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Nussbaum trifft Edelstahl

Text von Geraldine Friedrich
29.09.2022
Unternehmen

Sie besteht aus 318 Einzelteilen und wird in der Schweiz von Hand zusammengesetzt: die Espressomaschine ZURIGA.

Eine riesige Fabrikhalle im Züricher Stadtteil Altstetten, der Bau aus beigen Klinkern und hohen Fenstern verströmt Industrieromantik. Von oben scheint die Sonne durch das transparente Dach. Vor zehn Jahren reparierten die Schweizer Bundesbahnen (SBB) hier noch ihre Eisenbahnwaggons, einige Bahnschienen zeugen noch von der Vergangenheit. Heute ist das Innere eine riesige Baustelle, in der Arbeiter sägen und schweißen. In wenigen Jahren soll die Industriebrache viele kleine Handwerksbetriebe beherbergen.

Moritz Güttinger, Gründer der Espressomaschinen-Manufaktur ZURIGA, findet das gut. Schließlich ist er als Inhaber einer Manufaktur („manus“ lateinisch für „Hand“ und „facere“ lateinisch für „machen“, „herstellen“) selbst oberster Handwerker. Und für den Espressomaschinen-Bauer sind 600 Quadratmeter des 100 Jahre alten SBB-Gebäudes bereits seit 2016 Heimat.

„In den letzten Jahren hat man die Handwerker immer weiter in die Außenbezirke verdrängt.“ Die Mieten in den Innenstädten wurden für die typischen städtischen Handwerksbetriebe zu teuer. Das soll sich nun ändern. „Die Stadt Zürich hat erkannt, dass Handwerksbetriebe innerstädtische Viertel lebenswerter machen. Die Einwohner wollen in der Innenstadt eben nicht nur Banken und Modeketten.“
Firmensitz in alter SBB-Fabrikhalle

Besucher betreten den Betrieb durch einen Seiteneingang und stehen gleich mitten im Geschehen. Eine Mitarbeiterin verpackt gerade Espressomaschinen und Kaffeemühlen in Kartons. Der Firmenname ist ein Kunstwort, das laut dem Gründer an „Züricherin“ auf Italienisch erinnern soll – korrekt übersetzt hieße es dann aber „Zurigesa“. Güttinger, mit braunem Wuschelkopf, steht in schwarzer Jeans, weißem T-Shirt und neongrünen Turnschuhen neben den Kartonstapeln und dreht auf einer alten Werkbank den Dampfhahn seiner Espressomaschine bedächtig hin und her: „Wollen wir erst einmal einen Kaffee trinken?“

Genau so, mit einem Espresso aus einer Kolbenmaschine, beginnt vor sieben Jahren die ZURIGA-Story, allerdings mit einem, der dem Firmengründer nicht schmeckt. Daraufhin schraubt der Umweltingenieur seine gekaufte Espressomaschine auf und ist überrascht: „Mein erster Gedanke war: Meine Güte, ist das alles billig verarbeitet.“

Was folgt, ist eine klassische Start-up-Geschichte. Der Ingenieur kratzt seine Ersparnisse – und die seiner heutigen Frau – zusammen. 100.000 Schweizer Franken braucht man, um in der Schweiz eine AG zu gründen. Mit dem Startkapital beauftragt Güttinger eine Produktdesignerin und einen Ingenieur, um gemeinsam den ersten Prototyp zu entwickeln. Als die Ur-ZURIGA-Espressomaschine steht, ist das Geld zwar aufgebraucht, aber noch keine einzige Maschine verkauft.

Der Familienvater startet daraufhin Ende September 2016 seine erste Crowdfunding-Kampagne. Sein Ziel ist es zunächst, 30 Espressomaschinen für jeweils 1.000 Franken zu verkaufen. Er verweist in der Projektbeschreibung auf hochwertige Materialien: Gehäuse aus gebürstetem Edelstahl, ein Wassertank aus Glas, Deckel und Griff aus Nussbaum – und das alles made in Switzerland. Einzelne Teile liefert eine soziale Institution zu.

Die meisten Komponenten wie die Chrom- und Aluelemente fürs Gehäuse kommen aus der Schweiz, der Siebträger stammt aus dem Piemont. Das kommt bei der Zielgruppe an, laut dem ZURIGA-Chef waren die 30 Maschinen innerhalb von fünf Minuten ausverkauft.

Der 38-Jährige mit Abschluss an der ETH Zürich hat damals eine gut dotierte Stelle in der Energiebranche. Sieben Tage nach dem erfolgreichen Crowdfunding kündigt er seinen Job.

