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Abwasser mit Potenzial

Text von Maria Kessen
19.09.2022
Unternehmen

In Salzburg setzt ein Eigentümer bei der Sanierung mehrerer Wohnblöcke auf Energiegewinnung aus Abwasser und Abluft. Er tritt damit den Beweis an: Klimagerechtes Heizen und sozialer Wohnungsbau müssen sich nicht ausschließen.

Die Stimmung im großen Festzelt der Wohnsiedlung Friedrich-Inhauser-Straße hätte nicht besser sein können. Bei warmem Mai-Wetter, Live-Musik und Bierausschank feierten die Menschen bis in die Abendstunden hinein. Nur wenige Stunden zuvor hatte ein Diakon Gebäude und Anwohner in einer kleinen Zeremonie gesegnet. Für die Anwesenden gab es allen Grund zu feiern: Nach mehr als drei Jahren Bauarbeiten konnten sie endlich wieder in ihre alte Heimat zurückziehen.

Die Siedlung im Salzburger Stadtteil Aigen erscheint nun in neuem Glanz: Elegant setzt sich die Holzfassade der oberen beiden Etage vom hellen Putz der unteren Geschosse ab. In der Außenanlage laden Gärten, Flächen für Gemeinschaftsaktivitäten und Parkbänke die Bewohner zum Verweilen ein. Zudem hatte der Eigentümer, die Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft Heimat Österreich, die Zahl der vermieteten Wohnung von 75 auf 99 Wohnungen erweitert. Insgesamt 19 Millionen Euro investierte das gemeinnützige Unternehmen.

Aber die Wohnanlage hat sich nicht nur äußerlich gewandelt. Die Gebäude in der Friedrich-Inhauser-Straße sind ein Beleg dafür, dass sich Sozialbauten aus den 1980er-Jahren klimaoptimal sanieren lassen. Hinter der neuen Hülle steckt eine revolutionäre Energietechnik, die auf fossile Energiequellen verzichtet und stattdessen auf das Prinzip der Wärmerückgewinnung setzt. Jeder der 99 Haushalte heizt mit Energie aus Abwasser und Abluft. Daneben kommen Photovoltaik sowie ein Pufferspeicher zum Einsatz. Und das Beste daran: Die Mieten bleiben auch nach der Sanierung für die alten Bewohner bezahlbar.

Dietmar Stampfer, Projektpartner und Geschäftsführer der ECA Energy Consulting, hat das innovative Energiesystem mitentwickelt. Als die Heimat Österreich ihn vor einigen Jahren damit beauftragte, eine Energieversorgungsanlage nach ökologischen Gesichtspunkten zu errichten, stand er zunächst vor einer großen Herausforderung. „Im Stadtteil Aigen gab es keine Möglichkeit, über Geothermie zu heizen und auch der Bezug von Fernwärme war nicht möglich“, so Stampfer. Zum Glück hatte sich der Ingenieur bereits seit vielen Jahren mit dem Energiepotenzial von Abluft und Abwasser beschäftigt.

Und das ist enorm! Stampfers Rechnung: Pro Person fallen bis zu 120 Liter Abwasser täglich an, „in der gesamten Wohnanlage also rund 30.000 Liter“, so der Ingenieur und ergänzt: „Was zunächst nutzlos aussieht, ist thermisch hochwertig. Das Wasser landet mit einer durchschnittlichen Temperatur von bis zu 23 Grad im Kanal – und ist in Wahrheit pure Energie.“

Genau hier setzt Stampfer mit der Rückgewinnung an: Zunächst fließt das Abwasser in einen zentralen Tank. Mithilfe eines Plattenwärmetauschers und einer Wärmepumpe kühlt es dort auf circa fünf Grad Celsius ab, bevor es anschließend in die öffentliche Kanalisation strömt. Die beim „Entwärmen“ zurückgewonnene Energie landet in einem Pufferspeicher, der ganzjährig die Gebäude beheizt und das Trinkwasser erwärmt. Zusätzlich hat Stampfer dafür gesorgt, dass auch die Abluft, die innerhalb der Wohnungen entsteht, Energie zum Heizen liefert. Hierzu haben Techniker in jedem Gebäude einen zentralen Abluftventilator mit Kühlregister zur Wärmerückgewinnung installiert.

