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„Deutschland ist Schlusslicht bei der Biodiversität“

Text von Harald Henkel
26.07.2023
Unternehmen

Das Unternehmen tRackIT Systems hat ein automatisiertes Tracking von Fledermäusen für Windkraftprojekte entwickelt. Im Gespräch erklärt CEO Dr. Jannis Gottwald die Vorteile der neuen Methode und deren Bedeutung für den Artenschutz.

Bevor ein Windrad gebaut wird, muss die Einhaltung artenschutzrechtlicher Bestimmungen geprüft werden. Innerhalb eines Radius von 200 Metern rund um die Anlage dürfen gefährdete Arten, wie etwa bestimmte Fledermaus-Populationen, nicht vorkommen. Genehmigungsverfahren sehen daher die Erstellung von Fledermausgutachten vor. Diese sind personal- und zeitaufwändig - und damit teuer. An der Universität Marburg haben Forschende eine Methode zur automatischen Erfassung der Tiere entwickelt und inzwischen das Start-up tRackIT Systems gegründet, um diese zu vermarkten. CEO Jannis Gottwald erläutert im Gespräch die Details.

Dr. Gottwald, Ihr Team stattet Fledermäuse mit Minisendern aus, um ihre Bewegungsmuster zu erfassen. Wie funktioniert diese Technik?

Die Tracker senden jede Sekunde auf einer bestimmten Frequenz ein Radiosignal aus. Wenn wir nun die unterschiedliche Signalstärke und die Distanz zu den Empfangsstationen mittels statistischer Verfahren in Beziehung setzen, können wir den Abstand der Jagdgebiete und Quartiere zum geplanten Standort der Windenergieanlage ermitteln.

Was sind die Vorteile dieser Art von Tracking?

Während bei der konventionellen Methode Nacht für Nacht mehrere Personen die Tiere permanent mit ihren Richtantennen verfolgen müssen, empfangen wir die Sendersignale automatisch und können diese dank unterschiedlicher Signalstärken an den Empfangsantennen mit hoher Genauigkeit verarbeiten. Der Messfehler beträgt bei uns im Mittel lediglich 30 Meter, während es bei der konventionellen Methode mehrere hundert Meter sein können. Zudem konnten bisher lediglich ein bis drei Tiere gleichzeitig verfolgt werden, während wir bis zu 40 Tiere, die einen Sender tragen, auf einmal tracken können.

Das verfügbare Fachpersonal für die Erstellung der artenschutzrechtlich vorgeschriebenen Gutachten ist der Gordische Knoten beim Genehmigungsverfahren. Diesen durchtrennen wir mit unserer Lösung.
Dr. Jannis Gottwald

Sie erhalten also sowohl qualitativ als auch quantitativ bessere Ergebnisse?

Genauso ist es. Sind die Fledermäuse erst einmal mit einem Sender versehen, wird deutlich weniger Personal benötigt, um ihre Bewegungsmuster festzustellen. Das Tracking der Aufenthaltsorte selbst erfolgt über die gesamte Senderlaufzeit von ein bis drei Wochen automatisiert. Die Ergebnisse werden direkt an den Server übertragen, ohne dass manuell Koordinaten oder andere Informationen eingegeben werden müssen. So können im selben Zeitraum drei- bis viermal so große Flächen überprüft werden. Die empfangenen Daten werden anschließend in aussagefähigen Grafiken visualisiert. Dadurch erhält ein Planungsbüro eine viel breitere Datenbasis für die Erstellung seiner Einschätzung rund um den potenziellen Aufstellungsort einer Windkraftanlage.

Gehen mit dieser Automatisierung auch finanzielle Einsparungen einher?

Definitiv. Beim manuellen Tracking fallen Kosten in Höhe von mehr als 100.000 Euro an, sobald sich zwei bis drei der relevanten Fledermausarten im Untersuchungsgebiet aufhalten. Unsere Methode ist mit circa 30.000 Euro für einen Park mit zehn Anlagen erheblich günstiger. Und weil wir in der gleichen Zeit viel mehr Tiere erfassen, erhöht sich die Aussagekraft und damit die Rechtssicherheit der Gutachten. Das beschleunigt die Genehmigungsprozesse und mindert das Risiko von Gegenklagen.