Vom Angestelltendasein ins Unternehmertum

Mit der erfolgreichen Vorfinanzierung kommt aber auch der Druck – oder, wie Güttinger es beschreibt, „das Tal der Tränen“. Er hat zwar 30.000 Franken von Menschen eingenommen, die ihm und seinen Fertigkeiten vertrauen. Nun muss er die Espressomaschinen an seine Besteller aber auch bis Weihnachten 2016 liefern: „In drei Monaten aus dem Prototyp eine funktionierende und marktfähige Espressomaschine zu bauen: Das war richtig schwer und hat am Schluss auch länger gedauert.“ Dass er dabei festgestellt hat, dass der Preis von 1.000 Schweizer Franken die Kosten nicht deckt, bezeichnet er im Nachhinein als seine größte Niederlage.

Gar nicht schwer fiel es ihm dagegen, seinen Job zu kündigen. „Viele aus meinem Umfeld beglückwünschten mich zu meinem Mut. Dabei: Hätte es nicht geklappt, wäre ich doch dank meiner Ausbildung in kurzer Zeit wieder irgendwo untergekommen“, relativiert Güttinger seinen gewagten Weg ins Unternehmertum.

2016 sind es noch 30 Espressomaschinen ohne Dampffunktion zum Milchaufschäumen; inzwischen verkauft ZURIGA mehrere Tausend Geräte pro Jahr. Die edlen Materialien sind genauso geblieben wie das schnörkellose Design und die runden Preise: Die Espressomaschine ohne Dampffunktion kostet 1.500 Franken, mit Dampf 1.800 Franken, die Mühle liegt bei 1.000 Franken. Jede einzelne Maschine wird auf dem Werksgelände in Altstetten von Hand montiert, pro Gerät dauert das weniger als zwei Stunden.

Heute erzielt das Unternehmen mit 30 Mitarbeitern einen Jahresumsatz im mittleren einstelligen Millionenbereich, genauer wird Güttinger nicht: „Wir werden oft unterschätzt und das soll auch so bleiben.“ Er werde immer noch gefragt, ob er seine Kaffeemaschinen-Manufaktur hauptberuflich betreibe. „Das hat etwas von ‚gönnerhaft auf den Kopf tätscheln‘. Dagegen wehren wir uns nicht.“ Interessant: Seit Eröffnung des zweiten Stores (nach Zürich) in München im April 2022 ist Deutschland bereits zum wichtigsten Absatzmarkt geworden – vor der Schweiz.

Kaffee für Pragmatiker

Seine Zielgruppe beschreibt Güttinger als Menschen, die guten Kaffee mögen, aber danach über etwas anderes reden wollen: „Mir selbst geht das nicht nur beim Kaffee so, sondern auch beim Wein. Ich will nicht den billigsten Wein trinken, aber ich will mich auch nicht stundenlang damit beschäftigen, ob jetzt eher die Erdbeer- oder die Steinfruchtaromen dominieren. Wer unbedingt Erdbeeren will, soll halt Erdbeeren essen.“

Und wie alle Unternehmer hat er auch Ideen, wo die Reise mit ZURIGA noch hingehen könnte: „Ich glaube, die meisten wollen keine Maschine kaufen, um sie zu besitzen, sondern einfach um guten Kaffee zu trinken.“ Schon heute können Kunden für eine jährliche Flatrate von 100 Franken das Rundum-sorglos-Paket buchen und die Maschine einschicken, wenn etwas kaputt ist. Jedes einzelne Teil kann separat ersetzt werden. Die Idee sei, dass so eine Maschine ein Leben lang halte und kaputte Teile so weit wie möglich recycelt würden.

Güttinger steht auf einer Treppe im zweiten Stock, hält eine ZURIGA unter den Arm geklemmt und scherzt mit dem Fotografen: „Ewig kann ich sie nicht so halten.“ Mit neun Kilogramm hat die Maschine in etwa das Gewicht eines einjährigen Kleinkinds, das liegt natürlich auch am Material: Glas wiegt eben mehr als Plastik. Der inzwischen dreifache Familienvater glaubt, dass die Herstellung, egal von was, langfristig nur mit einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft gelingt: „Irgendwann wird es nicht mehr erlaubt sein, Geräte zu verkaufen, die man nicht reparieren kann.“ Auch wenn ZURIGA diese „Kreislauffähigkeit“ deutlich mehr kostet. „Auf diesen Wandel wollen wir vorbereitet sein. Und das ist nicht nur eine gesellschaftliche Verantwortung, sondern ganz sicher auch unternehmerisch clever.“

Dieser Artikel ist zuerst in Character erschienen, dem Gesellschaftsmagazin der Bethmann Bank. Auf unserer Webseite finden Sie mehr Informationen zur aktuellen Ausgabe.

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