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„Als ich selbst Führungskraft wurde, habe ich begriffen, dass sich das System ändern muss“

Text von Mia Pankoke
03.03.2022
Gesellschaft

Ana-Cristina Grohnert setzt sich als Vorstandsvorsitzende des Vereins Charta der Vielfalt für mehr Diversität in Unternehmen ein. Grohnert weiß, wovon sie spricht: Von 2017 bis 2019 war sie im Vorstand der Allianz Deutschland AG und musste immer wieder Skepsis und Vorurteile überwinden. Welche Erfahrungen sie gemacht hat – und wie sie über moderne Führung denkt.

© Dominik Butzmann
Foto: Dominik Butzmann

Te:nor: Frau Grohnert, Sie setzen sich seit Jahren für Diversität und Chancengleichheit ein. Diese Debatte ist von Klischees geprägt. Welche davon können Sie nicht mehr hören?

Ana-Cristina Grohnert: Mich nervt, dass die Diskussion um das Thema Vielfalt immer noch so verkürzt wird. Echte Diversität am Arbeitsplatz zu ermöglichen, heißt sichere Räume zu schaffen. Es geht nicht darum, hübsche Werbekampagnen zu starten. Alle Beschäftigten müssen ihre Identität, die aus Erfahrungen, Schwierigkeiten und der eigenen Vergangenheit besteht, ausleben können, ohne dafür benachteiligt zu werden. Außerdem werden Diversitätsinitiativen immer noch oft als Wohlfahrt oder als Image-Thema dargestellt. Dabei ist Vielfalt ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen. Es geht ums knallharte Geschäft.

Wie sieht denn eine Unternehmenskultur aus, die echte Vielfalt ermöglicht?

Am Arbeitsplatz sollte jeder und jede das eigene Potenzial maximal ausschöpfen können und sich dabei wohlfühlen. Was dem oft im Weg steht, ist die Denkweise, nur das eigene Lebensmodell sei das richtige. Außerdem haben viele Menschen sehr festgelegte Vorstellungen davon, wie Karriere, Erfolg und Führung angeblich auszusehen haben. Ich habe mich selbst oft Vorurteilen angepasst und dann gemerkt, wie ich darauf reduziert wurde. Diese Schablonen müssen wir ablegen. Es darf nicht sein, dass Menschen sich verbiegen, um Karriere zu machen. Wir müssen Identitäten als Wert verstehen. 

Sie haben selbst in der obersten Liga der deutschen Wirtschaft mitgespielt. Wann wussten Sie, dass Sie sich für Diversität einsetzen wollen?

Die ersten zehn Jahre meiner Karriere in Banken und der Unternehmensberatung waren ein Überlebenskampf. Ich war immer die einzige Frau im Raum und dazu noch blond und langhaarig. Dass ich trotzdem kompetent war, musste ich jeden Tag aufs Neue beweisen. Im Vergleich zu meinen männlichen Kollegen hatte ich in jedem Moment schneller und besser zu sein. Als ich dann Kinder bekam, wurde mir noch eindrücklicher klar, wie starr und verstaubt die Strukturen waren. Die Mute-Taste war mein bester Freund in Video-Meetings, weil oft ein Kind hereinkam und ich nicht offen damit umgehen konnte. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Ausreden ich mir einfallen lassen musste. Der Anruf eines wichtigen Kunden war ein legitimer Grund, ein Meeting zu verlassen. Dass mein Kind Hilfe brauchte aber nicht. Als ich dann selbst Führungskraft wurde, haben sich diese Erfahrungen entladen und ich habe begriffen, dass sich das System ändern muss.

Was haben Sie dafür getan?

Als Managing Partnerin bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hatte ich die Chance, eine ganz neue Leadership-Kultur herzustellen. Ich habe mich für mehr Diversität eingesetzt und mich bemüht, eine nahbare Führungskraft zu sein. Wichtig war, Flexibilität zu ermöglichen. Ich wollte nicht, dass andere ihr Leben so verstecken müssen, wie ich es jahrelang getan hatte.

