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ÖkoTok - wie die Generation Z für unsere Umwelt kämpft

Text von Mia Pankoke
22.07.2022
Gesellschaft

TikTok ist die Plattform der Generation Z. Dort trenden längst nicht mehr nur Fashion-Clips und Tanzvideos. Auch immer mehr Umweltaktivisten nutzen die App als politische Plattform und machen so auf Klimawandel, Artensterben oder Umweltverschmutzung aufmerksam.

Schmelzendes Polareis, ein abgemagerter Eisbär, der sich über eine kahle Ebene schleppt, Pinguine im Schlamm: Die Arktis im Jahr 2022. All das flackert sekundenschnell über den Bildschirm – ein typischer TikTok-Clip. Das Video hat 5,4 Millionen Klicks und wurde mehr als 12.000 Mal kommentiert. Damit ist es einer der erfolgreichsten Uploads des 22-jährigen TikTokers und Umweltaktivisten Josua: Der Hashtag ClimateChange liegt im Trend, er hat 2,3 Milliarden Views, #Klimawandel knapp 130 Millionen und #SaveThePlanet bringt es auf mehr als 850 Millionen.

TikTok ist längst eines der wichtigsten sozialen Netzwerke. Die chinesische Plattform ist für die kurzen, schnell geschnittenen Videos bekannt. Für seine überwiegend jungen Nutzer – die meisten der weltweit 1,6 Milliarden Userinnen und User sind rund um das Jahr 2000 geboren, gehören also der Generation Z an – hat TikTok die traditionellen Nachrichtenmedien weitgehend abgelöst. Kein Wunder also, dass Klimakrise und Umweltverschmutzung auch in dem Social Network große Themen sind.

Hier berichten drei TikToker, wie sie das Netzwerk für ihren Umweltaktivismus nutzen und weshalb TikTok als politische Plattform zwar nicht ideal, aber sehr wichtig ist:

Louisa, 17.500 Follower: „TikTok ist super, um auf Themen aufmerksam zu machen.“

Louisa (@louisa­schneider.de) arbeitet bei einem Radiosender und moderiert Diskussionen zum Thema Klimaschutz. Ihren TikTok-Account hat sie vor der Bundestagswahl 2021 eröffnet, weil ihr die Inhalte des Wahlkampfs zu polarisierend waren. „Es gab bei TikTok vor allem Häme und wenig ernsthafte Kritik, also habe ich angefangen, selbst Videos zu drehen“, erzählt sie. Dass es in den Filmen um die Umweltzerstörung geht, ist keine Überraschung. „Das ist die große Krise meiner und kommender Generationen“, betont Louisa, die sich schon lange für den Umweltschutz engagieren wollte.

Mit Blick auf TikTok merkte sie, dass wenige Accounts politisch an Umweltthemen herangehen. Also erklärt sie in ihren Videos nun auch regelmäßig komplexe Zusammenhänge und kritisiert politisches Versagen; zum Beispiel den Vorschlag der EU-Kommission, die Atomkraft als nachhaltig einzustufen. „Ungefähr 70 Prozent der Zeit geht für die Recherche und das Überprüfen der Informationen drauf“, erzählt Louisa, denn sie möchte auf keinen Fall Halbwahrheiten oder Fake News verbreiten. Einmal musste sie bereits ein Video über klimafeindliche Investitionen wegen eines Zahlendrehers wieder von der Plattform nehmen. „Das Video war auf dem besten Weg, viral zu gehen, aber mit falschen Zahlen konnte es natürlich nicht online bleiben.“

TikTok als politische Plattform sieht Louisa mit gemischten Gefühlen: „TikTok ist nicht für journalistische Standards gemacht, und die schnellen Videos verleiten dazu, komplexe Themen zu sehr zu vereinfachen“, sagt sie. „Trotzdem finde ich es sehr wichtig, all die Menschen, die viel Zeit bei TikTok verbringen, auch mit politischen Inhalten zu erreichen.“ Und noch etwas stört sie an der Plattform: Es lassen sich keine Quellen verlinken. „TikTok ist super, um auf Themen aufmerksam zu machen“, betont Louisa. „Tiefgehend informieren muss man sich dann aber bei anderen Medien.“

Josua, 1,2 Millionen Follower: „Ich habe durch den Account mein eigenes Verhalten verändert.”

