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Windkraft vom Dach

Text von Johanna Stein
14.11.2022
Unternehmen

Leise, effektiv und umweltschonend sollen die Windboxen des französischen Start-ups Wind my Roof sein. Auf den Dächern der Städte produzieren sie Strom mit einem Mix aus Wind- und Solarkraft.

Rouen, Rue Galilée, Hausnummer 22 bis 24. Wenn der Blick an dem zehnstöckigen Wohnhaus entlanggleitet, bleibt er unweigerlich am Rand des Flachdaches hängen. Acht kleine Boxen sind dort zu sehen, die zunächst an Altkleidercontainer erinnern. Doch statt gebrauchter Kleidung sammeln die Kisten Wind und machen daraus Strom.

Bei den Metallkisten handelt es sich um sogenannte Windboxen des französischen Start-ups Wind my Roof. Zusammengenommen sollen die acht Container etwa 14.000 Kilowattstunden Energie pro Jahr liefern. Damit versorgen sie in den kommenden zwanzig Jahren die öffentlichen Bereiche des Wohngebäude mit Strom zur Beleuchtung der Flure oder zum Betrieb der vier Aufzüge. Dies wirkt sich positiv auf die Nebenkostenabrechnung der Mieter aus: Einer ersten Hochrechnung zufolge spart jeder der 84 Haushalte jährlich etwa 50 Euro ein.

Die Windbox ist eine Entwicklung von Antoine Brichot und Yanis Maacha. Im Jahr 2018 haben sich die beiden Franzosen, die Mechanik an der École de Ponts in Paris studierten, zusammengetan. Ihre Idee, die sie sich inzwischen patentieren ließen, ist simpel, aber effektiv: Im Inneren der Kiste befindet sich eine Turbine, die langsam im Wind rotiert und so Strom erzeugt. Maximal zwei Umdrehungen pro Sekunde schafft die Turbine. Deshalb ist sie relativ leise. Bereits ab einem Abstand von zwei Metern ist schon kein Dezibel mehr messbar. Schnellfall bringt es auf etwa zehn Dezibel.

Die Gesamtleistung der Windbox setzt sich aus etwa Zweidrittel Windenergie und einem Drittel Solarenergie zusammen, denn auf der Oberseite haben Brichot und Maacha noch ein Solarpaneel installiert. „Je nach Wetterbedingungen kann eine Windbox bis zu 2.500 Kilowattstunden Strom im Jahr erzeugen“, berichtet Mathis Greve, Unternehmensentwickler von Wind my Roof. Zum Vergleich: Ein Ein-Personen-Haushalt verbraucht im Durchschnitt etwa 2.000 Kilowattstunden jährlich, ein Vier-Personen-Haushalt rund 4.000 Kilowattstunden. Bislang vertreibt das Unternehmen allerdings keine einzelnen Boxen. „Wir installieren sie mindestens in Fünfer-Sets“, sagt Greve.

Eine Windbox nimmt rund vier Quadratmeter Platz ein und ist anderthalb Meter hoch. Damit eignet sich die Energiequelle vor allem für kleine Dächer. Photovoltaikanlagen benötigen für dieselbe Stromleistung in der Regel mehr als das Doppelte der Fläche. Die Windboxen sind bislang jedoch deutlich teurer. Sie kosten derzeit 6.500 Euro pro Stück – also rund dreimal so viel wie eine vergleichbare Photovoltaikanlage. Dazu kommen noch hohe Kosten für den Transport und die Installation, denn die 350 Kilogramm schweren Container müssen irgendwie aufs Dach.

Immerhin: Käufer in Europa dürfen für die Installation ihrer Windboxen mit Fördermitteln rechnen. Auch in Deutschland können die Besitzer im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes einen entsprechenden Antrag stellen. Zusätzlich vergibt die staatliche Förderbank KfW günstige Kredite für den Bau von Erneuerbare-Energie-Anlagen, die Windboxen sind hier eingeschlossen.

Doch längst nicht für jeden Immobilienbesitzer, der selbst Strom produzieren will, kommen Windboxen als Energiequelle infrage. Ein Gebäude muss nämlich mehrere Kriterien erfüllen, damit die kleinen Windfänger effizient arbeiten können. Erstens muss vor Ort genug Wind wehen. Ob das der Fall ist, lässt sich zum Beispiel über die Karte des Global Wind Atlas  herausfinden. Zweitens lohnt sich die Installation erst ab einer Gebäudehöhe von circa acht Metern. Der Grund: Je höher das Gebäude ist, desto stärker ist der Aufwind an der Fassade und desto höher fällt am Ende auch der Ertrag der Windkraftanlage aus. Dabei ist es von Vorteil, wenn drittens mindestens eine Fassade so ausgerichtet ist, dass regelmäßig Wind auf sie trifft. Und zu guter Letzt darf die Bebauungsdichte rings um das Gebäude herum nicht zu hoch sein – andere Häuser verringern meist die Windgeschwindigkeit oder beeinflussen die Strömung.

Um die Entwicklung der Windboxen voranzutreiben, arbeiteten Brichot und Maacha eng mit dem französischen Ingenieurdienstleister Segula zusammen. Gemeinsam testeten sie die Turbine bei verschiedenen Windstärken, optimierten den Prototypen der Windbox und suchten geeignete Zulieferer für die Bauteile aus. Die Ergebnisse der Zusammenarbeit können sich sehen lassen: Die Module halten Windgeschwindigkeiten von maximal 180 Stundenkilometern und Temperaturen von bis zu minus 15 Grad Celsius aus. Zudem stellen die umhüllten Turbinen keine Gefahr für Vögel dar: Durch die Abdeckung können diese das Hindernis nämlich frühzeitig erkennen; im Gegensatz zu konventionellen Windrädern.

Seit Anfang 2022 sind die Windboxen von Wind my Roof nun auf dem Markt. „Die Phase der industriellen Produktion hat begonnen“, sagt Emilie Dubos von Segula. Gleichzeitig arbeiten die Ingenieure fleißig an der Optimierung. Die betrifft vor allem zwei Punkte: „Wir wollen die Leistung der Windboxen verbessern, sie sollen also noch mehr Strom produzieren“, sagt Dubos. Außerdem überarbeiten sie die Form der Container. Künftig sollen diese nicht mehr so klobig aussehen, sondern sich besser ins Stadtbild einfügen. Sogar andere Farben können sich die Wind my Roof-Gründer vorstellen. Dann sehen die Windboxen vielleicht auch nicht mehr wie Altkleidercontainer aus.

420 Gramm
CO2-Äquivalent an Emissionen verursacht eine Kilowattstunde Strom in Deutschland.

25 Gramm
CO2-Äquivalent stoßen die Windboxen pro Kilowattstunde aus, wenn sie 20 Jahre lang Strom produzieren.

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