„Wir bestimmen selbst, wer wir sein wollen“
Kristina Vogel hat in ihrem Leben schon viele Erfolge gefeiert und auch harte Rückschläge weggesteckt. Als Bahnradfahrerin errang sie Weltmeistertitel – nach einem schweren Unfall gelang ihr ein Neustart jenseits des Sports. Heute setzt sich die 31-Jährige als Politikerin, Coach und Trainerin für mehr Barrierefreiheit ein. Ihr Rat zum Weltfrauentag 2023: Lasst euch nicht von anderen sagen, was ihr schaffen könnt!
Frau Vogel, im lange eher als Männerdomäne wahrgenommenen Radsport waren Sie von Anfang an eine Ausnahmeerscheinung und ein Liebling der Medien: jung, schnell, erfolgreich, attraktiv, laut und selbstbewusst. Auch nach Ihrem schweren Unfall haben Sie schon sehr früh wieder das Licht der Öffentlichkeit gesucht, offen über Ihre Verletzung und deren Folgen gesprochen. Warum war Ihnen das wichtig?
Kristina Vogel: Für mich war es vor allem wichtig, mich in der Öffentlichkeit zurückzumelden, weil es vor dem Unfall eine große öffentliche Anteilnahme gab an meinem Leben, und dann natürlich auch an meinem Unfall. Ich wollte zeigen, dass ich dafür sehr dankbar bin. Und vor allem wollte ich auch zeigen: Ich bin immer noch da. Hallo, hier bin ich – anders, aber genauso.
Ihre Karriere als Sportlerin war beendet. Sie haben dann aber sehr schnell gelernt, Ihr neues Leben anzunehmen und neue, andere Erfolge zu feiern. Wie kann so ein Neuanfang gelingen?
Wenn man einen schmerzhaften Rückschlag erlebt hat, ist es wichtig, dass man es sich gestattet, um das zu trauern, was man verloren hat. Irgendwann aber muss man dann verstehen: Die Zukunft kann schön werden, auch wenn sie anders ist als das, was wir uns eigentlich vorgestellt hatten. Als ich im Krankenhaus lag, war das eine sehr harte Zeit. Ich habe mich gefragt: Kann ich das schaffen? Was erwartet mich da draußen? Wie werden die Menschen reagieren? Es ist wichtig, dass man sich klar macht: Ich muss nicht alles von Anfang an perfekt können und nicht auf alles direkt eine Antwort haben.
Gab es in dieser Zeit für Sie Vorbilder, an denen Sie sich orientiert haben? Und sehen Sie sich als Vorbild für andere?
Ich hatte nie das eine große Vorbild – eher viele Menschen, von denen man sich für die eigene Situation immer mal wieder etwas abschaut. Ich muss sagen, ich finde auch die Idee, dass man als behinderter Mensch unbedingt andere behinderte Menschen als Vorbild bräuchte, im Grunde ableistisch, also behindertenfeindlich. Rückschläge kennt ja jeder auf die eine oder andere Art. Ich habe mir in meinem Leben immer meinen eigenen Weg gesucht. Das ist jetzt nicht anders. Behindert zu sein, das ist nur eines von vielen Adjektiven, die mich beschreiben – es definiert mich nicht als Person, genauso wenig wie die Tatsache, dass ich einen Rollstuhl benutze. Gleichzeitig sehe ich aber auch, dass behinderten Menschen in der Öffentlichkeit oft kein Platz eingeräumt wird. Dass manche Menschen denken, man müsse sich mit einer Behinderung eher verstecken. Oder dass behinderte Menschen von Anfang an aussortiert werden: Dass man erst gar nicht auf die Idee kommt, sie könnten Fachkräfte sein, oder Unternehmerinnen, oder Schauspielerinnen, oder Models.
Wie gehen Sie damit um?
Ich sehe es als meine Aufgabe, meine Bekanntheit zu nutzen, und durch meine öffentlichen Auftritte als Rednerin, Sport- und Markenbotschafterin, als Moderatorin im Fernsehen und als Politikerin einen Platz freizuboxen – für mich und auch für andere. Wenn ich das nicht mache, oder wenn auch andere Menschen, die wie ich eine Stimme in der Öffentlichkeit haben, das nicht machen, dann bleiben auch viele andere unsichtbar. Mir ist wichtig, zu zeigen: Ich kann immer noch krasse Sachen machen. Jeder kann im Leben Tolles erreichen, ganz egal, wo man herkommt und wer man ist. Und man kann auch nach einem harten Rückschlag wieder neu anfangen.