Der 23-jährige Josua (@joo_su) will mit den meisten seiner Clips (#SpreadAwarness) ein größeres Bewusstsein gegenüber Klimakrise und Umweltzerstörung schaffen. „Es ist schrecklich, wie sehr wir die Umwelt in den letzten fünfzig Jahren zerstört haben und wie die Klimakrise überall auf der Erde spürbar wird“, sagt er und musste erkennen: „Trotzdem ändern wir unser Verhalten viel zu langsam.“ TikTok war für Josua anfangs nur eine „Corona-Beschäftigung“. Er begann im Frühjahr 2021 damit, kurze Clips über Alltagssituationen hochzuladen. Häufiges Thema war zum Beispiel sein Job als Paketzusteller. „Irgendwann hatten meine Videos über 10.000 Klicks und ich wollte nicht mehr nur Blödsinn hochladen“, erzählt Josua, der mittlerweile sogar seine Bachelorarbeit über Marketingstrategien bei TikTok geschrieben hat. Nun zeigen seine Videos, wie sich das Gletschereis zurückzieht oder wie Tiere und Pflanzen unter der Plastikverschmutzung leiden. Oft verwendet er dabei schockierende Aufnahmen. „Ich hab mich bereits vor TikTok mit der Klimakrise und dem Artensterben auseinandergesetzt“, sagt Josua. „Durch TikTok hat sich das aber intensiviert, weil ich bestürzt war, als ich manche der Videos sah“, erinnert er sich. „Ich lerne dank meinem Account täglich dazu und verhalte mich auch anders als früher.“ So kauft er zum Beispiel Kleidung aus zweiter Hand und versucht, wo es geht, Plastik zu sparen. Diesen Effekt erlebt er auch im täglichen Austausch mit seinen Followern. „Ich bekomme viele Nachrichten von Menschen, die nie darüber nachgedacht haben, was ihr Verhalten anrichten kann.“ Josua ist überzeugt: „Die meisten haben schon tausendmal davon gehört, dass zu viel Plastik in die Umwelt gelangt, aber ein Video davon zu sehen, wie eine Schildkröte an einem Strohhalm erstickt, ist einfach etwas anderes.“

Earthtopia, 280.500 Follower: „Besser acht Milliarden unperfekte Umweltschützer als 1000 Perfekte.”

Rob, Fran und Tamara (@Earthtopia) wollen „eine Lücke in der Berichterstattung über die Klimakrise in den sozialen Medien schließen.“ Statt sich nur auf die düsteren Auswirkungen zu konzentrieren, zeigen sie konkrete Lösungen und Maßnahmen. „Besonders junge Menschen stehen unter großem Druck, denn sie tragen die Hauptlast der Klimakrise und einer ungewissen Zukunft“, erklärt Rob. „"Die Konzentration auf gute Nachrichten und Öko-Hacks gibt Hoffnung, dass man selbst zur Lösung beitragen kann." Ihre Videos, in denen sie praktische Tipps vorstellen, um zum Beispiel die Haltbarkeit von T-Shirts zu verlängern oder Essensreste wiederzuverwerten, nutzen ein Format, das auf TikTok sehr beliebt ist: das Nachahmen. Denn was bei Tänzen klappt, funktioniert auch mit Tipps zum Umweltschutz.

Dabei versuchen die drei nicht, perfekt zu sein, sondern achten darauf, dass die Inhalte leicht im Alltag umzusetzen sind. „Von Umweltaktivisten wird erwartet, dass sie nie fliegen, in einem winzigen Haus leben und keinen Abfall produzieren“, sagt Rob. „In Wirklichkeit brauchen wir aber nicht tausend perfekte Umweltschützer, sondern acht Milliarden Unperfekte.“ Daher versucht das Team über TikTok so viele junge Menschen wie möglich zu erreichen. „Wir sind dem Algorithmus ausgeliefert, also wird nicht jedes Video Hunderttausende von Aufrufen erreichen, aber die Chance, dass es viral geht und von Millionen von Menschen gesehen wird, ist viel höher als auf jeder anderen Plattform,“, erklärt Rob und ergänzt: „TikTok ist der effektivste Weg, um ein Massenpublikum junger Menschen mit Umweltbotschaften zu erreichen.“

1,6 Milliarden
Menschen nutzen TikTok weltweit.
Quelle: Bloomberg, 1. Quartal 2022

3,97 Millionen
Deutsche nutzten TikTok im Januar 2022.
Quelle: Statista

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