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„Wir wollen auf die Ungleichheit aufmerksam machen“

Text von Lilian Schmitt
19.07.2023
Unternehmen

Die Kaffeeindustrie ist männerdominiert. Das britische Start-up Girls Who Grind Coffee möchte das nun ändern. Im Interview erklärt Mitgründerin Casey LaLonde das Konzept.

Casey LaLonde, Sie sind Head of Coffee und Chefrösterin bei Girls Who Grind Coffee (GWGC). Die Bohnen sind Ihr Geschäft. Wie trinken Sie Ihren Kaffee am liebsten?

Ich trinke meinen Kaffee gerne schwarz und als Filterkaffee. Für Insider: Am liebsten übergieße ich den Kaffee in einem V60-Filter.

Mit der Australierin Fi O’Brien haben sie 2017 in Ihrer Wahlheimat Großbritannien GWGC gegründet. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich wollte schon immer ein Kaffee-Business haben. Doch die Kaffeeindustrie ist von Männern dominiert. Als ich meine Geschäftspartnerin kennenlernte, wollten wir von Anfang an unser Konzept auf Frauen konzentrieren. Es gibt zwar viele Kaffeeproduzentinnen weltweit, aber sie haben es nicht immer leicht in der Branche, weil sie zum Beispiel in einigen Ländern kein Land besitzen dürfen. Und auch die Röstereien sind meist männerdominiert. Sie erfordern großes technisches Verständnis, was für viele Frauen ziemlich einschüchternd sein kann.

In Ihrem Slogan bezeichnen Sie sich als eine ‚von Frauen geführte, antipatriarchalische Spezialitätenkaffeerösterei und Rebellionsbewegung‘. Das ist ein starkes Statement …

Ach, wissen Sie, man muss auch mal laut sein. Wir wollen auf die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Kaffeeindustrie aufmerksam machen. Wir wollen über die Frauen sprechen, die dahinterstehen und ihre Geschichten erzählen. Und ich glaube, das ist uns gelungen. Die Menschen fühlen sich von unserer Mission angesprochen. Aber sie kaufen den Kaffee bei uns nicht nur, weil wir von Frauen kaufen, sondern auch wegen der Qualität.

Es ist sicherlich schwer, als Frau ein Unternehmen in der männerdominierten Branche aufzubauen – selbst in Europa. Welche Hürden mussten Sie dabei überwinden?

Es war von Anfang an klar, dass wir uns als Frauen beweisen müssen. Als wir zum Beispiel auf der Suche nach Räumlichkeiten für unsere Rösterei waren, meinte der Immobilienmakler, der uns herumführte, dass wir keinen Geschäftsplan hätten. Er war unglaublich unhöflich zu uns und sagte noch weitere Dinge, die er niemals zu einem Mann gesagt hätte. Unterm Strich muss ich aber sagen: Die meisten Reaktionen waren positiv.

Wie kommt der GWGC-Kaffee in unsere Tassen?

Wir beziehen unseren Kaffee aus verschiedenen Ländern Afrikas und Südamerikas. Für uns ist es wichtig, so direkt wie möglich mit den Produzentinnen zusammenzuarbeiten. Wir kaufen also nicht auf dem Spotmarkt ein. Der Kaffee wird zu uns in die Rösterei geliefert, ich mache eine Röstprobe und teste, wie der Kaffee schmeckt. Ist der Kaffee zum Beispiel fruchtiger, röste ich ihn schneller und etwas heller, um diese fruchtigen Noten hervorzuheben. Pro Woche produzieren wir so bis zu 500 Kilogramm Kaffee.

Welchen Anteil haben Frauen am GWGC-Kaffee?

Das können wir noch gar nicht so genau sagen - an einer klaren Definition arbeiten wir noch. Manchmal kaufen wir bei einer Farm, die einer Frau gehört. Manchmal gehört das Land einem Mann oder einem Ehepaar und die Töchter haben die Betriebsleitung, die Vermarktung oder den Export übernommen. Wichtig ist uns, dass Frauen an entscheidenden Positionen beteiligt sind. Bei uns in Großbritannien arbeiten jedenfalls nur Frauen.

