für Klimaschutz zu zahlen“, berichtet Falk. 

Objektiv berichten, aufklären, nicht das Narrativ von der gespaltenen Gesellschaft bedienen: Das könnte also zu mehr Engagement führen und Kräfte für den Klimaschutz freisetzen. 

Zweitens, sagt Falk, könne es helfen, Menschen die Sorge zu nehmen, „der Dumme“ zu sein. Wie? Ganz einfach, indem man gleiche Spielregeln für alle festlegt. „Wenn der Staat allen gleichermaßen vorschreibt, dass eine CO2-Steuer zu zahlen ist, dann trifft diese Regel auch alle gleichermaßen.“ Ich muss also nicht als Einzelner vorangehen, sondern muss nur noch tun, was alle tun. 

Eine ähnliche Wirkung, sagt Falk, hätten Informationen und Gesetze, die eine klare Aussage zu geteilten Werten und Zielen machen: „Wer wollen wir sein, wie wollen wir als Gesellschaft, in dieser Gesellschaft handeln? Über diese Fragen müssen wir öffentlich noch viel mehr sprechen.“

69 Prozent
der Menschen weltweit würden ein Prozent ihres Haushaltseinkommens für mehr Klimaschutz ausgeben. 

89 Prozent
wünschen sich mehr Engagement der Politik für mehr Klimaschutz. 

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