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Mission: Rettet die Riffe

Text von Maria Kessen
02.09.2022
Unternehmen

Korallenriffe gibt es seit fast 500 Millionen Jahren. Aufgrund ihrer Artenvielfalt werden sie auch als „Regenwälder der Meere“ bezeichnet. Doch mit fortschreitendem Klimawandel droht ihnen an vielen Orten das Aus. Ein Start-up von den Bahamas kämpft dagegen an – mit einer bisher einzigartigen Idee.

Wenn Sam Teicher vor seinem Büro auf der Insel Grand Bahama steht, blickt er auf ein Paradies: Das türkisblaue Wasser des Atlantiks schwappt träge zwischen weißem Sandstrand und blauem Himmel auf und nieder, Palmenwedel rascheln leise im Wind. Da kommt man schnell ins Träumen und vergisst die Zeit. Doch dieser Ort, wo andere Urlaub machen, ist Teichers Arbeitsplatz. Denn unter der Wasseroberfläche wird die Welt Tag für Tag grauer. Und mit jedem, den der 32-jährige US-Amerikaner nicht handelt, nimmt die Eintönigkeit zu. Das Riff stirbt – und mit ihm Hummer, Stachelrochen und andere Meeresbewohner.

Dagegen kämpft Teicher, der in Washington D. C. aufwuchs, an. Nicht allein, sondern gemeinsam mit Gator Halpern. Zusammen gründeten die Yale-Absolventen 2015 Coral Vita, eine Korallenfarm, die zur Erhaltung der Riffe beitragen soll. Ihre Geschäftsidee: In kleinen Tanks züchten sie Korallennachwuchs, den sie auf den bedrohten Habitaten aussetzen.

Mit ihrem jungen Unternehmen steht das Duo vor einer großen Herausforderung: Riffe gehören zu den wichtigsten Ökosystemen des Meeres, da sie den idealen Lebensraum für Fische und andere Meerestiere bieten. „Obwohl sie nur 0,1 Prozent der Ozeane ausmachen, leben in den Korallenriffen dieser Welt ungefähr 25 Prozent der Fische und wirbellosen Meerestiere“, sagt Andrea Grottoli, Präsidentin der International Reef Society, auf der Weltkorallenkonferenz, die Anfang Juli 2022 in Bremen stattfand.

Damit sind die Riffe ein Hotspot der Artenvielfalt und beeinflussen die Biodiversität der Ozeane weit über ihr Verbreitungsgebiet hinaus. Und auch der Mensch lebt von ihnen: Nach Schätzungen des US-amerikanischen World Resources Institute profitieren weltweit eine Milliarde Menschen entweder direkt oder indirekt von den natürlichen Barrieren. Sie dienen ihnen als Grundlage für die Fischerei, locken zahllose Touristen an und schützen die Küsten, weil sie circa 90 Prozent der Wellenenergie abfangen.

Doch die Zukunft dieser Ökosysteme ist bedroht. Tourismus, Fischerei, Verschmutzung und vor allem der Klimawandel setzen den Riffen zu – mit katastrophalen Folgen: „Die Prognose ist, dass bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitraum über 70 Prozent der Korallenriffe stark in Mitleidenschaft gezogen werden“, sagt zum Beispiel Sebastian Ferse vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen, und ergänzt: „Schreitet die Erwärmung auf zwei oder sogar mehr Grad an, werden bis Mitte des Jahrhunderts nahezu alle absterben“.

Auch Coral-Vita-Gründer Teicher sieht die Erwärmung der Meere als Hauptproblem an: „Genau wie Menschen können auch Korallen nur unter bestimmten Temperaturbedingungen leben“, sagt er. Wenn das Wasser zu warm wird, werden die Algen, die in ihrem Inneren leben und diese mit dem Großteil ihrer Energie versorgen, ausgestoßen – die Koralle verhungert und stirbt. Die ehemals bunten Habitate mutieren zu grauen, wüstenähnlichen Flächen – Korallenbleiche heißt dieses Phänomen, das Coral Vita bekämpfen will.