Wirkt Ihre Lösung dadurch mittelbar auch als Beschleuniger der Energiewende?

Das verfügbare Fachpersonal für die Erstellung der artenschutzrechtlich vorgeschriebenen Gutachten ist der Gordische Knoten beim Genehmigungsverfahren. Diesen durchtrennen wir mit unserer Lösung.

Was passiert eigentlich, wenn sich herausstellt, dass die Abstände zu den Quartieren und Jagdgebieten der getrackten Fledermäuse zu gering sind?

In diesem Fall kann die zuständige Behörde entscheiden, dass das Projekt entweder abgebrochen oder die Standorte der Windenergieanlagen hinsichtlich Anzahl und Lage modifiziert werden müssen.

Welche Entwicklungsschritte plant tRackIT Systems als nächstes?

Derzeit arbeiten wir an einer Optimierung der Datenanalyse sowie einer Verbesserung von Algorithmen, um Fragen wie „Was machen die Tiere gerade? Sind sie in Ruhe oder Bewegung?“ besser beantworten zu können. Darüber hinaus arbeiten wir an einer Meta-Datenbank, in der alle relevanten Infos zu einem Projekt einfach per App erfasst werden können. Ein weiteres spannendes Feld ist die KI-gestützte Erkennung der einzelnen Fledermausarten mittels Stimmanalyse. Schließlich arbeiten wir an einem automatisierten Reporting, das noch dieses Jahr startet und die Gutachtenerstellung deutlich beschleunigt.

Kann Ihr System auch für andere Tierarten und Habitate eingesetzt werden?

Ja, zum Beispiel läuft im bayerischen Altmühltal gerade ein Forschungsprojekt zur Aufenthaltsbestimmung von Brachvögeln. Dort nutzen wir das automatisierte Tracking ebenfalls.

Vor welchen Herausforderungen steht der Artenschutz Ihrer Ansicht nach aktuell?

Aktuell sehe ich die von der Europäischen Union initiierte Richtlinie „Renewable Energy Directive III“ als große Herausforderung. Damit soll der Artenschutz zugunsten eines großflächigen Ausbaus von Windenergieanlagen massiv eingeschränkt werden. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich befürworte ausdrücklich den Ausbau der Windenergie. Jedoch brauchen wir hierfür eine gesicherte Datenbasis, um nicht noch weitere Fledermausarten und andere Tiere zu gefährden. Deutschland ist innerhalb der EU schon jetzt Schlusslicht bei der Biodiversität.

Wie lässt sich das Dilemma lösen?

Wir müssen uns im Vorfeld mehr Wissen aneignen. Das ist angesichts der Größenordnung beim geplanten Flächenverbrauch enorm wichtig: Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes werden aktuell 2,4 Prozent aller verfügbaren Flächen in Deutschland für Verkehrswege genutzt. Für Windenergiestandorte sollen künftig fast ebenso große Flächenanteile, nämlich zwei Prozent, in Form sogenannter Vorrangflächen bereitgestellt werden. Diese Zahl zeigt eindrücklich die Dimensionen des damit verbundenen Eingriffs in die Landschaft und die davon betroffenen Ökosysteme. Wir müssen daher unbedingt das Risiko für irreparable Schäden minimieren. Mithilfe moderner Technologie kann uns das gelingen.

 

Zur Person:
Dr. Jannis Gottwald gelangte über seine seit 2010 durchgeführte Tätigkeit als Fledermausgutachter zum Studiengang Umweltinformatik an der Universität Marburg. Mit seinem Projekt 4.0 Sensing by Diversity widmete er sich der KI-gestützten Erkennung von Habitaten. Im Verbund aus universitärer Forschungsarbeit und praktischer Anwendung entstand seit 2019 ein automatisiertes Monitoring-System für Waldökosysteme, das schließlich in das Spin-off tRackIT Systems mündete. Weitere Infos unter www.trackit.systems.

28.400 Windkraftanlagen
mit einer Gesamtleistung von 58,1 Gigawatt waren Ende 2022 deutschlandweit in Betrieb.
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200 Gigawatt
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Quelle: Bundesverband Windenergie

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