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„Die Privilegien des Autos beschneiden“

Text von Selma Schmitt
05.08.2022
Gesellschaft

Professor Andreas Knie ist Sozialwissenschaftler an der Technischen Universität Berlin und forscht zu Verkehrs- und Technologiepolitik. In einem vielbeachteten „Manifest“ hat er gefordert, den privaten Besitz von Pkws streng zu regulieren. Im Interview erklärt er, was es damit auf sich hat.

© David Aussenhofer
Foto: David Aussenhofer

Herr Knie, in Ihrem „Manifest der freien Straßen“ fordern Sie, Autos zu „entprivatisieren“ und sie häufiger zu teilen. Warum?

Andres Knie: Autos stehen 96 Prozent der Zeit ungenutzt herum, und selbst wenn sie fahren, transportieren sie meistens nur eine Person. Zusätzlich verstopfen sie in Städten den sowieso schon knappen Raum, ob durch Stau oder weil sie Wege zuparken. Das ist ineffizient und nicht mehr zeitgemäß. Nicht jeder braucht einen eigenen Wagen vor der Tür. Das würde das Klima schonen und die Luft verbessern. Wir könnten versiegelte Flächen wie Straßen wieder öffnen. In den Städten gäbe es viel mehr Raum zum Leben. Das würde eine ganz neue Lebensqualität bieten, insbesondere für das Stadtleben.

Kann das denn funktionieren? Eine Stadt ganz ohne private Pkws?

In den Großstädten haben wir alles, was wir für ein autofreies Leben brauchen: Busse, Bahnen, Fahrräder, Roller und Carsharing. Jetzt müssen wir anfangen, diese auch zu nutzen. Wenn die Mehrheit mit Fahrrad und Bahn statt mit dem Auto fährt, würde das schon einen großen Unterschied machen. Wären dann noch alle Angebote bei einem Anbieter verfügbar, könnten Nutzer sie über einen Stammaccount abrufen. Dann ließen sich die verschiedenen Verkehrsmittel auch kombinieren. Ich will Autos ja auch gar nicht komplett abschaffen. Große Einkäufe zum Beispiel kann man nicht mit den Alternativen machen. Aber für diese Gelegenheiten braucht man kein eigenes Auto, sondern kann sich eines mieten.

Was ist mit Personengruppen, die auf ein Auto angewiesen sind? Also beispielsweise Handwerker, Rettungsdienste oder mobile Pflegekräfte?

Wer nachweislich ein Auto braucht, soll es weiter besitzen dürfen. Im Handwerk und bei Rettungsdiensten liegt das auf der Hand. Anders ist es bei Pflegekräften und Vertriebsmitarbeitern - sie könnten einige Strecken sicherlich auch anders zurücklegen.

Das Statistische Bundesamt ermittelte für das Jahr 2019 bundesweit 569 Pkw je 1.000 Einwohner. Öffentliche Verkehrsmittel sind vielleicht in der Stadt eine gute Möglichkeit, um diese Zahl zu reduzieren. Aber wie ist das auf dem Land, wo der Bus in manchen Orten nur einmal am Tag kommt?

Auch auf dem Land ist unsere Autonutzung nicht effizient. Dort zählen wir im Durchschnitt 700 Autos auf 1.000 Einwohner. Hier müssen wir das Alternativangebot allerdings erst noch ausbauen. Ein Anfang könnten Carpooling-Apps sein, in denen Autobesitzer anbieten, jemanden mitzunehmen. Im Gegenzug müssten sie einen finanziellen Ausgleich erhalten: beispielsweise 50 Cent pro Carpooling-Kilometer. Das wäre schon ein Anreiz, jemanden mitzunehmen, und wir müssten nicht nur ans gute Gewissen appellieren. Für eine Strecke von zehn Kilometern wären das immerhin schon fünf Euro. Damit es nicht zu teuer für die Verbraucher wird, könnte der Staat subventionieren.

Dann muss ich als Fahrer aber bereit sein, einen Umweg zu machen, um meinen Mitfahrer abzusetzen.

