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„Von mehr Gleichberechtigung profitieren alle“

Text von Sina Hoffmann
06.02.2024
Gesellschaft

Chantal Korteweg, Director Inclusive Banking and Social Impact bei ABN AMRO, engagiert sich für die finanzielle Gleichberechtigung von Frauen. Im Interview erklärt sie, warum Banken mehr auf die Bedürfnisse von Frauen in der Finanzwelt eingehen und Barrieren beseitigen sollten. 

© Chantal Korteweg
Foto: Chantal Korteweg

Frau Korteweg, Sie setzen sich seit vielen Jahren für die finanzielle Gleichberechtigung von Frauen ein. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?

Die finanzielle Gleichberechtigung und Unabhängigkeit von Frauen zu fördern, ist meine persönliche Mission – eine Überzeugung, die mir bereits in meiner Kindheit mitgegeben wurde. Mein Vater legte bei seiner Erziehung viel Wert darauf, dass meine zwei Geschwister und ich unabhängig werden. Später habe ich Jura studiert, dass zeigt, dass ich mich für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen möchte. 

Welche Vorteile bringt finanzielle Gleichberechtigung mit sich?

Durch mehr Gleichberechtigung entstehen sowohl wirtschaftliche als auch gesellschaftliche Vorteile, wie innovative Geschäftsmodelle, finanzielle Unabhängigkeit und Wohlstand, Wirtschaftswachstum, mehr Arbeitsplätze und Chancengleichheit. Übrigens ist es auch für Banken ein Gewinn, denn sie würden mehr Kundinnen für sich begeistern und ihre Zufriedenheit mit den Produkten erhöhen, da sie mehr auf die Bedürfnisse der Kundinnen eingehen. Von finanzieller Gleichberechtigung profitieren am Ende alle.

Banken haben die gesellschaftliche Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Kundengruppen, denen der Zugang zum Bank- und Finanzwesen derzeit erschwert wird, besser beraten werden.
Chantal Korteweg

Welche Vorurteile begegnen Ihnen beim Thema Frauen und Finanzen?

Ich höre oft, dass Unternehmerinnen sich nicht ernst genommen fühlen, wenn sie einen Kredit bei einer Bank beantragen. Vor Kurzem erzählte mir ein Kundenberater von einer Unternehmerin, die einen Kredit aufnehmen wollte, aber eine zu konservative – man könnte auch sagen realistische – Entwicklungsprognose vorlegte. Ein Mann mit demselben Geschäftsmodell hätte eine bessere Prognose abgegeben und den Kredit bekommen. Das zeigt, wie unterschiedlich Männer und Frauen kommunizieren und wie wenig darauf bisher eingegangen wird.

Sie sind Leiterin des Inclusive-Banking-Teams. Was sind die Aufgaben dieser Abteilung?

Banken haben die gesellschaftliche Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Kundengruppen, denen der Zugang zum Bank- und Finanzwesen derzeit erschwert wird, besser beraten werden. Daher habe ich vor drei Jahren das Inclusive-Banking-Team bei ABN AMRO gegründet. Unsere Aufgabe ist es, die Produkte und Dienstleistungen der Bank für Frauen sowie kulturell diverse Kundengruppen integrativer und zugänglicher zu machen. 

Wie geht das?

Wir konzentrieren uns auf fünf Themenschwerpunkte: Erstens sammeln und analysieren wir Daten über geschlechterspezifische Unterschiede in unserem Portfolio. Wir verändern zweitens unsere Kommunikation, sodass auch Frauen von unseren Marketingkampagnen angesprochen werden. Drittens schulen wir unsere Berater und Beraterinnen, damit sie in ihren Kundengesprächen ein inklusiveres Kundenerlebnis schaffen. Als vierte Maßnahme verbessern wir unsere Angebote für Unternehmerinnen, wohlhabende und vermögende Kundinnen, indem wir ihre Bedürfnisse besser in den Produktlösungen berücksichtigen. Und fünftens bauen wir ein starkes Ökosystem aus verschiedenen Stakeholdern auf, wie NGOs, Ministerien und Finanzinstitute, um Frauen noch mehr zu fördern. 

Wie werden diese Maßnahmen in der Praxis umgesetzt?

