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Frühere Parkinson-Diagnose dank KI

Text von Marie Welling
16.09.2025
Gesellschaft

Weltweit erkranken immer mehr Menschen an Parkinson. Eine frühe Diagnose zu stellen, ist allerdings schwierig. Die junge US-Amerikanerin Erin Smith will dieses Problem mit ihrem KI-Start-up Faceprint lösen – inspiriert von einer Detektivsendung im Fernsehen. 

Parkinson gehört zu den häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen weltweit. Die Zahl der Betroffenen wird in den kommenden Jahrzehnten deutlich steigen. Grund dafür ist vor allem der demografische Wandel – Parkinson tritt meist bei älteren Menschen auf. Expertenschätzungen zufolge könnte die Zahl der weltweit Erkrankten von rund zwölf Millionen im Jahr 2021 bis zum Jahr 2050 auf mehr als 25 Millionen steigen. Wie bei allen Krankheiten gilt auch für Parkinson: Je früher es diagnostiziert wird, desto besser stehen die Chancen auf eine wirksame Therapie. Die Krankheit schon im frühen Stadium zu erkennen, ist jedoch schwierig. Erin Smith will das mithilfe Künstlicher Intelligenz ändern. 

Parkinson: KI analysiert Gesichtsausdrücke

Zitternde Hände, Bewegungseinschränkungen oder der Verlust des Geruchssinns – meist diagnostizieren Ärzte Parkinson anhand dieser Symptome. Da Nervenzellen im Gehirn absterben, verlieren die Betroffenen häufig auch ihre Mimik. Ihr Gesicht wirkt wie eine Maske. 

Minimale Veränderungen in der Mimik zählen zu den ersten Symptomen bei Parkinsonpatienten.
Erin Smith

Genau hier setzt Erin Smith mit ihrer Geschäftsidee an. „Minimale Veränderungen in der Mimik zählen zu den ersten Symptomen bei Parkinsonpatienten“, sagt Smith, die an der US-amerikanischen Stanford-Universität Neurowissenschaften und Informatik studiert hat. Die von ihr entwickelte KI-gestützte Anwendung Faceprint analysiert Gesichtsausdrücke, um bereits kleinste Anzeichen einer Parkinson-Erkrankung im Frühstadium zu entdecken. 

Parkinson auf der Spur: Detektivsendung als Inspiration

Die Idee zu Faceprint kam der heute 26-jährigen bereits im Jahr 2016, als sie noch zur Schule ging. Damals schaute Smith mit ihrer Familie häufig die Fernsehsendung „Lie to me“: Ein Detektiv löst darin fiktive Kriminalfälle, indem er die Gesichtsausdrücke der Menschen liest. „In dieser Zeit habe ich außerdem zufällig ein Video der Michael J. Fox Foundation gesehen“, erzählt sie. „Dabei ist mir aufgefallen, dass Menschen mit Parkinson durch ihre eingeschränkte Mimik emotional sehr distanziert wirken“, sagt Smith. Der kanadische Schauspieler Michael J. Fox, vielen bekannt aus seiner Rolle als Marty McFly in den Science-Fiction-Filmen „Zurück in die Zukunft“, ist nicht nur ein berühmter Schauspieler. Selbst an Parkinson erkrankt, ist er ist wohl auch Hollywoods bekannteste Person im Kampf gegen die Krankheit. 

Durch die Eindrücke aus der Fernsehsendung und dem Video kam Smith auf die Idee, schon im frühen Stadium anhand von Computertechnologie feststellen zu können, ob jemand an Parkinson erkrankt ist. Smith begann zu recherchieren: Sie sprach mit Betroffenen, suchte nach Technologien, mit denen sie ihre Idee umsetzen konnte, und stieß dabei auf KI. „All das geschah noch lange vor ChatGPT“, sagt Smith. Eine der größten Herausforderungen war für sie, zu verstehen, wie KI überhaupt funktioniert. Außerdem konnte die Schülerin zu diesem Zeitpunkt noch nicht programmieren. Das habe sie sich mithilfe von Youtube-Videos und Büchern selbst beigebracht, erzählt sie. 

