Kleine Klappe, viel dahinter
Das Medizintechnikunternehmen Lohmann & Rauscher hat mit einem kleinen Umbau eine riesige Klimaschutz-Wirkung erzielt. Jährlich spart das Unternehmen nun mehr als 160 Tonnen CO₂-Emissionen ein. Das Beispiel zeigt: Findige Mitarbeiter können mit guten Ideen Großes bewirken.
Sie ist 80 Zentimeter breit und wiegt knapp 18 Kilogramm. Versteckt in einem Lüftungsrohr, von außen nicht zu sehen, lenkt die Metallklappe Luft in die gewünschte Richtung. Ihr Einbau hat dafür gesorgt, dass der Neuwieder Produktionsstandort des deutsch/österreichischen Medizintechnik-Herstellers Lohmann & Rauscher (L&R) nun rund 161 Tonnen CO₂ weniger pro Jahr verursacht als zuvor. Das Bauteil hat gerade einmal 4.100 Euro gekostet – keine nennenswerte Investition für ein Unternehmen, das mit seinen 51 Tochtergesellschaften im Jahr 2021 einen Umsatz von mehr als 758 Millionen Euro erzielte. Ein großes Ziel bei L&R lautet: Möglichst klimafreundlich und ressourcenschonend produzieren. Die kleine Klappe mit großer Wirkung ist da nur einer von vielen Schritten.
L&R stellt an 16 Standorten weltweit Medizinprodukte her. Im rheinland-pfälzischen Neuwied entstehen schon seit mehr als 120 Jahren Verbandsmaterial und Wundauflagen. Die Produktion ist anspruchsvoll – schließlich kommt das Material später in direkten Kontakt mit offenen Wunden und darf auf keinen Fall mit Bakterien, Feinstaub oder Pollen verschmutzt sein. Weil schon minimale Mengen solcher Stoffe gefährlich sein können, muss die Luft in den Produktionsräumen von L&R hohen Anforderungen entsprechen. Riesige Lüftungsanlagen filtern sie und regulieren Feuchtigkeit und Temperatur, sodass die Bedingungen immer gleich sind. Die dafür eingesetzten Anlagen wälzen pro Stunde 350.000 Kubikmeter Luft um – ein Volumen, das in 930 durchschnittliche Einfamilienhäuser passen würden – und die Aufbereitung braucht Unmengen an Energie. Im Jahr 2020 verbrauchten die Dampfkesselanlage zur Versorgung mit Prozess- und Heizwärme und die Kaltwassererzeugung für die Klimatisierungskälte allein 26 Millionen Kilowattstunden Erdgas und 1,7 Millionen Kilowattstunden Strom.
Anfang des Jahres 2020 hatten zwei damalige Auszubildende eine zündende Idee. Ihr Vorschlag war so simpel wie effektiv: Statt hauptsächlich Außenluft in die Gebäude zu pumpen und sie komplett aufzubereiten, lenkt die Klappe nun etwa 70 Prozent der Luft aus dem Innenraum um und speist sie noch einmal ins System ein. „Die Luft wird sozusagen wiederverwertet“, erklärt Christian Ruhrmann. Er ist Leiter für technische Gebäudeausrüstung bei L&R und in Neuwied dafür verantwortlich, dass die Anlagen reibungslos laufen, die den Betrieb mit sauberer Luft, Wärme und Wasser versorgen. Weil allein die Belüftung so viel Energie verbraucht und damit zum Klimawandel beiträgt, hatte Ruhrmann sie schon länger im Auge. Er war deshalb glücklich, als sich die CO₂-Bilanz der Anlage dank der Umluftklappe auf einen Schlag verbesserte. Im Jahr 2021 verbrauchte die Belüftungsanlage im Werk in Neuwied durch die Rückgewinnung der Luft rund 30 Prozent weniger Energie zum Kühlen und rund 70 Prozent weniger Energie zum Heizen und sparte insgesamt etwa 726.500 kWh Energie ein.
