Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

„Junge Leute müssen politisch werden“

Text von Sina Hoffmann
29.01.2025
Gesellschaft

FDP-Politikerin und EU-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann spricht im Te:nor-Interview zum Weltfrauentag über Themen, die sie geprägt haben, die Herausforderungen der heutigen Zeit und warum die Generation Z sich stärker politisch engagieren sollte.

Frau Strack-Zimmermann, welches Thema hat Sie in Ihren Zwanzigern besonders geprägt?

Strack-Zimmermann: Ich habe unter anderem Publizistik studiert und mich während des Studiums damit beschäftigt, wie Meinungsmache in den Medien funktioniert. Damals lief das über ganz andere Kanäle als heute – die Menschen haben ein oder zwei Zeitungen gelesen und empfingen nur wenige Fernsehsender. Interessant ist, dass die Fragen, die mich während meines Studiums beschäftigt haben, heute in meinem politischen Leben wieder aktuell sind.

Welche waren das? 

Zwei Beispiele: Wie wird der US-amerikanische Präsident im Fernsehen dargestellt? Mit welchen Bildern werden Nachrichten angereichert? Alles auch heute aktuelle Fragen, die unsere Wahrnehmung beeinflussen.

Was hat sich im Vergleich zu früher verändert?

Die Art der Kommunikation ist heute völlig anders: Dank der digitalen Welt nehmen wir eine Flut an Informationen sehr schnell auf, ohne deren Qualität zu prüfen. Ich erlebe jeden Tag, wie Bilder und Nachrichten in den sozialen Netzwerken Meinungen beeinflussen können. Die Frage ist, ob wir in der Lage sind, schnell zu lernen und damit umzugehen. Vielen Menschen ist die Fähigkeit abhandengekommen, Informationen auch mal zu hinterfragen, ob das, was sie lesen, wahr oder plausibel ist. Dadurch werden gefährliche Narrative und Lügen verbreitet.

Jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen. Aber ich denke, dass es trotz der familienpolitischen Herausforderungen seinerzeit einfacher war, Kinder großzuziehen.

Welche Herausforderungen haben Sie als junge Frau erlebt? 

Als Mutter von drei Kindern hat mich beschäftigt, wie ich Beruf und Kinderbetreuung vereinbare. Ich habe damals freiberuflich gearbeitet und die Kinderbetreuung zusammen mit meinen Nachbarn organisiert – anders wäre das gar nicht möglich gewesen. In anderen Ländern wie Frankreich und Großbritannien gab es damals schon Ganztagsbetreuung. In Deutschland ging man davon aus, dass die Frau zu Hause bleibt. Das ist heute definitiv nicht mehr so. Im Umfeld meiner erwachsenen Kinder arbeiten alle Mütter.

Denken Sie, dass es heute einfacher ist, Kinder großzuziehen?

Jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen. Aber ich denke, dass es trotz der familienpolitischen Herausforderungen seinerzeit einfacher war, Kinder großzuziehen. In den 1970er- und 1980er-Jahren konnte eine Familie oft von einem Einkommen leben, die Mieten waren viel günstiger. Heute wird fast die Hälfte des Nettoeinkommens für Miete ausgegeben. Gleichzeitig haben Burnout und Erschöpfung zugenommen, weil das Leben immer schneller wird und jeder ständig erreichbar ist.

Wann kam für Sie der Moment, in dem Sie aktiv etwas verändern wollten?

Ich komme aus einem politischen Elternhaus. Für meine Familie und ihr Umfeld kam es nicht in Frage, wegzusehen oder wegzuhören. Das hat mich geprägt: Ich wollte nicht alles hinnehmen, sondern auch dazu beitragen, dass sich etwas ändert. Mit Anfang 30 habe ich begonnen, mich neben meiner beruflichen Tätigkeit in der Kommunalpolitik zu engagieren – damals vor allem wegen ganz praktischer Themen wie Kitaplätzen, Schule und sicherer Verkehrswege. Erst deutlich später, ich war 50, wurde Politik zu meinem Beruf: Zunächst als Bürgermeisterin in Düsseldorf, dann als Abgeordnete im Bundestag und seit 2024 im Europäischen Parlament.

