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Mit 300 Sachen quer durch Europa?

Text von Moritz Kudermann
21.02.2024
Gesellschaft

ICE, TGV oder Railjet bringen Tempo auf die Schiene. Doch bisher fahren die Hochgeschwindigkeitszüge nur auf ausgesuchten Teilstrecken und meist innerhalb nationaler Grenzen. Das soll sich grundlegend ändern, wenn es nach der EU-Kommission geht. Doch der Weg dahin ist lang.

Morgens ein Croissant vor dem Eifelturm genießen und abends den Sonnenuntergang an der Budapester Donaupromenade bestaunen. Wozu sich Weltenbummler heute in ein Flugzeug setzen, könnten sie in einigen Jahren einen Zug nutzen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Während man Stunden vor dem Abflug damit zubringt, Gepäck aufzugeben und am Security-Check anzustehen, hat der Passagier eines Hochgeschwindigkeitszugs schon einige hundert Kilometer hinter sich und sieht entspannt die Landschaft draußen an sich vorbeiziehen. Japan und China machen bereits vor, wie Züge mit weit über 300 Kilometern pro Stunde von Stadt zu Stadt sausen – und auf die Minute genau in den Zielbahnhof einfahren.

Europas Metropolen mit der Bahn verbinden

Soweit die Vision, die Zug-Enthusiasten und Vertreter der EU-Kommission gleichermaßen begeistert. Letztere wollen ein Hochgeschwindigkeitsnetz errichten, das die großen europäischen Städte miteinander verbindet. Derzeit legen Europäer rund 80 Prozent aller Strecken mit einer Länge von mehr als 100 Kilometern mit dem Auto oder mit dem Flugzeug zurück. Im Vergleich zur Reise mit der Bahn verursacht das einen deutlich höheren CO2-Ausstoß. Rund achtmal mehr Emissionen je Passagier entstehen bei einer Fluggreise gegenüber dem Schnellzug auf gleicher Strecke. Beim Auto wären es immerhin noch sechsmal mehr als mit dem Schnellzug.

Da sich die EU-Kommission im Rahmen ihres Green Deals bis 2050 das ehrgeizige Ziel gesteckt hat, 90 Prozent der Emissionen im Verkehr einzusparen, muss das Verkehrsvolumen auf der Schiene steigen: Bis 2030 muss es sich verdoppeln, bis 2050 verdreifachen – gemessen am Volumen von 2015. Greenpeace hat ausgerechnet, um wie viel sich die Verkehrsemissionen durch einen Wechsel reduzieren ließen: Würde man allein die 250 beliebtesten Kurzstreckenflüge in Europa durch Zugfahrten ersetzen, könnten jährlich 23,5 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden – so viel wie ganz Kroatien in einem Jahr verbraucht.

Kurze Wege zum schnellen Zug

Wie ambitioniert das Vorhaben ist, zeigt eine Studie des Karlsruher Beratungsunternehmens PTV Group in Kooperation mit der Deutschen Bahn und weiteren europäischen Bahnbetreibern: Um das Verkehrsvolumen zu verdreifachen, müssten viel mehr Menschen Zugang zu Schnellzügen bekommen. Das ginge zum Beispiel, indem man sämtliche europäische Metropolregionen mit mehr als 250.000 Einwohnern an ein Hochgeschwindigkeitsnetz anschließt. „Damit wären zwei Drittel der Europäer an das Netz angebunden“, sagt Peter Möhl, Vice President für Zentral- und Osteuropa bei der PTV Group. Um das Ziel zu erreichen, müsste dieses neue Netz rund 32.000 Kilometer lang sein. Zum Vergleich: Aktuell summieren sich die europäischen Hochgeschwindigkeitstrassen gerade mal auf etwas mehr als 11.000 Kilometer.

Bis Passagiere mit 300 Kilometer pro Stunde quer durch Europa reisen können, ist es also noch ein weiter Weg – vor allem für Deutschland. Aufgrund seiner zentralen Lage in der EU müsste Deutschland das größte Schienennetz beisteuern. Insgesamt mehr als 4.600 Kilometer neue Hochgeschwindigkeitstrassen bräuchte es hierzulande. Im Jahr 2019 waren es knapp 1.600 Kilometer.

Milliardeninvestitionen sind notwendig

Für die meisten Bahnexperten liegt die größte Hürde bei der Umsetzung jedoch nicht bei der Streckenplanung und den Genehmigungsverfahren. Viel fraglicher ist die Finanzierung. Laut Bundesrechnungshof kostet der Bau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes pro Kilometer ungefähr 25 Millionen Euro. Für Deutschland würde das Investitionen von rund 110 Milliarden Euro bis 2050 bedeuten.

Eine weitere Herausforderung: Die nationalen Bahngesellschaften müssen zur Kooperation bewegt werden. „Aktuell bilden die europäischen Hochgeschwindigkeitsstrecken einen Flickenteppich aus getrennten Netzen“, erklärt PTV-Experte Möhl. Diese sind hauptsächlich auf den nationalen Verkehr ausgerichtet, machen somit vor Ländergrenzen halt. Was aber nicht bedeutet, dass man es nicht kann. Schnellzüge verkehren beispielsweise zwischen Frankfurt und Paris mehrmals am Tag und verbinden die Finanz- und Modemetropolen in knapp vier Stunden.

Doch viele wichtige internationale Strecken stecken in der Planung fest oder kommen nicht über den Bau von Teilstrecken hinaus. Wer etwa von Lissabon nach Madrid fahren möchte, braucht dafür neun Stunden und muss zweimal umsteigen. Konkrete Pläne für einen durchgehenden Schnellzug gibt es, die Arbeiten begannen planmäßig 2010. Im Zuge der Finanzkrise stoppte die portugiesische Regierung jedoch den Bau, während es auf der spanischen Seite weiter voranging. Heute besteht die Strecke aus einzelnen Abschnitten, die nicht aufeinander angepasst sind: Einige Teile elektrifiziert und zweispurig in der europäischen Spurbreite, andere Teilen wiederum eingleisig, nicht elektrifiziert und in der breiteren iberischen Spurbreite. Es gibt also noch viel zu tun, bis wir auf der Schiene mit Tempo 300 von einer europäischen Metropole zur nächsten reisen können.

406 Stundenkilometer

Spitzengeschwindigkeit könnte der ICE fahren. Regulär verkehrt er jedoch nur mit maximal 300 Kilometern pro Stunde. 

Quelle: Deutsche Bahn

12.000.000 Kilometer

legt ein ICE während seiner durchschnittlichen Einsatzdauer von 25 Jahren zurück.

Quelle: Handelsblatt 

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