Insgesamt erzeugt die Wohnanlage auf diesem Weg ungefähr 75 Prozent der benötigten Heizenergie selbst. Dabei ist der Energiekreislauf vollökologisch, da Solarstrom die Wärmepumpen und Abluftventilatoren antreibt. Den restlichen Energiebedarf liefert eine zentrale Pelletheizung. Sie kommt voraussichtlich nur in den kalten Wintermonaten zum Einsatz.

Wer mit Stampfer spricht, spürt seine Freude darüber, dass in der Friedrich-Inhauser-Straße auf eine klimaneutrale Energietechnik gesetzt wurde. „Durch die Umstellung auf das neue System spart jede Wohnung etwas mehr als eine Tonne an CO2-Emissionen ein“, sagt er. Hochgerechnet auf die gesamte Wohnanlage, ergibt sich so eine jährliche CO2-Einsparung von 110 Tonnen.

Ein Blick auf das Heizverhalten deutscher Haushalte zeigt, dass dies eine beachtliche Menge ist: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts lassen sich rund zwei Drittel der CO2-Emissionen im Bereich Wohnen auf das Heizen zurückführen. Allein im Jahr 2019 fielen in den 41,5 Millionen deutschen Haushalten 148 Millionen Tonnen CO2 an, um Wohnräume warm zu halten. Reduziert jede Wohneinheit seine Emissionen im Durchschnitt um eine Tonne pro Jahr, bedeutet dies einen Rückgang des gesamten CO2-Ausstoßes im Bereich Wohnen um knapp 19 Prozent. Zum Vergleich: Zwischen den Jahren 2000 und 2019 gelang es den Deutschen dank Energieeinsparungen und dem Umstieg auf emissionsärmere Gas- und Fernwärmeheizungen, einen Rückgang von gerade einmal 14 Prozent zu erzielen.

Doch nicht nur die Umwelt profitiert, auch für die Mieter kommt die neue Energietechnik genau zum richtigen Zeitpunkt: „Seit einigen Monaten steigen die Gaspreise in Österreich massiv an“, sagt Stampfer. Die Entscheidung der Eigentümergesellschaft erweist sich damit als Volltreffer: Im Vergleich zum Heizen mit Gas reduziert sich die Stromrechnung für einen durchschnittlichen Haushalt in der Friedrich-Inhauser-Straße um etwa 600 Euro pro Jahr. Gerade für Anwohner mit geringem Einkommen ist das eine gute Nachricht.

Inzwischen hat sich der Erfolg des Projekts herumgesprochen. Im September 2022 erhielt die österreichische Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft den Umweltpreis „Energy Globe Salzburg 2022“. „Die Generalsanierung in der Stadt Salzburg ist ein Paradebeispiel für einen funktionierenden Weg aus der fossilen Energieversorgung”, sagte Landeshauptmann-Stellvertreter Heinrich Schellhorn bei der Preisverleihung. Die Heimat Österreich plant zudem weitere Bauprojekte auf Basis des neuen Energiekonzepts: Geplant ist zum Beispiel, einen Neubau mit 250 Wohneinheiten im Salzburger Stadtteil Gneis ebenfalls mit der neuen Heiztechnik auszustatten. Das Interesse in der Bevölkerung ist groß. „Obwohl der Bau voraussichtlich erst im Jahr 2025 fertiggestellt wird, gibt es bereits heute so viele Bewerber für die Mietwohnungen, dass die Stadt Salzburg losen muss“, sagt Stampfer.

 

39 Prozent
der im Jahr 2020 gebauten Wohngebäude Deutschlands heizen mit Erdgas.
Quelle: Bundesamt für Statistik

 

46 Prozent
aller Neubauten Deutschlands im Jahr 2020 heizen mit Wärmepumpen, wie sie etwa bei Geo- oder Umweltthermie eingesetzt werden.
Quelle: Bundesamt für Statistik

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