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„Klares Commitment auf der Haut“

Text von Klara Walk
21.07.2023
Gesellschaft

Mit der Kampagne Opt.Ink geht der Verein „Junge Helden“ kreative Wege, um das Thema Organspende auf der öffentlichen Agenda zu halten: Wer Organspender:in ist, kann dies mit einem eigens für die Aktion designten, kostenlosen Tattoo bekunden.

Frau Sum, Ihr Verein „Junge Helden“ will junge Menschen ohne erhobenen Zeigefinger über das Thema Organspende informieren. Wie machen Sie das?

Anna Barbara Sum: Indem wir das Thema dorthin bringen, wo man es nicht erwartet. So haben wir zum Beispiel früh angefangen, große Partys zu organisieren, auf denen prominente Unterstützer:innen vor Ort waren und hinter der Bar, an der Tür, an der Garderobe gearbeitet haben. So haben wir das Thema mitten ins Leben geholt. Denn ob man Organe spendet, ist eine Entscheidung, die man aus dem Leben heraus treffen sollte. So übernimmt man Verantwortung für das, was nach dem Tod mit dem eigenen Körper passieren soll.

Und man entlastet die Angehörigen.

Richtig, so wissen die Angehörigen, was man gewollt hätte, und können in diesem Sinn entscheiden. Das entlastet sie in einer schlimmen Situation. Damit junge Menschen ihre Entscheidung sachkundig und informiert treffen können, wollen wir ihnen Informationen an die Hand geben. Wir haben schnell gemerkt: Je mehr Informationen Menschen haben, desto eher entscheiden sie sich für die Organspende. Aber trotzdem ist es uns ganz wichtig, zu akzeptieren und zu respektieren, wenn Menschen nicht spenden wollen. Hauptsache, sie treffen eine Entscheidung.

Wie ist es Ihnen gelungen, Promis wie den Moderator Klaas Heufer-Umlauf oder den Schauspieler Jürgen Vogel für Ihre Kampagne zu gewinnen?

Unsere mittlerweile verstorbene Vereinsgründerin Claudia Kotter war ein sehr charismatischer, gewinnender Mensch. Sie hat Leute angesprochen, wenn sie dachte, dass sie zu uns passen könnten. Aber viele sind auch auf uns zugekommen und haben gefragt, wie sie uns unterstützen können. So ist das Netzwerk über unterschiedliche Kanäle gewachsen.

Auch die Opt.Ink-Kampagne, mit der Sie über ein kostenloses Tattoo für die Organspende werben, wird von prominenten Gesichtern wie Wilson Gonzalez Ochsenknecht begleitet.

Wir haben das Tattoo am 9. März 2023 in Berlin vorgestellt und das mit einer Feier in seinem Berliner Restaurant verbunden. Dort war er dabei und hat sich das Tattoo auch tatsächlich gleich stechen lassen. Wilson ist schon sehr lange ein Unterstützer unseres Anliegens. Bei der Tattoo-Kampagne sind aber die Stars, um die es wirklich geht, die Tattoo-Studios. Sie sind mit viel Engagement bei der Sache.

Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, dass ausgerechnet ein Tattoo Ihrem Anliegen Aufmerksamkeit verschaffen kann?

Vor dreieinhalb Jahren hat eine Mehrheit der Abgeordneten im deutschen Bundestag die Widerspruchsregelung abgelehnt. Wir hatten uns sehr dafür eingesetzt, dass man künftig automatisch Organspender ist, außer man widerspricht dem aktiv. Nach wie vor glauben wir daran, dass das der richtige Weg wäre für Deutschland. Denn hier ist es einfach sehr schlecht um die Organspende bestellt, obwohl es in der Bevölkerung eine konstant hohe positive Grundhaltung gegenüber der Organspende gibt. Die allermeisten Menschen würden ja selbst ein Organ annehmen, wenn sie es bräuchten, um überleben zu können. Nach der Ablehnung der Widerspruchsregelung kam die Agentur McCann auf uns zu und hat pro bono die Opt.Ink-Kampagne für uns aufgesetzt. Von dort kam die Idee, Tattoo und Organspende zu verbinden.