Klar, wir müssen unsere Einstellung zum Fahren verändern, es geht dann nicht immer direkt von A nach B, total flexibel. Aber wir gewinnen auch neue Freiheiten hinzu: Sei es der finanzielle Ausgleich oder auch, dass wir auf das Bierchen am Abend nicht mehr verzichten müssen, weil ein anderer fährt.

Ihr „Manifest“ liest sich ganz schön dogmatisch, manch einer würde sogar sagen: extrem. Können Sie das verstehen?

Nein. Unser Manifest ist ein Aufschrei, etwas zu ändern und genau das brauchen wir im Moment. Wir haben noch immer politische Rahmenbedingungen, die den privaten Autobesitz beispielsweise über die Steuererleichterung für Dienstwagen und Sprit fördern. Das muss sich ändern!

Was fordern Sie konkret von der Politik?

Ein Anfang wäre es, die Privilegien des Autos zu beschneiden. Steuererleichterungen, Dienstwagenprivilegien und Co. müssen weg. In Städten könnten wir zusätzlich das Parken im öffentlichen Raum verbieten. Nur, wer ein Auto nachweislich für seinen Job braucht oder einen Stellplatz hat, dürfte sein Auto dann noch in der Stadt parken. Öffentliche Stellplätze zum Parken dürfte es dann nicht mehr in der Stadt geben, das Anhalten ist nur noch für Be- und Entladen erlaubt. Wenn wir dann noch zusätzlich das Angebot an alternativen Fortbewegungsmitteln ausbauen, sind wir auf einem guten Weg. Dann fehlen nur noch mutige Kommunen, die vorangehen und den anderen zeigen, dass es auch mit weniger privaten Autos geht.

Im Moment besitzt mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland ein Auto. Glauben Sie nicht, dass die sich wehren würden?

Aus meinem unmittelbaren Umfeld bekomme ich schon seit Jahren nur positive Rückmeldung zu dem Thema. Aber klar, es gibt auch Gegenwind, vor allem dann, wenn es um konkrete Einschränkungen geht. In Berlin bereiten wir beispielsweise gerade zusammen mit dem Bezirksamt Friedrichshain- Kreuzberg einen Versuch vor, bei dem wir das Parken in dem Kiez für sechs Monate verbieten – auch für Anwohner. Das finden viele im ersten Moment nicht so toll. Es wird sich zeigen, wie die Anwohner es erleben, wenn sie etwas weiter weg parken müssen. Dafür haben sie dann aber auch eine freie Straße mit viel mehr Platz.

Warum fällt vielen das Loslassen so schwer?

Deutschland war bis in die 1980er-Jahre ein Autoland. Das merkt man noch heute an der Semantik. Wir fragen: Wo parkst du? Statt: Wo steht dein Auto? Viele Babyboomer, insbesondere Männer, haben zudem eine sehr emotionale Bindung zu ihrem Fahrzeug, weil es für sie Freiheit und Wohlstand symbolisiert. Angesichts der Abgase und der Platzverschwendung ist das aber nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen ein Umdenken, müssen das Auto mehr als Mittel zum Zweck sehen.

Die deutsche Autoindustrie steht sehr stark für hochmotorisierte Premiummodelle. Ist in Ihrer Vision noch Platz für SUVs und Sportwagen?

Ja, sicher. Schon heute gibt es beim Carsharing verschiedene Modelle, aus denen man auswählen kann. Wer dann unbedingt einen Porsche fahren will, zahlt eben einen Aufpreis. Ich merke aber, dass jungen Erwachsenen solche Statussymbole nicht mehr so wichtig ist. Die Mehrheit von ihnen hat nicht mehr diese ikonische Liebe zum Auto. Sie kennen die einzelnen Modelle gar nicht, wissen nicht, wie viel Hubraum oder Zylinder ein Wagen hat, auch Automarken spielen für sie keine große Rolle. Das wird es in Zukunft leichter machen, uns vom Auto zu entwöhnen.

45 Prozent
der Deutschen sind für autofreie Innenstädte
Quelle: YouGov 2021

41,7 Prozent
der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre nutzt täglich oder fast täglich ein Auto als Fahrer oder Mitfahrer.
Quelle: Verbrauchs- und Medienanalyse VuMA, 2022

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