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Generation H: Zwischen kommerziell und karitativ

Text von Christoph Koch
19.03.2025
Gesellschaft
JUHI-Gründerteam | © JUHI

Auf dem Bild  die JUHI-Gründer Ali Abderrahmane (rechts) und Burak Erkovan (links) mit Produktchef Jost Homrighausen (Mitte). 

Junge helfen Alten, Alte helfen Jungen – das ist die Idee. Junge Menschen werden von der Pflegekasse dafür bezahlt, Ältere im Haushalt zu unterstützen. Seniorinnen und Senioren teilen in Zeiten der Wohnungsnot ihr zu groß gewordenes Haus mit Studentinnen und Studenten. Wenn die verschiedenen Generationen füreinander da sind, profitieren alle.

Dustin Grätz hat mehrere Gründe, für seine Kundinnen und Kunden einzukaufen, die Wohnung sauberzumachen oder ihnen ein wenig zuzuhören. Zum einen mag er es, den Seniorinnen und Senioren zu helfen. Die meisten sind vier bis sechs Jahrzehnte älter als der 26-Jährige. Es gefällt ihm aber auch, ihnen Gesellschaft zu leisten. „Das sind Menschen, die oft sehr viel gesehen haben“, sagt er. „Eine war Stewardess und hat die Welt bereist. Eine andere hat in der Verwaltung gearbeitet und war mit Fällen des Kriminalgerichts betraut. Außerdem reden sie liebend gern über die Vergangenheit, was unglaublich spannend sein kann.“ Und nicht zuletzt verdient sich der Student mit seiner Helfertätigkeit etwas dazu. Für die Seniorinnen und Senioren ist Grätz‘ Hilfe wiederum kostenlos – die Bezahlung übernimmt die Pflegekasse.

Doch wie finden sie zusammen – Ältere, die Hilfe brauchen, und Jüngere, die einen Zusatzverdienst mit Sinn suchen? Wer sagt dem Witwer, dass ihm ein gewisser Betrag für sogenannte Alltagshilfe zusteht? Wer kümmert sich um den Papierkram, den die Abrechnung mit der Pflegekasse mit sich bringt? Und wer stellt sicher, dass die Hilfe qualitativen Ansprüchen genügt und die Seniorinnen und Senioren den zunächst Fremden vertrauen können, die sie in ihre Wohnung lassen? Hier kommt die JUHI GmbH ins Spiel. JUHI steht für „Jugend hilft“ und wurde 2018 von den beiden Freunden Ali Abderrahmane und Burak Erkovan gegründet.

Der Hilfsbedarf ist da, aber das Geld fehlt

„Wir kennen uns seit der 8. Klasse“, erzählt Erkovan (26) bei einem Besuch der Büroräume der Firma in Berlin-Mitte. „Wir kommen beide aus eher einkommensschwachen Familien im Stadtteil Wedding und haben schnell gemerkt, dass wir die gleichen Interessen und Herausforderungen haben.“ Beide hatten Interesse, ein Unternehmen zu gründen, aber wussten, dass von zu Hause keine finanzielle Unterstützung zu erwarten war.

Während ihres BWL-Studiums suchten beide deshalb nach einem Nebenverdienst. Auf Flugblättern und per Online-Kleinanzeigen boten sie an, älteren Menschen zu helfen – sei es bei Computerproblemen, im Garten oder bei der Bewältigung des Haushalts. „Aber das lief nur sehr schleppend, da den meisten älteren Menschen einfach das Geld fehlt, um solche Hilfe zu bezahlen“, so Abderrahmane (25).

Wir merken oft, dass die älteren Menschen lieber zugeben, Hilfe im Haushalt zu benötigen als einsam zu sein.
Ali Abderrahmane, JUHI GmbH

Doch als es mit den Pflegestärkungsgesetzen im Jahr 2017 einfacher wurde, zum Beispiel einen sogenannten Entlastungsbeitrag für Unterstützungsangebote im Alltag zu erhalten, machte es bei den beiden Gründern Klick: Statt selbst zu helfen, würden sie die Vermittlung und Logistik übernehmen. Mit den ersten 100 Kundinnen und Kunden sprachen die beiden Gründer noch selbst, auch um den Bedarf zu verstehen. Etwa 70 Prozent wünschen sich Hilfe im Haushalt, Einkäufe stehen bei 20 Prozent an erster Stelle, Begleitung bei Arztbesuchen und generell Gesellschaft wünschen sich rund zehn Prozent. „Wir merken aber oft, dass die älteren Menschen lieber zugeben, Hilfe im Haushalt zu benötigen als einsam zu sein“, sagt Abderrahmane. „Am Ende freuen sie sich dann über einen gemeinsamen Kaffee ebenso wie über die geputzten Fenster.“

Einer Person mit Pflegegrad 1 stehen monatlich 131 Euro Unterstützung zu. Dafür gibt es bei JUHI vier Stunden Alltagshilfe. 70 Prozent der Kundschaft haben jedoch Pflegegrad 2 oder höher, da können es auch zehn Stunden im Monat werden.

