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Leipzig, ein Ort für Fußgänger

Text von Maria Kessen
09.09.2022
Gesellschaft

In der sächsischen Stadt Leipzig wird Fußverkehr großgeschrieben. Seit dem Jahr 2018 gibt es sogar einen Fußverkehrsverantwortlichen, der Verkehr „fair“ planen will. Autofahrer müssen sich umstellen.

Leipzig wird nicht ohne Grund auch Klein-Paris genannt: Mit seinen gründerzeitlichen Wohnvierteln, den breiten Bürgersteigen und vielen romantischen Plätzen hat die Stadt einiges zu bieten. Auch die Einkaufsmeile und die historischen Passagen in der Innenstadt laden zum Flanieren ein. Wer sich auf den Weg macht, um die Stadt an der Weißen Elster zu erkunden, wird jedoch schnell feststellen: Fußgänger sind an vielen Stellen gegenüber den motorisierten Verkehrsteilnehmern benachteiligt. Unübersichtliche Kreuzungen, fehlende Überwege und vollgestellte Gehwege sorgen dafür, dass ein Spaziergang einem Hindernislauf gleicht – inklusive unfreiwilligen Zwischenstopps an langen Rotlichtphasen der Ampeln.

Die Missstände sind auch den Stadtoberen bekannt, weshalb seit einigen Jahren verstärkt das Thema Fußverkehr in ihren Fokus rückt. Als einer der ersten Städte Deutschlands schuf Leipzig das Amt des Fußverkehrsverantwortlichen. Seit nunmehr fast fünf Jahren kümmert sich der 33-jährige Geograph Friedemann Goerl um die Belange der Fußgänger – sei es als direkter Ansprechpartner oder weil er neue Bauvorhaben und Konzepte auf ihre Fußgängertauglichkeit hin überprüft.

Dass Goerls Aufgaben eine gewisse Priorität genießen, wird deutlich, wenn man weiß, wie gerne die Leipziger gehen. Der Anteil der Bürger, die ihre Wege zu Fuß bewältigen, beträgt 27 Prozent. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt werden aktuell nur 22 Prozent aller Wege per pedes zurückgelegt. Gleichzeitig besteht in der sächsischen Stadt aber noch erhebliches Potenzial zur Steigerung des Fußverkehrs: Derzeit sind 34 Prozent aller täglich mit dem Auto zurückgelegten Wege noch nicht einmal drei Kilometer lang, zehn Prozent der Fahrten sind sogar kürzer als einen Kilometer – und damit prädestiniert für einen kurzen Spaziergang.

Kurze Wege, attraktive Plätze

Bereits im Jahr 2021 verabschiedete die Stadt Leipzig eine Fußverkehrsstrategie. Als Teil der übergeordneten Mobilitätsstrategie 2030 orientiert sie sich am Leitbild der „Stadt der kurzen Wege“. Thomas Dienberg, Bürgermeister für Stadtentwicklung und Bau, hat am Konzept mitgearbeitet. „Leipzig soll bis zum Jahr 2030 eine besonders fußgängerfreundliche Stadt mit Vorbildcharakter werden“, sagt Dienberg. Konkret bedeutet dies, dass Fußwege, Einmündungen und Kreuzungen künftig barrierefrei werden. Zudem ist der öffentliche Raum gerecht aufzuteilen. So soll beispielsweise ein spezielles Stadtplatzprogramm die Grundlage für neue attraktive öffentliche Plätze legen.

Damit sich die Leipziger Bürger an der Umsetzung der Strategie beteiligen können, stellte die Stadt im Sommer 2022 ein Online-Meldeportal bereit. Anhand einer digitalen Karte meldeten interessierte Bürger Schwachstellen im Leipziger Fußgängernetz, zum Beispiel fehlende Zebrastreifen, sanierungsbedürftige Wege oder zu hohe Bordsteinkanten. Für Mitinitiator Goerl ist das Bürger-Portal ein voller Erfolg: Mehr als 2.000 Hinweise gingen ein, die jetzt in einen großen Maßnahmenkatalog überführt und Stück für Stück abgearbeitet werden.