Ist es das, was Sie meinen, wenn Sie sagen: Lieber Querschnitt als Durchschnitt?
Es ist natürlich sehr provokant, das so zu sagen. Das ist mir bewusst. Aber was ich damit sagen will, ist: Ich kann alles sein und erreichen, was ich will. Es geht nicht darum, irgendwie möglichst normal und unauffällig zu sein – sondern ich selbst sein zu können. Das ist ja ein Thema, das viele Frauen kennen, ob behindert oder nicht: Es gibt immer irgendwen, der uns sagt, wie wir zu sein haben, wie wir uns anziehen sollten oder wie wir es im Leben „richtig“ machen. Als behinderte Frau treffen mich solche Vorbehalte noch stärker: Darf oder kann ich als behinderte Frau überhaupt eine erfolgreiche Business-Frau sein oder eine gute Mutter? Oder gar beides?
Wie begegnen Ihnen diese Vorurteile konkret in Ihrem Alltag?
Ein Beispiel: Nach einem Vortrag kam eine Dame auf mich zu, 65 Jahre alt, im Rollstuhl. Die war völlig fasziniert von meinem Outfit. Sie sagte mir: Das war mir früher verboten, mich im Rollstuhl so auffällig zu kleiden. Kurz darauf hatte ich auf der Straße eine Begegnung, da sagte mir jemand: Mensch, du siehst ja gar nicht aus wie eine richtige Rollstuhlfahrerin. Was soll das denn bitte heißen? Wie sieht denn eine typische Rollstuhlfahrerin aus? Und wie bitte ziehe ich mich denn „richtig“ an? Da geht es mir wie vielen anderen Frauen: Ich ärgere mich über solche Zuschreibungen. Denn wer fragt bitte die Männer, was sie anhaben? Interessiert es irgendwen, welche Schuhe die tragen, ob im Rollstuhl oder nicht? Ich bin ein Mensch, ich bin weiblich, ich trage Mode, Highheels, alles, womit ich mich gerade ausdrücken möchte, ob im Alltag beim Einkaufen oder bei einem Vortrag oder auf dem roten Teppich. Das muss in die Köpfe reingehen: Der Rollstuhl ist nur eines von vielen Adjektiven zu mir, er macht mich nicht aus. Eine Frau zu sein gehört zu mir, aber es macht mich nicht aus. Und setzt mir ganz bestimmt keine Grenzen in dem, was ich erreichen will und kann.
Zum Weltfrauentag stehen Frauen mit ganz vielen verschiedenen Lebensgeschichten im Fokus, die sich gegen solche Diskriminierungen einsetzen. Was bedeutet Ihnen persönlich dieser Tag?
Ich denke, es ist ein Tag, an dem man in den Medien und generell in der Öffentlichkeit Platz findet, diese Geschichten zu erzählen, und auf Ungleichbehandlung wie den Gender Pay Gap aufmerksam zu machen, der uns alle betrifft. Daher ist der Tag für jede Frau wichtig. Eigentlich müsste jeder Tag Weltfrauentag sein, wir müssten jeden Tag über diese Dinge reden. Und uns klar machen: Keiner kann uns sagen, wer wir sein sollen – oder was wir schaffen können. Das bestimmen wir selbst.
Zur Person:
Kristina Vogel wurde 1990 in Leninskoje, im heutigen Kirgistan, geboren. Als Russlanddeutsche kam sie im Alter von sechs Monaten nach Deutschland. Aufgewachsen im thüringischen Erfurt entdeckte sie mit zehn Jahren ihre Leidenschaft für den Radsport. Sie sammelte insgesamt 17 Weltmeistertitel und gewann 2012 und 2016 bei den Olympischen Spielen Gold. Im Jahr 2018 hatte ein Trainingsunfall auf der Radrennbahn dramatische Folgen: Mehrere Wochen kämpft Kristina Vogel auf der Intensivstation ums Überleben. Mit ihrem starken Willen und ihrer Zuversicht arbeitete sie sich zurück ins Leben und wurde mit ihrer ansteckenden Energie zum Vorbild für Menschen mit ähnlichen Schicksalsschlägen.
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