Auf die Geschäftsidee zu Coral Vita stießen Teicher und Halpern eher zufällig: Im Jahr 2015 hörten sie von Mikrofragmentierung, eine Methode, die das Wachstum von Korallen enorm beschleunigt. Die Zuchtdauer reduziert sich dadurch von vielen Jahrzehnten auf wenige Monate. Drei Jahre später, nach verschiedenen beruflichen Stationen, zogen Teicher und Halpern auf die Bahamas und eröffneten die nach eigenen Angaben erste landbasierte kommerzielle Korallenfarm.

Unter großen Sonnensegeln, direkt neben dem Firmengebäude, befinden sich etwa 30 Salzwassertanks, in denen das 16-köpfige Coral-Vita-Team die Korallen züchtet. Hierzu schneiden sie die Meerestiere zunächst in kleine Fragmente und befestigen sie auf Platten, die sie in die Aquarien legen. Die Mitarbeiter verändern regelmäßig die Temperatur und den pH-Wert des Wassers – so trainieren sie die Korallen darauf, auch unter ungünstigeren Lebensbedingungen zu überleben. Haben die Meerestiere eine bestimmte Größe erreicht, werden sie samt Bodenplatte auf einem geschädigten Riff montiert. Dort können sie sich nun vermehren und den Meeresboden zu neuem Leben erwecken.

Bei allem Engagement und Idealismus, der hinter der Geschäftsidee von Coral Vita steckt: Teicher legt Wert darauf, dass sein Unternehmen, das derzeit über verschiedene private und institutionelle Investoren finanziert wird, mittelfristig gewinnorientiert arbeitet. „Wir wollen nicht von staatlichen Zuschüssen abhängig sein“, sagt er. Sein Ziel ist es, die Restaurierung von Riffen künftig als Dienstleistung anzubieten. „Hotels, Hafenbehörden, Kreuzfahrtschiffe oder andere Unternehmen können uns damit beauftragen, ein Riff wiederherzustellen“, führt er aus. Daneben setzt sein Geschäftsmodell auf Ökotourismus und Markenpartnerschaften.

Bei der Wiederherstellung des lokalen Riffs kann Coral Vita bereits Fortschritte aufweisen: Seit Beginn des Jahres 2022 wurden mehr als 5.600 Fragmente „gepflanzt“ – die Kapazität der Farm auf Grand Bahama liegt bei ungefähr 30.000 bis 60.000 Korallen pro Jahr. Ziel ist es, dass künftig in großen Farmen jährlich Hunderttausende oder sogar Millionen von Korallen gezüchtet werden - und zwar in jedem Land, das von Riffen umgeben ist.

Darüber hinaus erfüllt das Unternehmen auch einen sozialen Auftrag: Es ist nicht nur ein interessanter Arbeitgeber, sondern auch Bildungszentrum für die örtliche Gemeinschaft: „Schulgruppen, Regierungsbeamte und Fischereibetriebe kommen zu uns, um zu lernen, warum Korallenriffe so wichtig sind und wie wir sie gemeinsam schützen können“, sagt Teicher.

Dass Coral Vita allein das weltweite Riffsterben nicht stoppen kann, ist Teicher klar. Er erwartet deshalb von der Politik und den großen Unternehmen deutlich mehr Engagement. „Korallenfarmen sind eine Lösung, aber sie sind kein Allheilmittel“, sagt er. „Selbstverständlich möchten wir, dass die Menschen uns beauftragen, aber ich bin auch der erste, der sagt, dass wir damit aufhören müssen, die Riffe zu zerstören. Wenn Politiker und andere Entscheidungsträger weiterhin die fossilen Energieträger unterstützten und nichts gegen die Vernichtung der Ökosysteme unternehmen, dann wird es immer schwieriger werden, die Riffe dauerhaft zu erhalten.“ Und dies, ergänzt Teicher, wäre nicht nur eine Tragödie für die biologische Vielfalt, sondern eine direkte Bedrohung für die Sicherheit und den Wohlstand der Menschen.

1 Milliarde
Menschen profitieren weltweit direkt oder indirekt von Korallenriffen - als Lebensmittel, als Touristenattraktion, als Küstenschutz.
Quelle: NOAA Office for Costal Management

50 Prozent
aller Korallenriffe sind seit dem Jahr 1950 abgestorben.
Quelle: One Earth Journal, 2021

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