Oft besteht ein rückwirkender Anspruch von bis zu einem Jahr. JUHI rechnet mit den Pflegekassen 32,75 Euro pro Stunde ab, die Helferinnen und Helfer erhalten davon je nach Erfahrung 13 bis 15 Euro. „Für mich ist es ein idealer Nebenjob – erst neben der Schule und später neben dem Studium“, sagt Dustin Grätz, der seit etwa anderthalb Jahren für JUHI arbeitet. Fünf feste Kundinnen und Kunden unterstützt er mal wöchentlich, mal zweiwöchentlich – von Gartenarbeit und Putzen über Computerhilfe und Kundendiensttelefonate bis zu Spazierengehen und Zuhören sei alles dabei. „Es ist für mich viel erfüllender, als wie früher in der Gastronomie zu arbeiten“, sagt er. „Es gleicht mich im Alltag aus und gibt mir sehr viel – auch weil ältere Menschen oft einen viel offeneren Blick auf die Welt haben, als die jungen ihnen zutrauen.“

Beide Generationen profitieren

Der Austausch zwischen den Generationen geht eindeutig in beide Richtungen. „Ich lerne etwas von den Menschen, denen ich helfe, und sie erweitern meinen Horizont. Dabei mache ich viele neue Erfahrungen, ob bei der Gartenarbeit, im Haushalt oder beim Kochen“, sagt Grätz. JUHI ist nicht die einzige Initiative, die erkannt hat, dass sowohl alte als auch junge Menschen profitieren, wenn man die beiden Altersgruppen zusammenbringt. So ist „Wohnen für Hilfe“ ein innovatives Wohnkonzept, das Studierende und Menschen mit Unterstützungsbedarf zusammenbringt. Senioren oder Menschen mit Behinderung stellen dabei Studierenden Wohnraum zur Verfügung, während die Studierenden im Gegenzug kleine Hilfsleistungen im Alltag erbringen.

Organisiert werden diese Projekte beispielsweise von Studierendenwerken oder Wohnungsgenossenschaften. Zur Orientierung gilt die Faustregel: eine Stunde monatliche Hilfe pro Quadratmeter Wohnfläche – Nebenkosten laufen extra. Für ein 16-Quadratmeter- Zimmer würden also 16 Stunden Hilfe pro Monat fällig, etwa ein Nachmittag pro Woche.

Auch bei „Wohnen für Hilfe“ (auch bekannt als „Wohnen gegen Hilfe“ oder „Wohnen für Mithilfe“) reichen die Hilfsleistungen von kleineren Haushaltsaufgaben über Einkäufe bis zur Gartenarbeit oder dem Versorgen von Haustieren.

Für Senioren, die oft überdimensioniert wohnen, weil die Kinder aus dem Haus sind oder der Partner verstorben ist, bietet das Modell Unterstützung und Gesellschaft – und das, ohne aus der vertrauen Umgebung ausziehen zu müssen. Für die Studierenden kann eine solche Abmachung in Zeiten von Wohnungsknappheit die Rettung sein. Inzwischen gibt es das Modell in mehr als 30 Städten von Aachen bis Wuppertal. „Ein Ehepaar hatte insgesamt vier Studierende aus unserer Vermittlung nacheinander bei sich wohnen“, so Brigitte Tauer, die in München solche Wohngemeinschaften auf Hilfsbasis vermittelt, in einem Radiointerview. „Und sobald eine oder einer davon wieder in München ist, treffen sie sich zum Kaffee. Es ist schön zu sehen, dass dort Freundschaften geschlossen werden, die lange halten.“

Ich lerne etwas von den Menschen, denen ich helfe, und sie erweitern meinen Horizont.
Dustin Grätz, JUHI GmbH

Auch Dustin Grätz fällt es schwer, wenn er sich gelegentlich von einer Kundin oder einem Kunden trennen muss. Wenn jemand zu einem wirklichen Pflegefall wird, kommt die Alltagshilfe von JUHI an ihr Ende. „Wir vermitteln dann natürlich an einen geeigneten Pflegedienst“, sagt Burak Erkovan. „Unsere Hilfe ist auf Menschen beschränkt, die sich grundsätzlich noch selbst versorgen können, also beispielsweise waschen und ankleiden.“ Für Grätz ist es dennoch ein trauriger Abschied. „Durch die gegenseitige Unterstützung und das Teilen von Wissen entsteht eine wertvolle Verbindung zwischen Jung und Alt.“

Derzeit ist JUHI in zwölf Städten in Sachsen, Hessen Nordrhein-Westfalen und Berlin vertreten. In fünf Jahren wollen Ali Abderrahmane und Burak Erkovan Zulassungen für alle Bundesländer erhalten haben und in allen mittleren und größeren Städten Deutschlands präsent sein. „Städte unter 100.000 Einwohner und ohne Uni erweisen sich als schwierig für uns“, sagt Abderrahmane. „Aber überall, wo wir bisher unsere Vermittlungstätigkeit starten konnten, bekommen wir sehr gutes Feedback zur Qualität unserer Hilfe.“

Auch Gerda Acquah, die über JUHI regelmäßig Hilfe von Dustin Grätz erhält, ist dankbar für diese Lösung: „Gerade wenn man älter ist, werden die Ansprechpartner weniger“, sagt sie. „Und da ist eine Vertrauensperson wie Dustin sehr wichtig. Er hilft mir extrem und ich kann mich hundertprozentig auf ihn verlassen.“


Dieser Artikel ist zuerst in
Character erschienen, dem Gesellschaftsmagazin der Bethmann Bank. Weitere Informationen zur aktuelen Ausgabe finden Sie auf unserer Webseite.

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