Und wie waren die Reaktionen?

Ich habe oft erlebt, dass Kolleg:innen sich im ersten Moment erschraken, wenn ich Gefühle zeigte und authentisch war. Am Ende waren es aber sogar die Senior-Manager:innen, die mit Wünschen und Sorgen zu mir kamen. Mit Themen wie Überlastung oder Elternzeit hatten sie sich zuvor nie an die männlichen Partner gewandt, denn in einer Kultur, in der nur Performance zählt, ist offener Austausch unmöglich. Es gab auch schwierige Momente. Zum Beispiel eine große Leadership-Veranstaltung, die ich zum Thema Flexibilität organisiert hatte. Mein Plan war zu zeigen, wie gestrig viele Vorgaben waren, und ich hatte bereits belegt, wie viel profitabler diverse Strukturen sind. Ein Teilnehmer machte dann aber einen Witz über Sabbaticals, über den laut gelacht wurde, und alle, die meine Meinung teilten, waren still. So gingen meine Argumente völlig unter. Da souverän zu bleiben, war hart.

Sie haben schon mehrere Studien mitveröffentlicht und ein Buch über Diversität und nachhaltiges Wirtschaften geschrieben. Die Entwicklung haben Sie also gut im Auge. Hat sich in diesem Punkt in den Köpfen etwas getan?

Ja, unheimlich viel. Die meisten Menschen sind nicht mehr bereit, sich mit Benachteiligung zufrieden zu geben. Aber die Frage ist jetzt, wie weit wir in der Lage sind, dieses Bewusstsein zu nutzen und anders zu agieren. In diesem Punkt merke ich, dass eine gewisse Müdigkeit dem Thema gegenüber aufkommt, obwohl es natürlich unheimlich wichtig bleibt.

Zumindest in DAX-Unternehmen gab es im vergangenen Jahr einen Zuwachs bei Frauen in den Vorständen, ihr Anteil stieg von 15,3 auf 19,1 Prozent. Dass das der gesetzlichen Quote zu verdanken ist, zeigt der MDAX. Hier sind viele Unternehmen von der Quote ausgenommen, und der Frauenanteil stieg im vergangenen Jahr nur minimal von 11 auf 11,7 Prozent. Warum ändert sich offenbar erst mit gesetzlichem Zwang etwas?

Vor der Einführung der Quote haben wir gesehen, dass viele Unternehmen sich Ziele setzten, die sie dann nicht einhielten. Offenbar ist es ganz gleich, wie oft die Fakten wiederholt und mit Chancengleichheit argumentiert wird. Gleich und gleich gesellt sich eben zu gern. Dank der Quote ist zumindest das blödsinnige Argument, Frauen seien nicht qualifiziert, vom Tisch. Das Problem ist nicht, dass Frauen nicht qualifiziert sind, sondern dass es ungleich schwerer für sie ist, Karriere zu machen. Ich spreche von der berühmten gläsernen Decke. Die Quote hat einmal mehr verdeutlicht, dass es eine diverse Besetzung im ganzen Unternehmen baucht. Sonst darf man sich nicht wundern, wenn man in den eigenen Reihen keine geeigneten Kandidatinnen für den Vorstand findet. Angesichts des Fachkräftemangels können sich Unternehmen veraltete Kultur aber auch nicht mehr leisten. Diese Diskussion wird der nächste Schritt sein, um auch die letzten Skeptiker zu überzeugen.   

Warum das?

Unternehmen müssen diverser rekrutieren und eine wertschätzende Atmosphäre schaffen, sonst werden sie schon bald nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Gerade junge Menschen wollen sich bei der Arbeit entfalten und einbringen. Eine Unternehmenskultur, die das verhindert, ist ein Wettbewerbsnachteil.

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