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Die Windfänger

Text von Marie Welling
26.06.2023
Unternehmen

Für die Klimawende setzt eine nordische Firma auf eine Konstruktion aus 126 Turbinen. CEO Ole Heggheim erklärt im Interview, die Vorteile der Technologie.

Das norwegische Start-up Wind Catching Systems hat eine Windkraftanlage entwickelt, die die Energieausbeute auf dem Meer um das 2,5-fache erhöhen soll: Statt einzelne Windräder aufzubauen, ordnet das Unternehmen auf einem schwimmenden Ponton 126 kleinere Turbinen über- und nebeneinander gitterförmig an. Das soll nicht nur effizienter sein, sondern auch Platz sparen.

So hoch wie der Eifelturm, so lang wie ein Kreuzfahrtschiff

Beim Thema Windenergie denken wir automatisch an konventionelle Windräder: Groß, weiß, mit langen Rotorblättern drehen sie sich und ernten Wind für die Klimawende. Wind Catching Systems hat sich von der Idee einer Riesenwindmühle zu Wasser verabschiedet. „Wir haben gemerkt, dass viele Entwickler im Wasser die gleiche Technologie nutzen wie an Land. Das haben wir von Grund auf in Frage gestellt“, sagt CEO Ole Heggheim, der 2017 gemeinsam mit Asbjørn Nes und Arthur Kordt das Unternehmen gründete. Laut Planung soll das schwimmende Konstrukt 300 Meter in die Höhe ragen, also so hoch wie der Eifelturm. Zudem kommt es auf eine Länge von 350 Metern und ist damit nur zwölf Meter kürzer als die „Wonder of the Seas“, das derzeit größte Kreuzfahrtschiff der Welt, das immerhin 7.000 Passagieren Platz bietet.

Heggheim verspricht: Ein Windfänger kann 80.000 Haushalte mit Strom versorgen. Und fünf solcher Konstruktionen könnten in Zukunft das leisten, was 25 konventionelle Turbinen in einem Offshore-Windpark an Energie produzieren. Das ist nicht nur effizienter, sondern nimmt auch weniger Platz ein. Heggheim rechnet vor: Seine Windfänger brauchen nur ein Fünftel der Fläche, die ein Offshore-Windpark mit vergleichbarer Leistung braucht. Zudem sollen sie mit einer Lebensdauer von rund 50 Jahren deutlich länger arbeiten als ein herkömmliches Windrad, dessen durchschnittliche Lebenszeit nur zwanzig bis dreißig Jahre beträgt, bevor es zurückgebaut werden muss.

Finanzielle Unterstützung aus Europa und den USA

Das Vorhaben hat schon Investoren gefunden, sowohl von staatlicher Seite als auch aus der freien Wirtschaft: Neben dem US-Automobilkonzern General Motors bezuschusst auch das norwegische Regierungsunternehmen Enova mit 2,8 Millionen Euro die Windfänger. Eonva-CEO Nils Kristian Nakstad ist gespannt auf die Fortschritte in den nächsten Monaten: „Gelingt es dem Unternehmen, die Turbine erfolgreich zu testen, bietet sich damit eine kostengünstigere und nachhaltigere Lösung für schwimmende Offshore-Windkraftanlagen.“ Ob der Praxistest gelingt? Clemens Jauch, Experte für Windenergietechnik an der Technischen Hochschule in Flensburg, erinnert an die physikalischen Grenzen von Windrädern: „Es gibt ein Maximum, wie viel Energie wir dem Wind entziehen können. Ob mit der Technologie tatsächlich die 2,5-fache Menge Energie generiert werden kann, bleibt abzuwarten“, sagt Jauch.

