Mit Rote-Bete gegen Ungleichheit
Wunden, die sich infizieren, sind ein großes Problem – gerade in Entwicklungsländern. Die US-Schülerin Dasia Taylor aus Iowa hat einen medizinischen Faden für Wunden entwickelt, mit dem sich Infektionen erkennen lassen. Für die 17-Jährige ist ihre Idee nicht nur ein Beitrag zur besseren Gesundheitsversorgung. Sie ist sich sicher: Der neue Wundfaden wird das Leben vieler Menschen besser machen – auf der ganzen Welt.
Infektionen von Wunden zählen weltweit zu den häufigsten Komplikationen nach einer Operation. Jedes Jahr bedrohen sie das Leben von Millionen Patienten. Allein im europäischen Raum kommt es nach Schätzungen des Europäische Zentrums für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) jährlich zu mehr als 500.000 Komplikationen dieser Art.
Wie hoch das Risiko einer postoperativen Entzündung ist, hängt davon ab, in welchem Land der Patient unters Messer kommt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation treten Wundinfektionen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen bei etwa elf Prozent aller chirurgischen Eingriffe auf, bei Kaiserschnitten sogar nach jeder fünften OP. Zum Vergleich: In den USA kommt es nach Angaben der US-amerikanischen Zentren für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten nur bei zwei bis vier Prozent aller Operationen im Nachgang zu Entzündungen.
Kathryn Chu, Professorin und Direktorin für Globale Chirurgie an der Universität Stellenbosch in Südafrika, hat sich viele Jahre mit der Qualität in der chirurgischen Versorgung beschäftigt. Sie weiß: „Wundinfektionen tragen zu mehr Schmerzen bei, können die Dauer des Krankenhausaufenthalts verlängern und sogar eine weitere Operation erforderlich machen.“
Dasia Taylor, eine ehemalige Schülerin der amerikanischen West High School in North Liberty, Iowa, ist auf dem besten Weg, dieses Problem zu überwinden – mit dem Saft der Roten Bete. Die junge Frau hat nämlich herausgefunden, dass die Rübe den perfekten Farbstoff für ihre Erfindung liefert: Ein Wundfaden, der sich verfärbt, wenn sich die Operationswunde entzündet. Das Bestechende an Taylors Ansatz ist, dass er einfach und kostengünstig ist. Auch Krankenhäuser in ärmeren Ländern könnten sich die präventive medizinische Lösung also leisten.
Für ihre Erfindung hat Taylor in den vergangenen Jahren bereits mehrere regionale Schülerpreise eingeheimst. Im Januar 2021 gehörte sie – damals gerade einmal 17 Jahre alt – zu den 40 Finalisten des „Regeneron Science Talent Search“, dem ältesten US-amerikanischen Wissenschafts- und Mathematikwettbewerb für High-School-Abgänger. Ihr Lohn: Die junge Wissenschaftlerin erhielt von den Veranstaltern, der Society for Science, ein Stipendium im Wert von 25.000 US-Dollar.
Dass Taylor überhaupt von dem renommierten Wettbewerb hörte und den Rote-Bete-Faden entwickelte, hat sie ihrer Chemielehrerin Carolyn Walling zu verdanken. „Als ich zu Beginn des Schuljahres 2019 fragte, ob jemand an dem Wissenschafts-Wettbewerb teilnehmen wollte, hob Taylor sofort die Hand“, erzählte die Chemielehrerin in der US-amerikanischen Nachrichtensendung PBS-Newshour. Nur wenig später hatte die Schülerin die zündende Idee für ihr Projekt, als sie auf der Webseite „Science News Explores“ einen Artikel über „intelligente“ Wundfäden las: US-Forscher hatten ein Hightech-Nahtmaterial entwickelt, das die Körpertemperatur, den pH-Wert und andere Aspekte einer genähten Wunde überwachen kann und somit als Frühindikator für Wundinfektionen dient. Für die Auswertung der Messdaten benötigen die Ärzte und Patienten jedoch ein Smartphone oder einen Computer.
Taylor, die sich schon im Schulausschuss gegen rassistische Diskriminierung und für Gleichberechtigung einsetzte, bezweifelte, dass die „smarten“ Wundnähte auch in ärmeren Regionen der Welt zum Einsatz kommen können – dort also, wo es kein flächendeckendes Internet gibt und nicht alle ein Smartphone besitzen. „Ich empfand die Lösung als unfair gegenüber denjenigen, die sie tatsächlich benötigen würden“, sagte sie in der PBS-Newshour.
Also begann die Schülerin mit der Suche nach einem natürlichen Indikator, der die Veränderung des pH-Werts ohne viel Technik misst. Ihre Idee: Gesunde Haut hat einen leicht sauren pH-Wert von etwa fünf. Entzündet sich eine Wunde, steigt der pH-Wert der Haut auf einen Wert von acht oder höher – der ideale Nährboden für Bakterien. Taylor testete mehrere Früchte und Gemüsesorten. „Ich fand heraus, dass sich Rote-Bete-Saft bei einem pH-Wert von neun dunkelviolett einfärbt“, sagte sie im Interview mit dem Smithsonian Magazine. Ihr war sofort klar: „Rote-Bete-Saft ist genau der richtige Indikator, um Entzündungen zu erkennen.“
Mittlerweile hat Taylor ein Patent für ihre Erfindung beantragt. Medizinerin Chu, die sich seit Jahren für einen gleichberechtigten Zugang zur chirurgischen Versorgung einsetzt, ist von Taylors Initiative beeindruckt. „Dasia Taylor adressiert ein drängendes Problem: Studien haben ergeben, dass in afrikanischen Ländern fast zehn Prozent aller Wundinfektionen zum Tod führen“, sagt Chu.
Einige Barrieren muss Taylors Idee noch nehmen, bis die Rote-Bete-Wundfäden in den OPs Einzug halten. So hapert es etwa noch an der Sterilität der Fäden. Eine weitere Herausforderung: Infektionen können auch unter der Oberfläche einer Wunde auftreten. So wird zum Beispiel bei einer Kaiserschnitt-Operation nicht nur die Haut, sondern auch der darunter liegende Muskel wieder vernäht. Derzeit würde der farbverändernde Faden nicht dabei helfen, dort eine Infektion erkennen. „Wenn der Patient bereits Fieber hat und die Infektion erst dann sichtbar wird, wäre das zu spät", sagt Chu.
Doch Taylor, die inzwischen an der Universität von Iowa „Global Health“ studiert, ist zuversichtlich, dass sie ihre Idee erfolgreich in die Praxis umsetzen wird. „Ich werde nicht nachlassen, bis die Menschen in den ärmeren Ländern, die das Nahtmaterial so dringend brauchen, es tatsächlich bekommen“, sagt Taylor im PBS-Newshour-Interview. Für die junge Frau geht es dabei um mehr als um eine medizinische Erfindung. Es geht ihr darum, lebensrettende Technologien für alle Menschen zugänglich zu machen – unabhängig von Wohlstand und Herkunft.
20 Prozent
der Frauen, die sich in Afrika einem Kaiserschnitt unterziehen, ziehen sich eine Wundinfektion zu.
Quelle: World Health Organisation, 2018
220.000 +
postoperative Wundinfektionen ereignen sich in Deutschland pro Jahr
Quelle: Portal für Medizintechnik
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