Wie bewerten Sie die Fortschritte bei der Gleichberechtigung in Deutschland?

Die Generation von Alice Schwarzer hat für meine Generation viel bewirkt, und auch im internationalen Vergleich hat Deutschland Fortschritte gemacht – mehr als uns oft bewusst ist. Heute ist es selbstverständlich, dass Frauen ohne Zustimmung des Mannes einen Beruf ausüben, den Führerschein machen oder das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder erhalten können – alles Dinge, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar waren. Auch die Bundeswehr hat sich Anfang der 2000er für Frauen in allen Bereichen geöffnet. Heute ist die Gleichberechtigung gesetzlich verankert und Frauen können ihr Leben leben. Die Frage bleibt aber, welche Rolle Frauen für sich selbst definieren und, ob sie sich persönlich einschränken. Kein Gesetzgeber kann beispielsweise vorgeben, wie eine gleichberechtigte Partnerschaft gelebt werden sollte. Das muss schon jeder für sich regeln.

Wie kämpferisch sind junge Frauen heute, um ihre Rechte zu schützen und zu erhalten? 

Heute nehmen viele diese erkämpften Rechte als selbstverständlich hin …

Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber ich halte es für völlig daneben, wenn sich junge Frauen völlig auf ihr Äußeres reduzieren. Wenn junge Frauen davon träumen, Influencerin zu werden, dann geht es so gut wie immer darum, welches Outfit wer trägt – das nervt mich total, weil sie dadurch die Klischees bedienen, die wir hinter uns lassen wollten. Und sie bekommen dafür dann auch noch deutlich mehr Aufmerksamkeit als jene Leute, die intellektuell herausfordern. Die Frage ist also: Wie kämpferisch sind junge Frauen heute, um ihre Rechte zu schützen und zu erhalten? 

In welchen Bereichen brauchen wir mehr Fortschritte?

Frauen müssen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten. Das ist ein immer wiederkehrender Ärger. Ich rate den Frauen, selbstbewusster aufzutreten. Wenn sie ihre Gehaltsvorstellungen äußern, sollten sie weniger bescheiden sein, nicht nur, weil sie nicht unangenehm auffallen wollen. Gute Leute werden gesucht, Frauen sollten ihren Wert kennen.

Jüngere Generationen werfen Ihrer Generation vor, nicht genug für den Klimaschutz getan zu haben. Was sagen Sie dazu?

Wenn junge Leute sagen, ihr habt den Klimaschutz nicht ernst genommen, dann sollten wir diesen Vorwurf ernst nehmen. Ich selbst bin erst durch meine Kinder in umweltpolitischen Themen deutlich sensibler geworden. Es hat lange gedauert, bis in der breiten Gesellschaft ankam, dass der Klimawandel Realität ist. Heute wissen wir, wie dringend wir handeln müssen und dass jeder bei sich anfangen kann. Was ich manchen meinen Altersgenossen vorwerfe, ist, dass viele auf Kosten der nachfolgenden Generationen einfach so weitermachen wie bisher.

Was ist Ihre Botschaft an die Generation Z?

Junge Leute müssen politischer werden und sich für die Themen einsetzen, die sie interessieren. Darauf zu warten, dass andere die Dinge in die Hand nehmen, ist verantwortungslos. Junge Menschen stehen am Anfang ihres Lebens und wenn sie heute nicht ihre Stimme erheben – Nationalisten und Weltverschwörern gegenüber –, ruinieren sie ihre eigene Zukunft.

Zur Person
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, geboren 1958 in Düsseldorf, ist seit 2024 Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Dort ist sie Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung und Vorsitzende der FDP-Delegation. Nach dem Abitur studierte sie Publizistik, Politik und Germanistik an der LMU München und promovierte zum Dr. Phil. Anschließend arbeitete sie mehr als 20 Jahre für den Jugendbuchverlag Tessloff, bevor sie hauptberuflich in die Kommunalpolitik wechselte. Ab 2017 war sie Abgeordnete im Deutschen Bundestag und hat sich als eine der wenigen Frauen in der Verteidigungspolitik durchgesetzt.

Unser Nachhaltigkeitsnewsletter Be.Wirken

Ähnliche Artikel