Wo ist da die Verbindung?

Der Organspendeausweis ist im Grunde ein Papier mit Datum und Unterschrift – so wie die Einverständniserklärung, die man in einem Tattoo-Studio unterschreibt, bevor man sich tätowieren lässt. Wir haben in diese Tattoo-Einverständniserklärung einen Passus zur Organspende eingefügt. Entwickelt hat das Tattoo-Design dann der Tattoo-Artist Gara.

Also ist das Tattoo selbst nicht als offizielles Dokument gemeint?

Es gibt kein Register für Tattoos und ihre Bedeutungen. Letztlich ist es eine Willenserklärung, wenn die Angehörigen wissen, was es bedeutet. Und es gibt den Menschen die Möglichkeit, zu Lebzeiten ein offenes Statement für die Organspende nach außen zu tragen. Das ist ein klares Commitment, man hat es auf der Haut, und es geht so schnell nicht mehr weg.

Wie können Tattoo-Studios denn an der Kampagne teilnehmen?

Wir haben für die Studios ein sogenanntes Playbook zusammengestellt. Darin haben wir den Hintergrund der Situation in Deutschland zusammengefasst. Es gibt FAQs, das Design ist abgebildet, es wird erklärt, wie das Ganze funktioniert, zu welchen Konditionen sie das Tattoo anbieten können. Im Playbook finden die Studios auch die Einverständniserklärung.

Kostet das Tattoo etwas?

Die Studios bieten diese Tattoos kostenlos an. Also entweder komplett gratis bei einem Termin oder sie setzen das Symbol zu einem anderen Tattoo dazu. Das kann sich natürlich nicht jedes Studio leisten, im Grunde umsonst zu arbeiten. Aber wir kriegen jeden Tag Anfragen von Studios, die mitmachen wollen. Ich finde, das ist das Wunderschöne an der Sache. Viele bringen ihr Talent und ihre Möglichkeiten ein.

Wen genau wollen Sie über diese Kampagne erreichen?

In der Praxis treffen immer die Angehörigen die letzte Entscheidung. Deswegen ist es so wichtig, dass viele Menschen wissen, wofür das Tattoo steht. Wir versuchen auch, das medizinische Personal gezielt aufzuklären. Dafür haben wir ein kleines Tutorial-Video gedreht. Und es ist ein Signal an diejenigen, die auf ein Organ warten. Viele werden das nicht überleben, aber wir sagen mit der Kampagne: Wir lassen euch nicht allein.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie zum Beispiel von medizinischem Personal zu der Kampagne?

Wenn wir direkt mit Menschen sprechen, bekommen wir meist sehr positive Rückmeldungen. Auch das medizinische Personal ist froh, dass viele Leute wieder über die Organspende sprechen – schließlich sehen die Ärzt:innen und die Pfleger:innen zu oft Patienten sterben, weil sie nicht rechtzeitig ein Organ bekommen.

Wo sehen Sie das Thema Organspende in den nächsten Jahren?

Sicherlich ist es nach wie vor unser großes Ziel, die Widerspruchsregelung wieder auf den Tisch zu bringen. Ich mache das jetzt schon seit 20 Jahren, und es ist erschreckend, wie schlecht wir die Patient:innen hier mit Spenderorganen versorgen können. Die Widerspruchsregelung wirkt, das sehen wir an anderen Ländern. Und deswegen hoffe ich einfach, dass in den nächsten Jahren sehr, sehr viele Menschen das Tattoo tragen und man es als starkes Zeichen für die Organspende erkennt. Wir werden uns weiter dafür einsetzen.

 

Zur Person
Anna Barbara Sum, 39 Jahre, gehört zum Gründungsteam des Vereins Junge Helden e.V. Sie hat Geschichte und Volkswirtschaftslehre in Berlin studiert und setzt sich seit 2003 für die Organspende ein.

 

 

 

8.496 Menschen
stehen aktuell auf der Warteliste für ein Spenderorgan in Deutschland.
Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

869Organspender:innen
gab es im Jahr 2022 bundesweit.
Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

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