Zum Seiteninhalt springen Zur Fußzeile springen

„Wenn ich groß bin, möchte ich gesund sein“

Text von Sina Hoffmann
17.05.2024
Gesellschaft
© Kinderkrebsstiftung-Frankfurt.de

Die Krebsforschung hat in den vergangenen 30 Jahren einige Meilensteine erreicht und die Heilungschancen besonders für Kinder und Jugendliche verbessert. Marcus Klüssendorf, Geschäftsführer der Frankfurter Kinderkrebsstiftung, erzählt im Interview, woran die Stiftung forscht und vor welchen Hürden sie steht.

Herr Klüssendorf, auf der Internetseite der Frankfurter Kinderkrebsstiftung ist ein gemaltes Kinderbild mit dem Wunsch zu sehen „Wenn ich groß bin, möchte ich gesund sein“. Wie nachhaltig sind moderne Krebstherapien – ist, wer einmal als geheilt gilt, tatsächlich für den Rest seines Lebens krebsfrei?

Marcus Klüssendorf: Auch wenn Krebstherapien heutzutage personalisiert auf die krebskranken Kinder ausgerichtet sind, kann es leider immer wieder zu einem erneuten Ausbruch der Krankheit kommen. Unser Vorstandsmitglied Uwe Menger musste das selbst erfahren. Sein Sohn ist mit eineinhalb Jahren an Krebs erkrankt und wurde zwei Jahre später als geheilt entlassen. Zehn Jahre später kam der Krebs plötzlich wieder. Mittlerweile ist sein Sohn 17 Jahre alt und ein zweites Mal als geheilt entlassen.

"Viele bahnbrechende medizinische Erkenntnisse sind aber aus Zufallsfunden bei der Suche nach ganz anderen Fragen entstanden, daher ist unsere Forschung essenziell, um die Heilungschancen zu verbessern."

Marcus Klüssendorf, Geschäftsführer der Frankfurter Kinderkrebsstiftung

© Kinderkrebsstiftung-Frankfurt.de
Foto: Kinderkrebsstiftung-Frankfurt.de

Die Frankfurter Kinderkrebsstiftung feiert dieses Jahr ihr 30-jähriges Jubiläum. Was hat sich in diesem Zeitraum getan?

In den 1980iger-Jahren lag die Sterblichkeit bei einigen Kinderkrebsarten noch bei mehr als 60 Prozent. Kinder wurden damals nur unzureichend behandelt. Dank der Krebsforschung sind ihre Heilungschancen stark gestiegen: Die Therapie ist mittlerweile in mehr als 80 Prozent der Fälle erfolgreich. Bei einigen Krebsarten liegt die Heilungschance sogar bei über 95 Prozent.

Ein Zweck der Stiftung ist der Aufbau und Betrieb von Forschungseinrichtungen. Woran wird am Institut für Experimentelle Pädiatrische Hämatologie und Onkologie (EPHO) und im Interdisziplinären Labor für pädiatrische Tumor- und Virusforschung (IDL) geforscht?

Das IDL untersucht, warum Krebszellen gegen eingesetzte Medikamente resistent werden und welche neuen Therapiemöglichkeiten für diese Patienten in Frage kommen. Dazu hat das Labor fast 40 Jahre lang mehr als 2.700 Krebszelllinien resistent gemacht, um neue therapeutische Ansätze zu entwickeln. Die weltweit größte Zellbank tumorresistenter Krebszelllinien repräsentiert über 2.700 Jahre Forschungsarbeit - ein "Jahrtausendsprojekt". Das EPHO hat sich darauf spezialisiert, zu verstehen, wie kindliche Leukämie entsteht. Die Erkenntnisse helfen dabei, innovative Therapieansätze zu entwickeln. Die Forschungsarbeit der insgesamt 60 Wissenschaftler trägt dazu bei, dass kindliche Krebserkrankungen besser verstanden und bekämpft oder sogar verhindert werden können.

Welche Erfolge sind den Forschungsinstituten in der Vergangenheit gelungen?

Wir haben viele Meilensteine erreicht. Eine bedeutende Entdeckung war zum Beispiel das Protein SAMHD1, ein bestimmter Biomarker im Blut von Leukämiepatienten. Wenn dieser in hoher Konzentration vorhanden ist, ist eine Chemotherapie mit dem gängigen Krebsmedikament Cytarabin nicht wirkungsvoll. Dadurch können Ärzte hoffentlich in der Zukunft Kindern Therapien mit ungewissem Ausgang und großen Nebenwirkungen ersparen.