Wir vergrößern unter anderem unser Netzwerk für Unternehmerinnen und haben die Dokumentation sowie das Buch „The Guide“ erstellt. Darin erzählen sechs Unternehmerinnen, welchen Herausforderungen sie bei der Unternehmensgründung begegnet sind und wie sie diese gemeistert haben. Im vergangenen Jahr haben wir zudem Online-Bootcamps für Frauen organisiert, um sie mit verschiedenen Investitionsformen vertraut zu machen. Für die bessere Zusammenarbeit mit Stakeholdern haben wir den Code-V „Investing in Women Entrepreneurs“ entwickelt. Dies ist eine Öffentlich-Private Partnerschaft, die wir im Dezember 2023 gemeinsam mit 64 niederländischen Organisationen unterzeichnet haben, um Unternehmerinnen und Gründerinnen in den Niederlanden zu unterstützen sowie sicherzustellen, dass sie mehr Kapital erhalten.

Viele Menschen in Europa denken, dass wir modern sind und eine gleichberechtigte Gesellschaft, aber wir können viel von afrikanischen Ländern lernen.
Chantal Korteweg

In Europa liegt schon ein großer Fokus auf der finanziellen Abhängigkeit. Wie sieht es in ärmeren Regionen Afrikas, Lateinamerikas oder Asiens aus?

Ich habe für die niederländische Entwicklungsbank gearbeitet und bin daher oft in afrikanische Länder gereist. Diese Reisen haben mich inspiriert, denn ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass die Banken in Ländern wie Ghana viel mehr Leistungen für Unternehmerinnen und Gründerinnen anbieten als in Europa. Diese Länder haben längst erkannt, dass die Frau der Eckpfeiler einer Familie ist und sowohl für die Gemeinschaft als auch für das Wirtschaftswachstum eine große Bedeutung hat. Viele Menschen in Europa denken, dass wir modern sind und eine gleichberechtigte Gesellschaft, aber wir können viel von afrikanischen Ländern lernen. Zum Beispiel bietet die Access Bank ein Programm an, das  neben Krediten auch nicht-finanzielle Leistungen wie Fortbildungen und Netzwerkveranstaltungen für Unternehmerinnen enthält. Programme wie diese brauchen wir in Europa auch.

Sie haben 2023 als Frauenbeauftragte der Niederlande vor der UN-Generalversammlung gesprochen. Was war Ihre Kernbotschaft?

Vor dem dritten Ausschuss der UN-Generalversammlung zu sprechen war ein Highlight für mich. In meiner Rede erklärte ich am Beispiel meiner Tochter und meines Sohnes, wie finanzielle Ungleichheit heute immer noch existiert und wie wir das ändern können. Erstens stehen Banken in der Verantwortung, stärker auf Kundinnen und ihre Bedürfnisse einzugehen. Der zweite Akteur sind europäische Aufsichtsbehörden, die von den Banken geschlechterspezifische Daten über ihr Portfolio einfordern sollten. Und drittens sollten öffentliche und private Organisationen enger zusammenarbeiten, um Frauen zu unterstützen.

Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Was bedeutet Ihnen dieser Tag?

Für mich ist der Internationale Frauentag ein fröhlicher und hoffnungsvoller Tag, an dem wir die Emanzipation der Frauen feiern. Dass wir diesen Tag brauchen, zeigt aber auch, dass unsere Gesellschaft noch weit von der Gleichberechtigung von Männern und Frauen entfernt ist. Daher müssen wir auf diese Lücke aufmerksam machen und auch die Männer einbeziehen. Uns muss klar sein: Männer und Frauen können dieses Ziel nur gemeinsam erreichen.

Zur Person:
Chantal Korteweg wuchs in England und in den Niederlanden auf. Nach einem Jurastudium begann sie ihre Karriere als Rechtsanwältin und arbeitete dann 13 Jahre lang in verschiedenen Funktionen für die niederländische Entwicklungsbank FMO. Aktuell setzt sich die 45-Jährige als Director Inclusive Banking and Social Impact bei der niederländischen Bank ABN AMRO dafür ein, Bankdienstleistungen für Frauen und kulturell diverse Gruppen zugänglicher zu machen. Im Jahr 2023 wurde Korteweg zur niederländischen UN-Frauenbeauftragten ernannt und hielt eine Rede über finanzielle Gleichberechtigung vor dem dritten Ausschuss der UN-Generalversammlung.

131 Jahre
wird es noch dauern, bis Frauen auf der ganzen Welt gleichberechtigt sind.
Quelle: World Economic Forum

800 Milliarden US-Dollar
Gewinn lassen sich Finanzinstitute weltweit entgehen, weil sie keine Services für Frauen anbieten.
Quelle: Sparkassen Innovation Hub 

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