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Unternehmerinnen haben die Kraft, die Welt zu verändern

Text von Sarah Sommer
02.11.2022
Unternehmen

Leonie Moos ist überzeugt: Zur Lösung der großen Probleme unserer Zeit braucht es auch ein neues Unternehmer:innentum. Und das muss vor allem eines sein: vielfältiger als bisher. Wie sie mit ihrem Female-Entrepreneurship-Programm Grace Accelerator Gründerinnen für die Mission Unternehmensführung begeistert, erzählt sie im Interview.

Frau Moos, bei Ihrem Gründerinnen-Programm bleiben Frauen unter sich. Warum müssen männliche Gründer draußen bleiben, wenn die angehenden Unternehmerinnen an ihren Geschäftsideen tüfteln?

Weil es sonst immer die Frauen sind, die draußen bleiben. Bevor wir Grace im Jahr 2017 ins Leben gerufen haben, hatten wir mit unserer Transformations-Beratung Ignore Gravity schon einige Start-up-Inkubatoren und Accelerators für Unternehmen aufgebaut. Die Programme funktionierten grundsätzlich sehr gut. Aber eins fiel uns immer wieder auf, unabhängig vom thematischen Schwerpunkt oder der Branche, um die es ging: Es waren kaum Frauen da. Es war oft wirklich schwierig, dafür zu sorgen, dass das keine rein männlichen Veranstaltungen werden.

Woran lag das?

Tja, genau das wollten wir dann auch wissen. Wir haben also erstmal eine Umfrage gemacht, eine Reihe von Interviews, in der wir Frauen genau das gefragt haben: Warum meldet ihr euch nicht für solche Programme? Was hält euch davon ab, zu gründen und eure Ideen umzusetzen? Was wir gelernt haben, lässt sich in drei Punkten zusammenfassen. Erstens erhalten Frauen in ihrem privaten und beruflichen Umfeld oft wenig Unterstützung, wenn sie gründen wollen. Ihnen wird vielmehr meist ganz aktiv abgeraten. „Willst du das wirklich machen? Bist du dir sicher? So viel Risiko? Kannst Du das denn? Du willst doch eine Familie, oder nicht?“

Da kann einem die Lust am Gründen schnell vergehen …

Exakt. Da kommen auch der selbstbewusstesten Frau irgendwann Zweifel. Womit wir beim zweiten Punkt wären: Bei Männern ist das anders. Selbst dann, wenn ihr privates Umfeld sie nicht aktiv unterstützt, finden sie ganz schnell Zugang zu Netzwerken in der Start-up-Szene, in der Gründertum und Unternehmertum gefeiert werden, in der sie Gleichgesinnte und Mentoren finden und man sie unterstützt. Für Frauen ist es viel schwieriger, in diese Netzwerke aufgenommen zu werden, weil die eben sehr männlich dominiert sind. Das Gleiche gilt für den Zugang zu Kapital. Kürzlich erzählte mir eine Gründerin, dass sie zu Gesprächen mit Investoren und Banken inzwischen immer ihren Mann schicke – der bekomme nämlich die besseren Angebote für dieselbe Idee. So etwas schreckt natürlich viele Frauen ab.

Und der dritte Grund?

Frauen haben oft ein sehr großes Bedürfnis, viel Wissen und Können mitzubringen, bevor sie sich an eine Gründung heranwagen. Ich muss erst noch dies lernen, ich muss erst noch das schaffen… Wenn Frauen gründen, dann kommen sie meist aus einer Expertinnen-Schiene. Sie haben aus ihrer Expertise und Erfahrung heraus eine Gründungsidee entwickelt, eine Lösung für ein Problem gefunden. Aber die Hürde, dann den nächsten Schritt zu gehen und sich Unterstützer:innen und Investor:innen zu suchen, ist trotzdem noch hoch.

Und wie soll das Grace-Programm dabei nun helfen?

Wir schaffen einen Raum, in dem sich diese Frauen zum einen sicher sein können: Hier bin ich nicht wieder die Einzige in einem Raum voller Männer, hier muss ich nicht erstmal doppelt so gut sein wie die anderen, um überhaupt gesehen zu werden. Und zum anderen ist das ein Raum, in dem Female Entrepreneurship absolut positiv bewertet, gefeiert und unterstützt wird statt mit Bedenken kleingemacht. Wir haben einen Bewerbungsaufruf gemacht. „Du hast Interesse an Gründung? Möchtest Du mit anderen Frauen gemeinsam deine Idee entwickeln?“ Und zack, auf einen Schwung hatten wir 300 Bewerberinnen! Wir waren alle total überrascht, wie stark diese gezielte Ansprache wirkte. Denn in Bezug auf die Inhalte war das Programm gar nicht so anders als unsere früheren Projekte.