Der Aufbau und der Betrieb von Forschungseinrichtungen sollten eigentlich Aufgabe staatlicher Institutionen wie Universitäten sein …

Man kann natürlich nie genug zum Wohle krebskranker Kinder forschen, und die staatlichen Fördermittel sind begrenzt. Viele bahnbrechende medizinische Erkenntnisse sind aber aus Zufallsfunden bei der Suche nach ganz anderen Fragen entstanden, daher ist unsere Forschung essenziell, um die Heilungschancen zu verbessern. Alle unsere ehrenamtlichen Vorstände wissen als betroffene Eltern oder als Selbstbetroffene, was es bedeutet, die Diagnose Krebs zu bekommen, daher haben sie sich zusammengeschlossen, um mehr für die Krebsforschung und die Verbesserung von Krebsbehandlungen zu tun.

Vor welcher Hürde steht die Krebsstiftung als private Initiative?

Wir benötigen bis zu drei Millionen Euro pro Jahr, um unsere Forschung zu finanzieren. Die Summe versuchen wir jedes Jahr aufs Neue über Spenden, Erbschaften und andere Zuwendungen aufzubringen.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten …

… würden wir uns sehr über viel Interesse an unserer Arbeit und über neue Unterstützer freuen. Die Leser und Leserinnen sind herzlich eingeladen, sich in unseren Laboren in Frankfurt selbst einen Eindruck von unserer Arbeit zu machen. 

Auf der Webseite der Kinderkrebsstiftung Frankfurt können Sie sich umfassend über die Forschung und das Wirken der Stiftung informieren.

Krebstherapie im Wandel

Die Krebsforschung hat in den vergangenen Jahren bedeutende Fortschritte gemacht: Während zuvor großflächige und unspezifische Behandlungen, zum Beispiel mit klassischer Chemotherapie, üblich waren, therapieren die Ärzte immer häufiger Krebserkrankte individuell. Am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg beispielsweise erforschen Ärzte und Wissenschaftler diese personalisierten Therapieformen und übertragen sie in frühe klinische Studien. Bis zu 13.000 Krebspatienten behandeln die Ärzte hier im Jahr – und das mit großen Erfolgen.

Studien aufwendiger und kostspieliger. Die Folge, Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Ländern und die Finanzierung von Studien kann nicht immer gewährleistet werden.

Professor Dr. Dirk Jäger, Leiter Abteilung Medizinische Onkologie am NCT

© Philip Benjamin/NCT Heidelberg
Foto: Philip Benjamin/NCT Heidelberg

Vielversprechende Studien

Wie die personalisierte Therapie funktioniert, erklärt Professor Dr. Dirk Jäger, Leiter der Abteilung Medizinische Onkologie am NCT: „Zunächst charakterisieren wir, was den Tumor von gesunden Zellen unterscheidet und welche Auswirkungen die genetischen Veränderungen auf den Körper haben – das ist bei jedem Patienten anders.“ Anschließend analysieren Jäger und sein Team, mit welchen Methoden sich diese Tumoreigenschaften gezielt angreifen lassen. 

Eine der Therapieformen, die in Studien eine besonders hohe Wirksamkeit erzielte, ist die Immuntherapie – insbesondere die Zelltherapie. Hierbei werden die Immunzellen des Patienten im Labor genetisch modifiziert, um die Krebszellen im Körper zu erkennen und zu zerstören. Sogar bei austherapierten Patienten bildete sich der Tumor erkennbar zurück oder verschwand komplett.

Überregulierung bremst Forschung 

Die Forschung macht zwar rasante Fortschritte, wird jedoch durch bürokratische und überregulierte Prozesse ausgebremst. So dauert es im Schnitt 230 Tage, bis eine Studie genehmigt wird, in der Schweiz sind es nur 55. „Dadurch werden die Studien aufwendiger und kostspieliger“, kritisiert Jäger. Das hat zur Folge, dass nicht nur Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Ländern entstehen, sondern auch, dass die Finanzierung der Studien nicht immer gewährleistet werden kann. Auch hier müsse angesetzt werden, damit in Zukunft Innovation schneller beim Patienten ankommt.

2.200 Kinder und Jugendliche
erkranken in Deutschland pro Jahr neu an Krebs.
Quelle: Krebsinformationsdienst

15 Jahre 
kann die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs gegen Krebs dauern. 
Quelle: Deutsche Krebsgesellschaft

Ähnliche Artikel