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Hoch hinaus

Text von Selma Schmitt
13.12.2021
Unternehmen

Das Münchener Start-up Ottobahn will mit einer autonom fahrenden Schwebebahn den Verkehr revolutionieren. Die Idee klingt abenteuerlich – ist aber gerade deshalb faszinierend.

Schwebebahnen haben Seltenheitswert, obwohl es sie schon lange gibt. Bereits seit dem Jahr 1901 fährt die Wuppertaler Schwebebahn durch die Stadt, und in Dresden führt eine Schwebebahn vom Stadtzentrum in das Villenviertel Oberloschwitz.

Künftig könnten moderne Schwebebahnen auch in anderen Städten fahren – wenn sich das Start-up Ottobahn mit seiner Idee durchsetzt. Aber anders als die Vorbilder aus Wuppertal und Dresden sollen auf der Schwebebahn der Zukunft keine Züge mit mehreren Wagons für viele Passagiere fahren, sondern viele kleine Kabinen für einzelne Fahrgäste oder kleine Gruppen mit demselben Ziel. Die Idee: Per Handy-App können sich Fahrgäste eine Kabine zu ihrem Standort rufen, wo sie abgeholt und dann auf direktem Weg zu ihrem Zielort gebracht werden. In den kleinen Kabinen wäre die Atmosphäre ähnlich exklusiv wie in einem selbstfahrenden Auto – mit dem Unterschied, dass die Kabinen durch die Luft schweben.

Das ist zumindest die Vision des Ottobahn-Geschäftsführers Marc Schindler. Der Wirtschaftsingenieur leitet das Start-up seit seiner Gründung im Jahr 2019. Er hat sich Großes vorgenommen: Mit der Ottobahn will er die Zukunft der Mobilität gestalten – auch wenn er dafür noch einige Hindernisse überwinden muss.

Eine intelligente Schwebebahn

„Im Grunde wollen wir eine klassische Hängebahn bauen“, sagt Schindler. Die Schienen würden fünf bis zehn Meter über Straßen montiert werden, die Kabinen darunter hängen. Alle dreißig bis vierzig Meter soll ein Mast die Schienen halten. Der Clou: Die Kabinen können an jedem Punkt im Schienennetz anhalten, an Stahlseilen sollen sie dann zu Boden gelassen werden, damit Fahrgäste ein- und aussteigen können. Sensoren am Boden der Kabinen erkennen, ob die Straße darunter frei ist.

Doch das ist nur ein Teil der Vision. Gesteuert werden sollen die Kabinen von künstlicher Intelligenz. Sie entscheidet, welche Kabine im Netz welchen Fahrtwunsch annimmt und welche Route sie fährt. Auch innerhalb der Kabine wollen die Gründer intelligente Technik einsetzen: Die Software merkt sich Vorlieben der Passagiere hinsichtlich Beleuchtung und Temperatur und könnte sogar dafür sorgen, dass ein Passagier auf dem Heimweg beim Einsteigen seine zuvor getätigten Einkäufe in der Kabine vorfindet. „Wir wollen die Fahrten so bequem wie möglich gestalten“, schwärmt Schindler.

Betreiben will der Ingenieur die Ottobahn mit erneuerbarer Energie. „Zu Beginn wollen wir Ökostrom einkaufen, langfristig sollen Solarzellen über den Schienen den Strom für die Bahnen erzeugen.“ Die Ottobahn habe das Potenzial, den Individualverkehr mit Autos abzulösen, glaubt der Geschäftsführer. Dann könnten Grünflächen Autospuren ersetzen.

Günstiger als die Straßenbahn

Bei den Baukosten für das Schienennetz will die Ottobahn ihre althergebrachte Konkurrenz unterbieten. Nach eigenen Angaben soll der Bau eines Streckenkilometers Schwebebahn etwa fünf Millionen Euro kosten – rund ein Drittel weniger als der Bau eines Straßenbahnkilometers. Die Kabinen könnten etwa so teuer wie ein Kleinwagen sein, rechnet der Ingenieur vor. Für den Bau setzt das Start-up auf Kooperationen mit etablierten Bauunternehmen, Städten und deren Nahverkehrs-Betreibern. Die könnten sich den Bau der Ottobahn vom Steuerzahler finanzieren lassen. Wie beim Bau von Straßenbahnen übernähme der Bund bis zu 90 Prozent der Baukosten, hofft Schindler.

Bis die Ottobahn eine Alternative zum Auto und zum etablierten Nahverkehr bieten könnte, hat das Start-up aber noch viele Hürden zu überwinden. Bislang steckt das Projekt noch in der Entwicklungsphase. Im kommenden Jahr wollen die Münchener die erste Teststrecke in Taufkirchen errichten, einem Vorort von München. Auf einer ein Kilometer langen Strecke sollen fünf Kabinen 100.000 Testkilometer absolvieren, um das System zu testen, Fehler zu finden und die künstliche Intelligenz zu optimieren. Spätestens im Jahr 2023 will Schindler dann entscheiden, wann und wo er die erste kommerzielle Strecke baut. „Am liebsten wäre uns München“, sagt er. Aktuell spricht das Start-up mit der Stadt über eine mögliche Strecke von Taufkirchen in die bayerische Landeshauptstadt. München wurde jüngst vom ADAC zu Deutschlands Stauhauptstadt gekürt – vor diesem Hintergrund könnte ein neues Nahverkehrssystem Sinn ergeben.

Ob die Ottobahn dort erstmals kommerziell zum Einsatz kommt, wird auch davon abhängen, wie die Münchener auf die ambitionierte Idee reagieren. Von einer Schwebebahn, die am Küchenfenster vorbeifährt, wird nicht jeder begeistert sein – ganz abgesehen von Sicherheitsrisiken. Deshalb wünscht sich der Geschäftsführer Mut und Offenheit von der Bevölkerung und von Politikern. „Ich will eine echte Chance, unsere Technologie im Betrieb zu beweisen.“

Denn mit einer Strecke von Taufkirchen in die Münchener Innenstadt wäre es nicht getan. Wenn die Ottobahn nur eine S-Bahn-Linie ersetzt, ist sie keine wirkliche ÖPNV-Alternative. Das weiß auch Schindler. „Je größer das Netz ist, desto besser sind wir“. Erst mit einem ausgedehnten Streckennetz könnten die autonom fahrenden Kabinen ihre Vorteile für viele Fahrgäste ausspielen. Schindler weiß, dass er noch viel Überzeugungsarbeit leisten muss. Doch das ist Teil seiner Jobbeschreibung.

 

250 km/h
geplante Höchstgeschwindigkeit der Ottobahn

1/3 Kostenersparnis
des Ottobahn-Baus im Vergleich zum Straßenbahn-Bau

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