L&R hat sich die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens auf die Fahnen geschrieben. Bis zum Jahr 2030 sollen die CO₂-Emissionen des Unternehmens um 30 Prozent sinken. „Nachhaltigkeit ist uns ein großes Anliegen und fester Bestandteil der Unternehmensstrategie“, sagt Karl-Heinz Posch, Leiter der Division Technology and Process Engineering von L&R. Das Unternehmen beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wo sich am besten und effizientesten CO₂ einsparen lässt. Posch organisiert konzernweit Nachhaltigkeitsprojekte mit Schwerpunkt Infrastruktur und ist zum Beispiel für den Bau von Photovoltaikanlagen an mehreren Standorten verantwortlich. Ein weiteres Projekt ist ein sogenannter Freikühler. Er ermöglicht es, in den Wintermonaten das Kühlwasser für die Produktion auf die gewünschte Temperatur zu kühlen, ohne alle vorhandenen Kältemaschinen zu nutzen. Das Ausnutzen der Winterkälte spart jährlich rund 36 Tonnen CO₂.
Doch nicht nur eine bessere Klimabilanz, sondern eine ganzheitlich verbesserte Ökobilanz ist das Ziel. L&R stellt immer mehr Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen her und versucht, möglichst wenig Müll zu produzieren. Der Standort Neuwied wurde 2018 für diese erfolgreiche Verknüpfung von Ressourceneffizienz, Energieeffizienz und Umweltmanagement mit dem Preis „Lean & Green Management Award“ ausgezeichnet.
L&R spart durch die Ideen seiner Mitarbeiter und die ökologischen Maßnahmen viel Geld ein. Doch das ist laut Posch nicht das Hauptziel – deshalb will das Unternehmen dazu auch keine konkreten Zahlen nennen. „Uns geht es um die Verantwortung, die wir für Umwelt und Gesellschaft haben“, sagt Posch. Er ist davon überzeugt, dass alle Unternehmen ihren ökologischen Fußabdruck drastisch verkleinern und ihren Beitrag zu mehr Klimaschutz leisten müssen. „Trotzdem freut es uns natürlich, wenn Maßnahmen wie der Einbau der Umluftklappe sich ganz unmittelbar rechnen.“
Besonders stolz sei er auf die Unternehmenskultur, die dafür sorgt, dass alle Mitarbeiter beim Thema Klimaschutz mitarbeiten, sagt Posch. Das beginnt schon in der Ausbildung. Lehrlinge am Standort Neuwied werden im Rahmen einer Initiative der Industrie- und Handelskammer Koblenz zu sogenannten Energiescouts ausgebildet. „Dieses Training sensibilisiert sie früh für Nachhaltigkeit und Klimaschutz“, berichtet Technik-Leiter Ruhrmann. Für die beiden L&R-Manager ist es daher auch nicht weiter überraschend, dass die Initiative für den Einbau der Umluftklappe aus den eigenen Reihen kam. Auch die beiden Industriemechaniker-Auszubildenden, die die Idee hatten, waren Energiescouts. Zur detaillierten Ausarbeitung des Vorschlags suchten sie sich Hilfe bei einem erfahrenen Kollegen. „Oft verliert man das Optimierungspotential der Anlagen aus den Augen. Sie laufen problemlos, es gibt scheinbar keinen Anlass für Änderungen. Da ist es toll, wenn die Mitarbeiter die Dinge infrage stellen“, sagt Ruhrmann.
Im November 2020 war es dann endlich so weit. L&R schaltete die Lüftung für eine planmäßige Wartung ab und während der kurzen Pause bauten Spezialisten die Klappe ein. Auch anderswo geht der nachhaltige Umbau bei L&R voran. Im Juni 2022 wird am Standort Schönau an der Triesting in Österreich eine weitere Photovoltaikanlage fertig, durch die das Unternehmen jährlich 140 Tonnen CO₂ einsparen wird. Außerdem veranstaltet der Standort bald eine interne „No Impact Week“. Eine Woche lang können sich Teams dann in einem Wettbewerb in Sachen Mobilität, Recycling und Umweltsäuberung messen. Ruhrmann und Posch haben ein Ziel: Das Streben nach einem noch nachhaltigeren Unternehmen soll bei L&R zum Dauer-Projekt werden.
161 Tonnen
Menge an CO2, das L&R pro Jahr durch den Einbau der Lüftungsklappe spart.
Quelle: L&R
32.361 Euro
Höhe der Kosten, die die Allgemeinheit durch das Projekt von L&R nicht tragen musste (bei angenommenen Klimakosten von 201 Euro pro Tonne CO2).
Quelle: Umweltbundesamt
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