Wie finden Sie Ihre Lieferantinnen?

Oft finden die Frauen uns! Bei unseren Kaffees aus El Salvador und Honduras etwa hatten uns die Produzentinnen per E-Mail angefragt. Sie hatten schlechte Erfahrungen mit dem Verkauf an lokale Kooperativen und Zwischenhändler gemacht und wollten ihren Kaffee künftig direkt verkaufen. Auf andere Farmen wiederum werden wir von unseren Importeuren aufmerksam gemacht. Die wissen, dass wir Kaffee von Frauen kaufen und schicken uns Proben zu, wenn sie neue Produzentinnen treffen. Wir arbeiten aber auch mit Initiativen, wie der feministischen Kaffee-Organisation Bean Voyage, zusammen.

Zehn Prozent Ihres Umsatzes geht an die Produzentinnen zurück. Wie stellen Sie sicher, dass das Geld dort ankommt?

Idealerweise überweisen wir das Geld jedes halbe Jahr auf das Konto der Produzentinnen, sodass es nicht über die Bank des Importeurs geht. In einigen Fällen nehmen wir auch Bargeldüberweisungen vor: Wir überweisen das Geld, die Frauen holen es in ihrer Stadt bei ihrer Bank ab.

Ein Problem der Kaffeeindustrie sind faire Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne. Haben Sie die Möglichkeit, dies zu kontrollieren?

Leider nein. Wir sind noch ein kleines Start-up und können nicht alle Farmen besuchen, die uns beliefern. Bisher sind wir nach El Salvador, Honduras und Brasilien gereist, um uns alles anzusehen. Wir versuchen außerdem, ständigen Kontakt mit unseren Produzentinnen zu halten. So merken wir schnell, wie sie arbeiten und ticken.

Sie leben in Großbritannien und somit in relativem Wohlstand. Kommt man da mit der Forderung nach Gleichberechtigung nicht schnell belehrend rüber?

Ja, total. Ich mag diese Geschäftsmodelle nicht, bei denen Nachhaltigkeitsprojekte von oben nach unten gesteuert werden. Wir konzentrieren uns deshalb viel mehr auf die Zusammenarbeit. Anstatt also den Kaffeeproduzentinnen vorzuschreiben, dass sie mehr Bäume pflanzen sollen, fragen wir lieber: Was braucht ihr, um bessere Ernten einzufahren? Was sind eure Bedürfnisse im Moment? Ich denke, das ist etwas, das nicht oft passiert.

Welche Projekte plant GWGC für die Zukunft?

Ich möchte in den kommenden Jahren Kurse anbieten, in denen Frauen das Kaffeerösten lernen – in Großbritannien, aber auch in den Kaffee-Ursprungsländern. Wir möchten zudem einigen Produzentinnen die Möglichkeit geben, uns zu besuchen. Wenn sie so mehr darüber erfahren, wie wir unseren Kaffee herstellen und verkaufen, wirkt sich das sicherlich positiv auf die Qualität aus – und gibt ihnen am Ende größere Einflussmöglichkeiten. Und wir möchten gerne GWGC-Cafés eröffnen.

Zur Person
Casey LaLonde (links) kommt ursprünglich aus dem US-Bundesstaat New York. Sie studierte Gender Equality und Soziologie. Mit 20 Jahren trat sie ihren ersten Job in einer Rösterei und einem Kaffeelabor in Vermont an: Sie lernte, wie man röstet und Kaffee verarbeitet. Nach einer achtjährigen Elternzeit gründete sie 2017 mit Fi O’Brien GWGC. Dort leitet sie als lizenzierte Rösterin die Kaffeeabteilung.

20 Prozent
der Kaffeefarmen weltweit werden von Frauen betrieben.
Quelle: International Coffee Organization

 

98 Millionen Tassen
Kaffee trinken Menschen in Großbritannien täglich.
Quelle: British Coffee Association

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