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„Menschen neigen zu Ausreden. Und dazu, andere zum Sündenbock zu machen.“

Text von Maria Kessen
15.12.2021
Gesellschaft

Viele Menschen wollen sich am Kampf gegen den Klimawandel beteiligen. Doch ihren Alltag entsprechend zu ändern, fällt ihnen schwer. Was dahinter steckt, erklärt Felix Ekardt, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Uni Rostock und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin. Der Teufelskreis zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft sei nur im Zusammenwirken vieler Menschen zu durchbrechen.

Herr Ekardt, als Kernaufgabe des 21. Jahrhunderts definiert Ihre Forschungsstelle das Ziel, eine „dauerhaft und global durchhaltbare Lebens- und Wirtschaftsweise“ zu erreichen. Wie kann eine Lebens- und Wirtschaftsweise aussehen, die dem Klima guttut und von Menschen akzeptiert wird?

Nachhaltig ist das, was dauerhaft und global durchhaltbar ist. Um die verschiedenen Umweltprobleme wie Klimakrise, Biodiversitätsverlust, gestörte Stickstoff- und Phosphorkreisläufe, Boden-, Luft- und Gewässerbelastung zu lösen, müssen wir die Treiber der Zerstörung hinter uns lassen. Wir müssen die Nutzung fossiler Brennstoffe auf null herunterfahren. Außerdem müssen wir die Nutztierhaltung und den Pestizidverbrauch stark reduzieren. Wenn uns all das zeitnah gelingt, dann wären unsere Probleme weitgehend gelöst.

Viele Menschen in Deutschland wollen dabei mithelfen und den eigenen CO2-Fußabdruck reduzieren. Trotzdem steigen viele für den nächsten Urlaub wieder in ein Flugzeug oder buchen ein Kreuzfahrtschiff. Warum verhalten sich viele Menschen so widersprüchlich?

Unser Verhalten wird nur sehr begrenzt durch unsere Wertvorstellungen und unser Wissen um die Fakten beeinflusst. Diese beiden Bewusstseinsaspekte spielen keine so große Rolle wie wir denken. Bei Bürgern, Politikern und Managern sind andere Faktoren oft wichtiger. Wir alle sind durch Eigennutzenkalküle motiviert. Ein weiterer Faktor, der unser Verhalten beeinflusst, ist das Wissen, dass wir als Einzelne mit unseren täglichen Entscheidungen kaum Einfluss auf das Klima haben. Dadurch, dass das Klima ein kollektives Gut ist, ist es durch den Einzelnen nicht kontrollierbar.

Welche Rolle spielt es, dass Menschen zu Gruppendenken neigen?

Wir haben eine Vorstellung von dem, was „normal“ ist. Für viele Menschen ist es „normal“, täglich Fleisch zu essen, ein paarmal im Jahr in den Urlaub zu fliegen und mit der Zeit immer wohlhabender zu werden. Daran orientieren wir uns in unserem Handeln.

Hat das nicht auch mit Bequemlichkeit zu tun?

Ja, emotionale Faktoren sind vielleicht am wichtigsten – Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung. Wir neigen zu Ausreden. Und wir tendieren auch dazu, andere zum Sündenbock zu machen. Irgendwie sind doch die Chinesen oder Donald Trump am Klimawandel schuld, ich selbst bin doch super – auch wenn wir in Deutschland einen der größten Pro-Kopf-Klimafußabdrücke weltweit haben.

Laut der Trendstudie „Jugend in Deutschland“ können sich mehr als 80 Prozent der 14- bis 25-Jährigen hierzulande ein Leben ohne Auto nicht vorstellen. Wie kann man erreichen, dass junge Menschen umdenken?

Es geht nicht allein um mehr Faktenwissen und eine stärkere Werthaltung – weder bei älteren Menschen noch bei den jungen. Gesellschaftlicher Wandel geschieht im Wechselspiel verschiedener Akteure. Die politische Sphäre ist bevölkert von Politikern, Bürgerinnen, Lobbyisten und Journalistinnen, die wie in einer Art Teufelskreis voneinander abhängen. Eine andere Politik ist nur möglich, wenn sie von uns allen eingefordert wird. Und eine andere Politik setzt auch voraus, dass möglichst viele Menschen schon mal in ihrem persönlichen Bereich vormachen, wie man anders leben und wirtschaften kann. Vorbilder bleiben wichtig. Nur durch dieses Zusammenwirken können die Teufelskreise zwischen allen Beteiligten und Sphären durchbrochen werden.

Wie können Politiker dazu beitragen, dass dieser Wandel beginnt? Indem sie mutige Entscheidungen treffen, die womöglich unpopulär sind?

Das zentrale politische Instrumentarium muss auf EU-Ebene ansetzen, sonst verlagert man Probleme nur in andere Länder. Wenn man einen verbesserten Emissionshandel etabliert, der sämtliche fossile Brennstoffe und in ähnlicher Form auch tierische Produkte und Pestizide abdeckt, macht man das Reduktionsziel ambitionierter als bislang und schließt sämtliche Schlupflöcher. Wenn wir das in höchstens 15 Jahren schaffen, können wir die global verbindlichen Klima- und Umweltziele wie die 1,5-Grad-Grenze im Pariser Klima-Abkommen noch erreichen.

Aber die Europäer können die 1,5-Grad-Grenze auch nicht im Alleingang erreichen.

Natürlich schaffen wir das nicht nur durch europäische Anstrengungen. Ergänzend müsste die EU gemeinsam mit weiteren Ländern, die einen ähnlichen Weg gehen, Ökozölle gegenüber Ländern einführen, die nicht mitspielen. Sonst kommt es wiederum zu Emissionsverlagerungen dorthin.

Wie erreichen Politiker Akzeptanz für schmerzhafte Einschnitte, wenn allein China für mehr als ein Viertel des weltweiten CO2-Austoßes verantwortlich und eine Trendwende dort nicht in Sicht ist?

Das ist ein Missverständnis. China hat pro Kopf niedrigere Emissionen als wir, und ein Großteil der chinesischen Emissionen kommt durch Exportprodukte für unseren Wohlstand zustande. Zwar sind die Pro-Kopf-CO2-Emissionen in Deutschland seit 1990 gesunken. Viele der in Deutschland konsumierten Waren werden jedoch in China hergestellt. Verrechnen wir Im- und Exporte, sind unsere deutschen Pro-Kopf-Emissionen heute noch etwa so hoch wie im Jahr 1990. Wenn wir allein länderbasiert auf CO2-Emissionen schauen, verzerren wir das Bild. Bei der Bekämpfung des Klimawandels geht es eben auch darum, dass alle handeln müssen.

 

 

Die Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin

… widmet sich rechtlichen, ethischen, politischen und transformativen Fragen der Nachhaltigkeit – aktuell etwa in Projekten zur Wärmewende, zu Phosphor und zur Kompensation von Klimaemissionen. Eine wichtige Rolle spielte im Jahr 2021 auch die erfolgreiche Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht. Diese hatte Ekardt seit 2000 vorbereitet und zusammen mit mehreren Klägern im November 2018 nach Karlsruhe gebracht. Es ist die erste erfolgreiche Verfassungsklage auf mehr Umweltschutz in der deutschen Geschichte. Und die vermutlich weitestgehende Entscheidung eines obersten Gerichts zum Klimaschutz weltweit.

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