Faceprint-Technologie im Entwicklungsstadium

Die Herausforderungen endeten jedoch nicht mit dem Programmieren. Um eine KI zu trainieren, braucht man viele Daten, „und meistens ist es einfacher, wenn man auf bestehende Datensätze zurückgreifen kann“, sagt Smith. Die gab es zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht, sodass die Erfinderin kreativ werden musste: Smith setzte auf eine sogenannte Crowdsourcing-Studie. Statt wie bei einer herkömmlichen medizinischen Studie, bei der die Patienten in der Regel in eine Praxis oder eine Klinik kommen müssen, konnten sie online teilnehmen und ihre Mimik analysieren lassen. 

Es gibt bereits ähnliche Anwendungen, bei denen eine KI zum Beispiel anhand der Stimme analysiert, ob jemand parkinsongefährdet oder bereits erkrankt ist.
Joseph Claßen, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen

Aktuell befindet sich Faceprint noch im Entwicklungsstadium und ist noch nicht in Arztpraxen oder Krankenhäusern im Einsatz. Smith glaubt jedoch fest daran, dass die Faceprint-Diagnose irgendwann zum medizinischen Standardrepertoire von Hausärzten gehören wird. „Das könnte die medizinische Versorgung erheblich verbessern, vor allem in Gegenden, in denen Parkinson-Spezialisten rar sind“, sagt sie. Um zu prüfen, ob sie möglicherweise schon erkrankt sind, nehmen die Patienten einfach per Webcam, Handy oder Tablet ein Video von sich auf, das die Faceprint-KI anschließend überprüft. In Kansas aufgewachsen, einem US-Bundesstaat im Mittleren Westen der USA, kennt Smith das Problem mit dem Facharztmangel: „Technologien wie KI können hier einen riesigen Unterschied machen.“ 

KI-Diagnose als zusätzlicher Baustein in der Gesundheitsvorsorge

Joseph Claßen, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen sowie Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Leipzig, begrüßt Entwicklungen wie Faceprint. „Es gibt bereits ähnliche Anwendungen, bei denen eine KI zum Beispiel anhand der Stimme analysiert, ob jemand parkinsongefährdet oder bereits erkrankt ist“, sagt Claßen. Er glaubt jedoch nicht, dass Ärzte in Zukunft ausschließlich solche Methoden nutzen werden, um die Krankheit zu diagnostizieren. Vielmehr könnten Mediziner sie zusätzlich zu den klassischen Diagnoseinstrumenten verwenden, wie etwa Riechtests, Schlafprotokollen und Blutuntersuchungen. „Es ist außerdem wichtig, dass die KI zwischen Parkinson und anderen Erkrankungen differenzieren kann, die die Mimik einschränken“, sagt der Experte. Dazu zählt zum Beispiel auch eine Depression. Hinzu kommt, dass auch die Ethnie einer Person die Gesichtsausdrücke beeinflusst. „All das muss die KI lernen und unterscheiden können“, sagt Claßen. 

Erin Smith, für ihre Idee mehrfach ausgezeichnet

Smith ist sich dieser Herausforderungen bewusst – den Datensatz zum Training der KI hat sie bereits im Hinblick auf Geschlecht und Ethnie erweitert. Zudem beschäftigt sie sich aktuell auch mit anderen Krankheitsbildern, beispielsweise Alzheimer oder Frontotemporale Demenz. Übrigens glaubt nicht nur die Gründerin an ihre vielversprechende Idee: Neben mehreren Stipendien hat Smith im Jahr 2022 den Young Inventors Prize des Europäischen Patentamts erhalten und wurde schon drei Jahre zuvor, mit gerade einmal 19 Jahren, in die Forbes-Liste „30 unter 30“ im Bereich Gesundheitswesen aufgenommen. 

65 Jahre
ist das Durchschnittsalter bei der ersten Parkinsondiagnose.
Quelle: Parkinsoninfo.de

400.000 Personen
sind derzeit in Deutschland von Parkinson betroffen. 
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen 

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