Engagement und Hartnäckigkeit zahlen sich aus

Überhaupt wird Bürgerengagement in Leipzig großgeschrieben. Schon seit 1989 setzt sich zum Beispiel der Verein Ökolöwe - Umweltbund Leipzig e. V. für autofreie Straßen ein. Zuletzt setzten sich die Mitglieder für eine Fußgängerzone im Leipziger Westen, genauer gesagt in der Merseburger Straße, ein. Schon zu DDR-Zeiten sollte diese Straße, die von Cafés, Kiosken und Restaurants gesäumt ist, zum Teil in eine Fußgängerzone umgewandelt werden. Jetzt zahlt sich das Engagement aus: Im Juni 2022 erteilte der Leipziger Stadtrat dem Oberbürgermeister den Auftrag, ein 550 Meter langes Teilstück für den Autoverkehr zu sperren, um Platz für eine Flaniermeile zu machen.

Auch für das Leuchtturmprojekt Parkbogen Ost macht sich der Ökolöwe stark: Auf rund fünf Kilometer Länge entsteht hier auf einer ehemaligen Bahntrasse eine Kombination aus Fuß- und Radwegen sowie Grünflächen. „Dort können sich die Anwohner stressfrei und ungestört vom Autoverkehr fortbewegen“, sagt Tino Supplies, Sprecher für nachhaltige Stadtentwicklung bei den Ökolöwen. Zugleich verbindet der Parkbogen mehrere bereits bestehende Grünflächen im Leipziger Osten und schafft eine sichere Verbindung zwischen einzelnen Ortsteilen.

Faire Verkehrsplanung für alle Teilnehmer

Fußgänger, die sich gleichwertig neben Autos, ÖPNV und Rahfahrern durch Leipzigs Straßen bewegen – so stellt sich der Fußverkehrsverantwortliche Goerl einen lebenswerten öffentlichen urbanen Raum vor. „Wir haben dem Kfz-Verkehr in den letzten Jahrzehnten zu viel Raum gegeben. Jetzt brauchen wir mehr Platz, auch für den Fußverkehr“, sagt er. Ein Problem sieht Goerl etwa darin, dass Radfahrer und Fußgänger sich oft gegenseitig Raum wegnehmen, zum Beispiel, wenn der Radweg zulasten des Gehwegs verbreitert wird.

Ein wichtiges Ziel der Leipziger „Mobilitätsstrategie 2030“ ist es deshalb, die drei Verkehrsträger ÖPNV, Fahrrad und Fußgänger parallel zu fördern – und den Kfz-Verkehr zu reduzieren. So sollen zum Beispiel Parkplätze oder Fahrspuren stillgelegt werden. Wie etwa auf dem Liviaplatz: Zahlreiche Poller sperren hier seit kurzem die Kreuzung für den Durchgangsverkehr. Stattdessen laden Bänke, Blumenkübel, Spielmöglichkeiten und ein Bücherschrank die Anwohner des Waldstraßenviertels zum Verweilen ein. Drei Jahre lang können sie den neuen öffentlichen Treffpunkt nun erst einmal nutzen – im Anschluss wird über die endgültige Umgestaltung des neuen Treffpunkts entschieden.

Es tut sich also was in Leipzig. Und auch Goerl sieht die Stadt, was den Fußverkehr angeht, auf einem guten Weg – aber eben noch nicht am Ziel: „Es muss noch viel geschehen, damit Leipzig ein Ort ist, der einlädt, noch mehr zu Fuß zu gehen.“

41 Prozent
aller über 14-Jährigen gehen fast täglich zu Fuß.
Quelle: Bundesregierung Deutschland

140 Gramm
CO2 werden im Durchschnitt für jeden Kilometer eingespart, der zu Fuß und nicht mit dem Auto zurückgelegt wird.
Quelle: Bundesregierung Deutschland

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