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„Kreislauffähige Autoreifen wären gigantisch“

Text von Lilian Schmitt
02.06.2023
Unternehmen

Sascha Peters und Diana Drewes beraten mit ihrer Zukunftsagentur „Haute Innovation“ Unternehmen, die zirkulär werden wollen. Im Interview erklären sie, wie das funktioniert.

Herr Peters, Frau Drewes, wie definieren Sie „Circular Economy“?

Peters: Als eine Wirtschaft, in der wir Ressourcen in geschlossenen Kreisläufen halten, so lange es irgendwie geht. Das bedeutet: Wir müssen die Lebensdauer von Produkten verlängern und sie zum Beispiel reparierbar machen.

Das klingt zunächst recht simpel.

Peters: Ja. Doch die Voraussetzung ist, dass Verbraucher und Unternehmen erkennen, wie hoch der Wert von Ressourcen ist. Dies wird meiner Meinung nach nicht ohne politische Vorgaben klappen, denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass freiwillige Lösungen sehr lange brauchen, bis sie sich durchsetzen.

Drewes: Der Pfand auf Plastikflaschen ist beispielsweise eine solche Vorgabe, die eine tolle Erfolgsgeschichte hingelegt hat: In Deutschland zirkuliert das Material einer Flasche aus Plastik mehr als 40 Mal. Ich glaube, dass wir ein solches Pfandsystem demnächst auch im Möbelbereich sehen werden. Womöglich so: Wer seine Möbel zurückbringt, bekommt bis zu 15 Prozent des Kaufpreises ausgezahlt. Oder noch besser: eine Gutschrift.

Wie können Unternehmen von vorneherein zirkuläre Produkte entwickeln?

Peters: Es hilft oft, in die Vergangenheit zu schauen. Sehen Sie sich zum Beispiel das Comeback der Birkenrinde an, die antibakteriell wirkt und geerntet werden kann, ohne gleich den ganzen Baum zu fällen. Diese Eigenschaften nutzt nun das Görlitzer Start-up Nevi und verarbeitet Birkenrinde als Bodenbelag. Da die Rinde den gleichen pH-Wert hat wie menschliche Haut, ist sie selbst im nassen Zustand rutschfest und kann im Bad als Fliesenersatz dienen.

Gibt es Materialien, die besonders gut für zirkuläre Produkte geeignet sind?

Peters: Nach einem Vortrag in Oslo kam Svein-Erik Hjerpbakk von Nordic Comfort Products auf mich zu. Er hat einen Stuhl aus recyceltem Kunststoff entwickelt. Eigentlich also nichts Neues. Aber das Besondere daran ist das Sitzpolster: Es besteht aus algenbasiertem Schaum, mit einem Obermaterial aus Lachshaut. Genial!

Drewes: Algen und Mycelium gelten als die Hoffnungsträger für nachhaltige Materialneuentwicklungen. Algen wachsen schnell, verbrauchen keine landwirtschaftliche Fläche und speichern CO2. Mittlerweile gibt es Möbelplatten, Textilfarben und kompostierbare Verpackungen aus Algen. Mycelium wird als lebendes Biopolymer geschätzt. Die feinen Pilzfäden werden oft genutzt, um Reststoffe aus der Agrarindustrie zu binden, etwa getrocknete Nutzpflanzen, die sonst auf dem Feld verrotten. Binnen weniger Tage haben die weißen Fäden das lose Material ummantelt und ein styroporähnliches Material ist entstanden. Im Gegensatz zum erdölbasierten Original ist das Pilzmaterial kompostierbar. Das niederländische Unternehmen Studio MOM stellt zum Beispiel Fahrradhelme aus Mycelium her.

Nachhaltige Ansätze können sich aber nur durchsetzen, wenn Kunden die Produkte auch annehmen. Was können Unternehmen tun, damit alle mitziehen?

Peters: Ich denke, Unternehmen müssen Kunden mit einem Goodie locken, damit sie das Produkt zurückgeben – was bei Pfandflaschen funktioniert, geht auch mit anderen Produkten. Das belgische Unternehmen Rewind etwa leiht Teppiche für Messen aus. Geben die Kunden die Böden zurück, erhalten sie eine Gutschrift. Das Wichtigste ist, dass Unternehmen den Verbrauchern helfen, ein Bewusstsein zu entwickeln. Diese müssen sich automatisch fragen: Was passiert mit dem Produkt am Ende des Kreislaufs?

Die EU will bis 2050 eine Kreislaufwirtschaft sein. Ist das Ziel realistisch?

Drewes: Ich denke schon. Es gibt immerhin viele Mitgliedsstaaten, die sich dieses Ziel schon auf die Fahnen geschrieben haben. Frankreich ist sehr weit vorn beim Thema Verpackungen. Seit Januar 2022 ist es dort im Handel verboten, bestimmte Gemüsesorten in Plastik zu verpacken. Die Niederländer sind Vorreiter bei alternativen Lebensmitteln, die dort sehr unkompliziert eine Zulassung erhalten. Besonders toll finde ich jedoch, dass die Niederländer biologisch abbaubare Materialien auch tatsächlich industriell kompostieren. Und zwar so lange, wie es eben braucht. In Deutschland ist man da nicht so flexibel. Lässt sich ein Material nicht innerhalb von 22 Tagen kompostieren, wird es verbrannt. Das ist schade und nicht sehr sinnvoll.

Gibt es auch Dinge, die man aktuell einfach noch nicht zirkulär machen kann?

Drewes: Auf jeden Fall! Autoreifen zum Beispiel. Die sind ein extrem umweltschädliches Alltagsprodukt. Der Reifenabrieb belastet Böden, Gewässer und Luft mit Mikroplastik. Selbst der beste Manager der Welt kann den Reifen, so wie er ist, nicht grün reden. Würde endlich einmal jemand nachhaltige, kreislauffähige Reifen erfinden – die Wirkung auf die Umwelt wäre gigantisch.

Welche Unternehmen kommen derzeit vor allem zu Ihnen und wollen beraten werden?

Drewes: Aktuell zählt die Baubranche zu unseren Hauptkunden. Die Unternehmen wollen wissen, wie sie CO2 einsparen können. Am besten geht das, indem man nach Alternativen für Zement sucht. Eine weitere Sorge der Branche ist die zunehmende Ressourcenknappheit von klassischen Baumaterialien, wie etwa Sand. Hier rückt nun Bauschutt in den Fokus, der in großen Mengen vorhanden ist. Wir haben für unsere Kunden bereits erfolgreich Baumaterialien entwickelt, die aus Bauschutt bestehen. Materialinnovationen in der Baubranche sind jedoch nicht so einfach auf den Markt zu bekommen. Die technischen und rechtlichen Vorgaben sind nahezu unüberwindbar. Da braucht man einen langen Atem.

 

Zu den Personen

Sascha Peters ist Gründer und Geschäftsführer von Haute Innovation. Er unterrichtet als Honorarprofessor an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim. Von 2015 bis 2023 wurde Peters in die Jury des renommierten Red Dot Award Product Design berufen.

Diana Drewes arbeitet seit 2017 als Biodesignerin mit Schwerpunkt Materialentwicklung im Bauwesen für Haute Innovation. Drewes ist Co-Autorin des Fachbuchs „Materials in Progress“ und schreibt seit 2015 zu materialrelevanten Themen für verschiedene Fachmagazine.

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