Aber diesmal kamen die Frauen …

Ja, und zwar voller Begeisterung. Und wir haben gesehen: Sie haben Lust, sich als Unternehmerinnen auszuprobieren und mit ihren Ideen dann auch wirklich etwas zu bewegen. Gerade Frauen kommen nur höchst selten und sagen: „Ich will jetzt schnell das nächste Copycat bauen für einen schnellen Exit, bring mir mal bei, wie ich den höchsten Return bekomme.“ Sie sind im Gegenteil oft sehr stark intrinsisch motiviert. Sie sehen ein Problem und sagen: Da bau ich jetzt eine Lösung! Ihre Ziele sind stabile Unternehmen, innovative Lösungen, die etwas verändern. Deshalb haben wir nach dem Frühphasen-Programm als nächstes auch ein Gründerinnen-Programm für die Wachstumsphase auf die Beine gestellt, in dem sich Unternehmerinnen darüber austauschen können, wie sie ein nachhaltig gesund wachsendes, werteorientiertes Geschäft aufbauen können.

Irgendwann müssen Frauen doch raus aus dieser Schutzzone und sich in die weiterhin männlich dominierte Gründerszene wagen, oder?

Natürlich wollen wir keine rein weibliche Bubble kreieren. Es geht nicht darum, dass Frauen auf Dauer unter sich bleiben. Aber: Man kann jetzt halt noch 100 Jahre lang über all die strukturellen Probleme und Ungerechtigkeiten reden und sich beklagen, dass so wenige Frauen gründen. Und ja, es ist wichtig, die Probleme zu benennen. Aber um etwas zu ändern, braucht es eben auch positive Impulse. Rollenmodelle, die sich selbstbewusst ins Scheinwerferlicht stellen, ihre Geschichten erzählen und Sichtbarkeit aufbauen für Frauen, die gründen wollen. Die zeigen: Als Unternehmerinnen haben sie die Kraft, die Welt zu verändern, Dinge anders zu machen. Diesen Impuls wollen wir in die Gründungsszene geben. Denn wir sind davon überzeugt, dass eine vielfältigere Gründer:innenszene auch nachhaltiger und so am Ende erfolgreicher sein wird.

Warum wäre eine vielfältigere Gründer:innenszene nachhaltiger?

Ich glaube, dass der Kern des Unternehmer:innentums darin liegt, die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft positiv mitzugestalten. Der Impact von Unternehmer:innen liegt dabei auch in der Art und Weise, wie sie ihre Unternehmen gründen und führen. Damit ist ganz klar: Wir brauchen Menschen – Männer und Frauen – mit ganz unterschiedlichen kulturellen, sozialen Hintergründen und Prägungen, die sich auf ihre jeweilige Art einbringen. Durch ein vielfältigeres Gründer:innentum kommen auch vielfältigere Arbeitsweisen, Unternehmenskulturen, Produkte und Angebote in die Welt. Und ich bin sicher: Damit auch bessere und nachhaltigere Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit.

 

 

Gründerinnen-Bootcamp

Das Gründerinnen-Programm Grace – Accelerate Female Entrepreneurshipwurde im Jahr 2017 von der Berliner Transformationsberatung ignore gravity gegründet. In einem Summer Accelerator können (angehehnde) Gründerinnen in der Frühphase gemeinsam mit Mentorinnen und Expertinnen ihre Geschäftsideen entwickeln und am Ende des Programms vor potenziellen Investor:innen vorstellen. Im Programm Grace Scale kommen Gründerinnen in der Wachstumsphase zusammen, um sich über Führungs- und Finanzierungsfragen auszutauschen. Für die Gründerinnen sind die Programme kostenlos – ignore gravity finanziert die Programme gemeinsam mit Unternehmenspartnern, die als Sponsoren auftreten. Für die Zukunft sind auch Gründerinnen-Stipendien, digitale Tools für den Gründungsprozess und Workshops für Gründerinnen mit Migrationshintergrund geplant.

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