Heggheim glaubt fest daran, dass die Idee funktionieren wird. „Die Turbinen haben kürzere Rotorblätter und können somit auch bei höheren Windgeschwindigkeiten Strom gewinnen“, sagt Heggheim. Während konventionelle Rotoren bereits ab einer Windgeschwindigkeit von 43 Kilometer pro Stunde heruntergeregelt werden müssen, damit keine Schäden entstehen, sollen die Windfänger bis zu 61 Kilometer pro Stunde aushalten. Und: Sie beginnen bereits bei einer lauen Brise von sieben Kilometern pro Stunde mit ihrer Arbeit. Das sieht bei herkömmlichen Anlagen ebenfalls anders aus: Sie brauchen mindestens die doppelte Windgeschwindigkeit, damit sie anfangen sich zu drehen.

Praxistest vor der norwegischen Westküste geplant

Zurzeit wartet Wind Catching Systems noch auf eine Genehmigung der norwegischen Regierung für eine Demonstrationsfläche im Europäischen Nordmeer, das an die Nordsee angrenzt. Die Fläche soll 47 Kilometer von der norwegischen Küste entfernt liegen, etwa auf der Höhe des kleinen Orts Fræna, rund 200 Kilometer südwestlich von Trondheim. Bevor der komplette Windfänger mit 126 Turbinen an die Arbeit geht, will das Unternehmen kleinere Zwischenmodelle ausprobieren. „Ziel ist es, dass wir im Jahr 2026 ein Pilotprojekt mit zehn bis zwölf Turbinen testen“, sagt Heggheim. Dann folgt ein Zwischenmodell mit 40 Turbinen, bevor es ans große Ganze geht.

Wie sich die Windfänger mit der Umwelt vertragen und ob er glaubt, dass wir die Klimawende schaffen werden, erklärt Ole Heggheim im Kurzinterview:

Herr Heggheim, Windräder sind zwar ein wichtiger Bestandteil der Klimawende, stoßen aber bei Umweltschützern häufig auf Kritik, weil sie Meerestiere stören. Trifft das bei Wind-Catching-Systemen auch zu?

Heggheim: Für Fische und andere Meerestiere hat unser System Vorteile, weil wir weniger Anlagen installieren müssen als in herkömmlichen Windparks üblich. Dadurch werden sie weniger gestört.

Und wie sieht das bei Vögeln aus?

Heggheim: Vögel sollten die Konstruktion besser sehen können, da sie sich über eine relativ große Fläche in die Höhe streckt. Wir überlegen außerdem, mit einem Erkennungssystem zu arbeiten, das die Vögel mit Geräuschen oder Licht abschreckt. Man muss allerdings sagen, dass Offshore-Windparks für Vögel nie zu 100 Prozent sicher sein werden.

Der Ausbau der Windenergie geht in der EU nur langsam voran. Machen Sie sich Sorgen darüber, dass wir die Klimawende nicht schaffen könnten?

Heggheim: Auf jeden Fall. Gleichzeitig sind die Anstrengungen, die wir zurzeit in der EU und von den einzelnen Regierungen sehen, wie zum Beispiel beim North Sea Summit, phänomenal. Ich denke, dass wir das immer noch schaffen können.

Was muss sich ändern, damit wir die Erwärmung der Erde deutlich verlangsamen können?

Heggheim: Wir müssen alle Emittenten in den Klimaschutz einbeziehen. So sind zum Beispiel noch nicht alle Länder Teil des Pariser Klimaabkommens von 2015. Es fehlt etwa der Iran, der 2021 mehr CO2 produziert hat als Deutschland. Wir müssen es schaffen, auch diese Staaten mit einzubinden. Außerdem brauchen wir unbedingt einen guten Willen und Innovation für neue Technologien.

1.539 Offshore-Windenergieanlagen
in deutschen Gewässern speisten 2022 Strom ins Netz ein.
Quelle:Statista

1,4 Millionen Haushalte
versorgt einer der größten Windparks der Welt mit Strom. Vor der britischen Ostküste drehen sich 174 Windräder.
Quelle: hornseaprojects.co.uk/

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